Führt ein externer IT-Forensiker lediglich eine Grobsichtung von Datenträgern nach möglichen kinderpornografischen Inhalten durch, so stellt das keine abrechenbare Sachverständigenleistung nach dem JVEG dar. Die dafür angefallenen Auslagen der Staatskasse gehören nicht zu den vom Verurteilten zu tragenden Kosten des Verfahrens.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Verurteilung wegen Besitzes von KiPo
Der Verurteilte ist vom AG wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften und anderer Delikte zu einer ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Ihm wurden außerdem die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Erhebliche Kostenrechnung der Gerichtskasse über Sachverständigenauslagen
Mit Kostenrechnung vom 24.8.2023 wurde unter Bezugnahme auf Nr. 9005 KV GKG eine Sachverständigenvergütung in Höhe von 17.794,31 EUR zu seinen Lasten festgesetzt. Dem lag die Rechnung einer GmbH vom 13.1.2023 über einen Gesamtbetrag von 17.802,64 EUR zugrunde. In dieser waren in einer Position für die Grobsichtung verschiedener Asservate 4.030 Arbeitsminuten und außerdem in einer Position 7.080 Arbeitsminuten, was 118 Stunden entspricht, zu einem Stundenpreis von 125 EUR in Ansatz gebracht. Der Verteidiger des Verurteilten wandte gegen die Kostenrechnung ein, dass der sich aus Pos. 4 der Rechnung ergebende Betrag nicht ansetzbar sei, weil es sich um eine reine Sichtung von Unterlagen handle, für die es keine sachverständige Expertise brauche. Eine Delegation der Sichtung auf den Sachverständigen sei im Übrigen ohnehin nicht möglich, weil der Staatsanwalt die strafrechtliche Relevanz der Bilder eigenständig prüfen müsse. Das AG hat die Erinnerung des Verurteilten als unbegründet verworfen. Die dagegen gerichtet Beschwerde des Verurteilten hatte nach Übertragung durch den Einzelrichter (§ 66 Abs. 6 S. 2 GKG) auf die Kammer Erfolg.
II. Entscheidung
Allgemeines zu den Kosten des Verfahrens
Zu den Kosten des Verfahrens gehören, so das LG, die Gebühren und Auslagen der Staatskasse, einschließlich derjenigen Kosten, die im Ermittlungsverfahren durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstanden sind (§ 464a Abs. 1 S. 1, 2 StPO). § 3 Abs. 2 GKG verweise wegen der Kosten auf die in der Anlage 1 aufgeführten Gebühren und Auslagen. Gemäß Nr. 9015 KV GKG gehören zu den Auslagen der Staatskasse auch die unter Ziffer 9000 bis 9014 bezeichneten Kosten, soweit sie durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstanden sind. Dies gilt also auch für die gemäß Nr. 9005 KV GKG nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz zu zahlenden Beträge. Dazu gehören nach Auffassung des LG festgesetzte Sachverständigenkosten i.H.v. 9.993,03 EUR brutto jedoch nicht.
Durchsicht von Papieren und Daten durch Ermittlungspersonen
Zu den Kosten des Ermittlungsverfahrens können auch der Aufwand für die Durchsicht der Papiere oder Daten gehören. Gemäß § 110 Abs. 1, 3 StPO stehe die Durchsicht der elektronischen Speichermedien der Staatsanwaltschaft und – auf deren Anordnung – ihren Ermittlungspersonen i.S.d. § 152 GVG zu. Soweit sichergestellt sei, dass die Verantwortung für die Durchsicht der Papiere bei der Staatsanwaltschaft verbleibe, könne diese auch Hilfspersonen wie Dolmetscher, Sachverständige oder sonstige dienstleistende Dritte einsetzen (OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.4.2018 – 1 Ws 605/17; OLG Schleswig, Beschl. v. 10.1.2017 – 2 W 441/16, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 110 Rn 3). Das sei hier der Fall gewesen. Der Sachbearbeiter bei der Kriminalpolizei habe nach Rücksprache mit dem ermittelnden Oberstaatsanwalt die … GmbH mit der Auswertung beauftragt.
Sachverständige Leistungen?
Allerdings stellen nach Auffassung des LG die abgerechneten Leistungen unter Pos. 4 der Rechnung in Höhe von 8.397,50 EUR netto (4.030 min / 60 min = 67,17 h x 125 EUR netto) bzw. 9.993,03 EUR brutto keine Tätigkeiten eines Sachverständigen dar, sodass in dieser Höhe auch kein Kostenansatz nach Nr. 9005 KV GKG habe erfolgen können.
Aufgabe eines Sachverständigen sei es, aufgrund von Erfahrungssätzen oder besonderen Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen und dem Gericht allgemeine Erfahrungssätze oder besondere Kenntnisse auf seinem jeweiligen Wissensgebiet zu vermitteln (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 26.5.2020 – 2 Ws 89–91/19, RVGreport 2020, 398; OLG Schleswig, Beschl. v. 10.1.2017 – 2 Ws 441/16, StV 2017, 660 = StRR 8/2017, 23; LG Hamburg, Beschl. v. 7.8.2019 – 631 Qs 27/19, RVGreport 2020, 79). Damit werde ein externer IT-Forensiker dann als Sachverständiger tätig, wenn er unter Einsatz geeigneter und nicht für jedermann zur Verfügung stehender Programme und entsprechenden Fachwissens den Zugang zu verschlüsselten oder sonst für die Ermittlungsbehörden nicht zugänglichen Daten ermöglicht und diese Daten aufbereitet und so die ermittlungsrelevanten Tatsachen fest- und zusammenstelle (OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.4.2018 – 1 Ws 605/17; Wackernagel/Graßie, NStZ 2021, 12, 16; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., vor § 72 Rn 7a). In Abgrenzung dazu sei genuine Ermittlungsarbeit und keine Sachverständigentätigkeit anzunehmen, wenn der externe IT-Forensiker als Hilfskraft der Ermittlungsbehörden lediglich eine reine Sichtung sichergestellter Datenträger vornehme oder soweit er für die Ermittlungsbehörden technische Dienstleistungen zur Erleichterung der Durchsicht eines Datenbestandes erbringe, die etwa in der Durchsicht nach bestimmten Kriterien oder in der Aufbereitung und Strukturierung der Daten bestehen kann (OLG Nürnberg a.a.O.; OLG Schleswig a.a.O.). Knüpfe der Sachverständige auftragsgemäß an eine derartige Sichtung oder Strukturierung jedoch als sachverständig zu wertende Schlussfolgerungen oder Erläuterungen, wäre seine Arbeit allerdings insgesamt als die eines Sachverständigen zu qualifizieren (vgl. OLG Nürnberg a.a.O.).
Daran gemessen habe, soweit dies von der Beschwerde angegriffen werde, Sachverständigentätigkeit nicht vorgelegen. Ausweislich der Ausführungen unter „D.99 Grobsichtung“ im Gutachten vom 13.1.2023 habe sich die Tätigkeit der beauftragten GmbH darauf beschränkt, die (im Einzelnen aufgeführten) Asservate nach deren Art zu beschreiben, den Datenträgerinhalt mittels der Software einzulesen und ggf. zu prüfen, ob Dateien gelöscht worden seien. Soweit nach Ansicht des Auswerters inkriminiertes Material aufgefunden worden sei, sei dies knapp festgehalten und eine weitergehende Prüfung nicht durchgeführt worden. Die Beantwortung spezifischer Fragestellungen, für die ein spezielles Fachwissen im Bereich der Informationstechnologie erforderlich wäre, sei damit gerade nicht erfolgt. Soweit für die Auswertung die Software … angewandt worden sei, habe es sich um eine für jedermann käufliche Software gehandelt, für deren Anwendung ebenfalls – jedenfalls für die unter D.99 genannten Maßnahmen – kein besonderes Fachwissen erforderlich sei. Nach alldem sei daher der Kostenansatz entsprechend zu kürzen gewesen, sodass unter der Nr. 9005 KV GKG des Kostenansatzes nur 7.809,61 EUR brutto (17.802,64 EUR – 9.993,03 EUR) abzurechnen gewesen seien.
III. Bedeutung für die Praxis
Zutreffend
Eine weitere Entscheidung aus der Praxis, die sich mit der Frage der Erstattung der oft, so auch hier, horrenden Sachverständigenkosten in den KiPo-Verfahren befasst. Die vom LG vorgenommene Abwägung ist zutreffend und entspricht dem Ansatz der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung. Auf diese und auf die Anmerkungen zu den zitierten Entscheidungen wird verwiesen. Als Verteidiger/Rechtsanwalt muss man diese Frage auf dem Schirm haben, um zugunsten des Mandanten „überzogene“ Gerichtskostenrechnungen zu reduzieren. Und man muss, wie auch hier, hartnäckig sein. Denn das AG hatte ja die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen. Leider teilt das LG die Begründung nicht mit. Die würde mich schon interessieren.
Veröffentlichungspraxis
Das „richtige“ Rechtsmittel richtet sich in diesen Fällen nach § 66 GKG, also Erinnerung und ggf. Beschwerde. Das Beschwerdegericht kann nach § 66 Abs. 4 S. 1 GKG die weitere Beschwerde zulassen. Davon hat das LG hier abgesehen, da die maßgeblichen Rechtsfragen durch die Entscheidungen des OLG Nürnberg (Beschl. v. 10.4.2018 – 1 Ws 605/17) und des OLG Schleswig (a.a.O.) hinreichend geklärt seien, was m.E. zutrifft. In dem Zusammenhang „bedauert“ das LG, dass der Beschluss des OLG Nürnberg bislang unveröffentlicht ist. Ich kann das Bedauern nachvollziehen. Denn als „nachgeordnetes“ Gericht wüsste man ja schon gern, wie das „übergeordnete“ OLG die ggf. anstehenden Rechtsfragen entschieden hat. Mir erschließt sich deshalb und auch im Hinblick darauf, dass auch die „juristische Öffentlichkeit“ sehr gerne wissen möchte, welche Rechtsauffassungen von den jeweiligen OLG vertreten werden, die leider oft sehr restriktive Veröffentlichungspraxis nicht. Das gilt vor allem dann, wenn ein OLG noch in einer Entscheidung auf seine „ständige Rechtsprechung“ Bezug nimmt. Woher soll man die kennen, wenn sie nicht veröffentlicht wird?