Beitrag

Terminsvertreter des Pflichtverteidigers „nur“ bei der Haftbefehls- verkündung

Die von einem Rechtsanwalt im Rahmen der Wahrnehmung eines Haftverkündungstermins entfalteten Handlungen sind nicht lediglich als Einzeltätigkeit i.S.v. Teil 4 Abschnitt 3 RVG, namentlich nicht als Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung nach dessen Ziff. 4301 anzusehen, sondern als Tätigkeit eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG. Ihm stehen daher Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr zu.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Köln, Beschl. v. 24.1.20243 Ws 50/23

I. Sachverhalt

Beiordnung als Pflichtverteidigerin für die Vorführung

Gestritten wird um die Gebühren, die eine Rechtsanwältin für ihre Teilnahme als Pflichtverteidigerin an einem Vorführungstermin geltend gemacht hat. Das AG hat die Rechtsanwältin gem. § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO „für den heutigen Termin als Pflichtverteidigerin“ und für das weitere Verfahren gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO einen anderen Rechtsanwalt beigeordnet. Im Termin erklärte die Rechtsanwältin für den Angeklagten, es würden zu den Tatvorwürfen keine Angaben gemacht, und machte Ausführungen zum ihrer Auffassung nach Nichtvorliegen des Haftgrundes.

Streit um Umfang der Gebühren

Die Rechtsanwältin hat an Gebühren aus der Staatskasse verlangt: eine Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, eine Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG und eine Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG. Die Urkundsbeamtin des AG hat demgegenüber lediglich festgesetzt: eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit gemäß Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG. Dagegen hat die Rechtsanwältin Erinnerung eingelegt, die das AG zurückgewiesen hat. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde hat das LG dem Festsetzungsantrag der Rechtsanwältin entsprochen und zudem die weitere Beschwerde zugelassen. Das OLG hat die weitere Beschwerde der Landeskasse verworfen.

II. Entscheidung

Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG

Zu Recht hat das LG nach Auffassung des OLG angenommen, dass die Rechtsanwältin ihre Tätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnen kann. Die von ihr im Rahmen der Wahrnehmung des Haftverkündungstermins vom 29.3.2023 entfalteten Handlungen sind nicht lediglich als Einzeltätigkeit i.S.v. Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, namentlich nicht als Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung nach dessen Nr. 4301 VV RVG anzusehen, sondern als Tätigkeit eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG.

Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG

Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG regele die Vergütung des Verteidigers. Diese sei dabei unabhängig davon zu bemessen, ob die Verteidigung als Wahl- und Pflichtverteidigung durchgeführt werde. Liege ein Verteidigungsverhältnis vor, mache es grundsätzlich auch keinen Unterschied, ob sich die Tätigkeit – insbesondere in den Fällen des sog. Terminsvertreters – auf die Wahrnehmung eines einzelnen Termins beschränkt. Dies gelte für die Fälle der Pflichtverteidigung auch dann, wenn sich die vorangegangene Bestellung durch das Gericht nur auf einen bestimmten Termin bezogen habe. Dies habe das OLG Köln bereits für die auf einen einzelnen Hauptverhandlungstag beschränkte Beiordnung eines Pflichtverteidigers entschieden (OLG Köln, Beschl. v. 26.3.2010 – 2 Ws 129/10, AGS 2011, 286 = RVGreport 2010, 462). Dieser Rechtsprechung des 2. Strafsenats schließe sich der Senat an. Auch wenn sich die Wahrnehmung der Pflichtverteidigung auf einen oder mehrere einzelne Termine beschränke, begründe die Beiordnung ein eigenständiges Beiordnungsverhältnis, in dessen Rahmen der Pflichtverteidiger die Verteidigung umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen habe. Eine gebührenrechtlich unterschiedliche Behandlung dieses Verteidigers gegenüber dem Hauptverteidiger würde dem nicht gerecht und ließe eine Entwertung des Instituts der Pflichtverteidigung und damit einhergehend des Rechtes des Angeklagten auf eine effektive, rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Verteidigung besorgen (vgl. OLG Köln a.a.O.; OLG München, Beschl. v. 23.10.2008 – 4 Ws 140/08, NStZ-RR 2009, 32; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2008 – 3 Ws 281/08, NJW 2008, 2935).

Verteidigung im Rahmen einer Haftbefehlseröffnung

Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des OLG nicht nur für die Verteidigung im Rahmen der Hauptverhandlung, sondern auch für andere Tätigkeiten wie vorliegend die Verteidigung im Rahmen einer Haftbefehlseröffnung nach § 115 StPO (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.6.2023 – 1 Ws 105/23, AGS 2023, 310 = StraFo 2023, 335 = StRR 11/2023, 41). Soweit aus der von der Bezirksrevisorin angeführten Entscheidung des 2. Strafsenats des OLG Köln vom 15.5.2007 (2 Ws 189/07, AGS 2007, 452 = RVGreport 2007, 306) anderes folgen sollte, schließe sich der Senat dem nicht an. Es bestehe kein sachlich gerechtfertigter Anlass, die Verteidigung im Verfahren nach § 115 StPO gebührenrechtlich anders zu beurteilen als eine solche im Rahmen der Hauptverhandlung. Das Verfahren nach § 115 StPO sei kein formalistischer Selbstzweck. Es trage dem hohen Rang des von der Haftanordnung betroffenen, grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsrechtes Rechnung und stelle sicher, dass der Beschuldigte möglichst schnell von dem Richter über die Grundlagen des Haftbefehls unterrichtet werde und Gelegenheit erhalte, sich sowohl gegen den Tatvorwurf als auch die Annahme von Haftgründen zu verteidigen (KK-StPO/Graf, 9. Aufl. 2021, § 115 Rn 1a). Dieser Bedeutung entsprechend sei das Verfahren nach § 115 StPO seiner Natur nach zwingend und der Verzicht des Beschuldigten auf dessen Einhaltung nur in besonderen Fällen möglich (vgl. BeckOK-StPO/Krauß, 49. Ed., § 115 Rn 4 m.w.N.; KK-StPO/Graf, a.a.O., § 115 Rn 6; LR-StPO/Lind, 27. Aufl., § 115 Rn 11). Der gebührenrechtlichen Gleichbehandlung der Verteidigungstätigkeit im Verfahren nach § 115 StPO mit derjenigen in der Hauptverhandlung stehe auch nicht entgegen, dass sich Vorführungen nach § 115 StPO oftmals in der Verkündung des Haftbefehls nebst entsprechender Belehrung erschöpfen und nur von kurzer Dauer sind. Dem habe der Gesetzgeber gebührenrechtlich durch die Ausgestaltung der Voraussetzungen Rechnung getragen, unter denen nur die Terminsgebühr nach Ziff. 4102 Nr. 3 VV RVG anfalle (vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 223). Sei absehbar, dass sich die Vorführung des Beschuldigten nach § 115 StPO auf die Verkündung des Haftbefehls und die erforderlichen Belehrungen durch das Gericht beschränken werde, könne der gebotenen Bestellung eines Pflichtverteidigers in geeigneten Fällen bei Verhinderung des Hauptverteidigers auch dadurch Rechnung getragen werden, dass dem Beschuldigten zunächst Gelegenheit zur telefonischen Rücksprache mit dem von ihm gewünschten Hauptverteidiger gegeben werde und beide auf die Teilnahme eines Verteidigers zu dem Termin nach § 115 StPO verzichten. Jedenfalls für diese Fälle sei die Bestellung eines Terminsvertreters bzw. die Bestellung eines weiteren Verteidigers neben dem Hauptverteidiger nicht geboten (vgl. zu der Frage der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers im Fall des § 115 StPO auch MüKo-StPO/Böhm, 2. Aufl., § 115 Rn 34 ff. m.w.N., § 128 Rn 27; vgl. zu dieser Frage auch BGH, Beschl. v. 14.8.2019 – 5 StR 228/19 zu § 141 Abs. 3 StPO a.F.). Denn im Rahmen des § 115 StPO bestehe zwar gemäß § 168c Abs. 1 S. 1 StPO das Recht auf Anwesenheit eines Verteidigers, aber keine Pflicht zu dessen Teilnahme. Ob der Senat im Übrigen der Auffassung folgen könnte, dass die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers neben dem von dem Beschuldigten gewünschten und seitens des Gerichts bestellten Hauptverteidiger stets ohne Weiteres schon dann erforderlich sei, wenn dieser Verteidiger verhindert sei und der Beschuldigte gleichwohl auf die Anwesenheit im Rahmen des Vorführtermins bestehe, bedürfe vorliegend keiner Entscheidung.

Keine Einzeltätigkeit

Hier habe die Rechtsanwältin nach alledem entgegen der Auffassung der Bezirksrevisorin nicht lediglich eine Beistandsleistung i.S.v. Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG entfaltet. Vielmehr sei sie durch das AG ausdrücklich zur Pflichtverteidigerin bestellt worden und in dieser Funktion tätig geworden. Hinsichtlich der im Einzelnen durch das Tätigwerden der Rechtsanwältin angefallenen Gebühren hat sich der Senat den Ausführungen des LG angeschlossen und Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG, Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG und Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG festgesetzt.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffende Entscheidung

Die Entscheidung des OLG ist zutreffend. Den Ausführungen des Senats ist nichts hinzuzufügen außer dem Hinweis darauf, dass außer dem OLG Zweibrücken, dessen Entscheidung das OLG anführt, noch weitere Gerichte in dem zutreffenden Sinn entschieden habe (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159 = JurBüro 2023. 195; LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20 (zum neuen Recht); LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.4.2023 – 1 Qs 76/23, AGS 2023, 219; LG Magdeburg AGS 2018, 341 = RVGreport 2018, 257 = StRR 5/2018, 24 = StraFo 2018, 314; Beschl. v. 16.7.2021 – 21 Qs 53 u. 54/21, AGS 2021, 427 (zum neuen Recht); LG Tübingen, Beschl. v. 6.2.2023 – 9 Qs 25/23, AGS 2023, 238; AG Halle (Saale), Beschl. v. 20.5.2022 – 398 Gs 540 Js 594/22 (259/22), AGS 2022, 311; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 3.3.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22, AGS 2023, 217 = StRR Sonderausgabe 5/2023, 32 [allerdings nur Grundgebühr]; AG Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022 – (278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22), AGS 2022, 513). Unzutreffend a.A. sind noch immer OLG Celle (RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534 = JurBüro 2018, 580), OLG Stuttgart (Beschl. v. 23.1.2023 – 4 Ws 13/23, AGS 2023, 162 = JurBüro 2023, 251 = StRR 3/2023, 38) und LG Leipzig (RVGreport 2019, 338 = StraFo 2019, 439).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…