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StRR-Kompakt 2024_09

Durchsuchung: Umgrenzungsfunktion des Durchsuchungsbeschlusses

Eine hinreichende Begrenzung des äußeren Rahmens eines Durchsuchungsbeschlusses kann sich unmittelbar aus der Umschreibung von Art und Inhalt der gesuchten Beweismittel ergeben. Ist die Beweismittelumschreibung konkret genug, kann der Durchsuchungsbeschluss seine umgrenzende Funktion auch dann erfüllen, wenn der Tatvorwurf selbst (etwa zeitlich) nicht hinreichend umgrenzt ist. Unzureichend begrenzt können danach insbesondere Durchsuchungsbeschlüsse ohne Beschreibung des Tatzeitraums sein.

BVerfG, Beschl. v. 27.6.2024 – 1 BvR 1194/23

Durchsuchung. Anforderungen an den Durchsuchungsbeschluss

Den Anforderungen an die verfassungsrechtlich erforderliche Begrenzungsfunktion von Durchsuchungsanordnungen trägt ein Durchsuchungsbeschluss nicht hinreichend Rechnung, wenn der Beschluss keine Angabe zum Tatzeitraum enthält und die Begründung des Beschlusses auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Begrenzung des Tatzeitraums bietet. Denn dann ermöglicht die mit dem Beschluss getroffene Anordnung der Sache nach eine Durchsuchung und Beschlagnahme von Beweismitteln für einen unbestimmten Zeitraum und wird bereits deshalb seiner Begrenzungsfunktion nicht gerecht.

VerfG Brandenburg, Beschl. v. 21.6.2024 – VfGBbg 35/21

Gemeinschaftlicher Beistand: Konflikt zwischen Anschlussberechtigten

Von der Bestellung eines gemeinschaftlichen Beistands für beide Elternteile eines Getöteten gemäß § 397b Abs. 1 StPO ist abzusehen, wenn zwischen diesen ein Konflikt besteht.

BGH, Beschl. v. 30.7.2024 – 5 StR 236/24

Erkenntnisse aus Messengerdiensten: Verwertbarkeit nach dem 1.4.2024

Nach § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO in der ab dem 1.4.2024 gültigen Fassung sind schwere Straftaten i.S.d. § 100b Abs. 1 Nr. 1 StPO u.a. nur noch die Verbrechenstatbestände des § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG. Für die Frage der Verwertbarkeit von vor dem 1.4.2024 gewonnenen Erkenntnissen aus der Überwachung von sog. Messengerdiensten (hier: SkyECC) ist auf den Verwendungszeitpunkt – also ggf. der Verwertung der Erkenntnisse im Zwischen- und Hauptverfahren – abzustellen. Lag zu dem Zeitpunkt keine Katalogtat i.S.d. § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO mehr vor, scheidet die Verwertbarkeit der Daten aus.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.7.2024 – 3 Ws 221/24

Durchsuchung: Anordnung wegen Geldwäsche

Auch hinsichtlich der seit dem 18.3.2021 geltenden Fassung des § 261 StGB erfordert eine Durchsuchungsanordnung wegen Geldwäsche einen Anfangsverdacht nicht nur hinsichtlich der Geldwäschehandlung, sondern auch in Bezug auf die Vortat (sog. doppelter Anfangsverdacht).

LG Saarbrücken, Beschl. v. 18.7.2024 – 13 Qs 19/24

Funkzellenabfrage: zugrunde liegende Straftat

Ein sog. Enkel-Trick-Betrug ist eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung i.S.v. § 100g Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO. Der Katalog des § 100g Abs. 2 StPO ist für Funkzellenabfragen nach § 100g Abs. 3 S. 1 StPO nicht einschlägig (entgegen BGH, Beschl. v. 10.1.2024 – 2 StR 171/23).

LG Hamburg, Beschl. v. 6.6.2024 – 621 Qs 32/24

Pflichtverteidiger: Sachverständigengutachten im KiPo-Verfahren

Die Sachlage ist unter anderem dann i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO schwierig, wenn die Staatsanwaltschaft in Ermittlungsverfahren wegen Verdachts von Straftaten nach § 184b StGB ggf. externe Sachverständige mit der Auswertung und Begutachtung sichergestellter Datenträger beauftragt. Die zu erwartende Auseinandersetzung mit technischen Untersuchungsberichten begründet eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der Sachlage, für die auch nur dem Verteidiger zu gewährende Aktenkenntnis erforderlich ist.

AG Frankfurt a.M., Beschl. v. 12.7.2024 – 4881 Js 215385/24 – 931 Gs

Abwesenheit des Angeklagten: Entlassung des Zeugen

Die fortdauernde Abwesenheit des nach § 247 S. 1 oder 2 StPO entfernten Angeklagten bei der Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen ist regelmäßig geeignet, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu begründen. Dies gilt aber nicht, wenn der Angeklagte – nachdem er von dem Inhalt der Aussage des Zeugen unterrichtet worden ist – auf weitere Fragen an den Zeugen verzichtet hat.

BGH, Beschl. v. 15.5.2024 – 6 StR 111/24

Elektronisches Dokument: Kongruenz von Versender und Urheber

Eine solche Kongruenz von Versender und Urheber des elektronischen Dokuments ist nicht erforderlich, wenn der Schriftsatz nach § 32a Abs. 3 Var. 1 StPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des verantwortenden Rechtsanwalts versehen und das elektronische Anwaltspostfach eines anderen Anwalts gleichsam nur zur technischen Übermittlung genutzt wird.

BGH, Beschl. v. 29.5.2024 – 6 StR 93/24

Berufungsbeschränkung: ausreichende Feststellungen für Diebstahl

Beschränkt sich die Feststellung des erstinstanzlichen Tatrichters darauf, dass der Angeklagte am Tattag in den Geschäftsräumen eines Verbrauchermarkts Lebensmittel im Wert von 34 EUR entwendete, um diese ohne Bezahlung für sich zu behalten, erweist sich in der Revision die Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgen als unwirksam, sofern nicht das Berufungsgericht eigene weitere Feststellungen zum Tatablauf getroffen hat.

BayObLG, Beschl. v. 3.6.2024 – 203 StRR 172/24

Berufungsverwerfung: Ausbleiben wegen OP-Termin

Ein Operationstermin ist in der Regel kein Entschuldigungsgrund, wenn er aufschiebbar ist.

KG, Beschl. v. 20.2.2024 – 2 ORs 3/24

Pflichtverteidiger: Rechtsmittel gegen Willen des Mandanten

Nach § 297 StPO kann der Pflichtverteidiger für seinen Mandanten nicht gegen dessen ausdrücklichen Willen Rechtsmittel einlegen.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.7.2024 – 1 Ws 168/24

Besitz von Cannabis in der JVA: Straferlass nach dem CanG

Der Besitz von Cannabis in einer Justizvollzugsanstalt während des Vollzugs einer Freiheitsstrafe ist nicht von der Amnestieregelung umfasst, sodass ein Erlass einer wegen des Besitzes verhängten Strafe nicht geboten ist.

LG Stralsund, Beschl. v. 29.5.2024 – 23 StVK 114/24

Zulässigkeit der Auslieferung: Kriegsdienstverweigerer

Die Auslieferung eines Verfolgten in sein Heimatland verstößt nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, wenn sich der Verfolgte im Auslieferungsverfahren darauf beruft, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern, und im Falle seiner Überstellung nicht gewährleistet ist, dass er nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht dennoch zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung Bestrafung zu erwarten hat.

OLG Dresden, Beschl. v. 9.8.2024 – OAus 174/24

Bewährung: Bewährungsversager

Der Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat während laufender Bewährung, die eine nicht einschlägige Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen.

OLG Rostock, Beschl. v. 23.7.2024 – 1 Ss 35/24 – 20 ORs 44/24

Einziehung: anwendbares Recht bei der Geldwäsche

Ist das zugrunde liegende Strafverfahren eingestellt worden, ist im selbstständigen Einziehungsverfahren bei der Prüfung der Frage, ob altes oder neues Geldwäscherecht Anwendung findet, welches Recht also das mildere Gesetz ist, lediglich auf die Regelungen zur Einziehung abzustellen.

LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 9.7.2024 – 5/08 Qs 10/24

Sexueller Missbrauch: Verbreiten/Herstellen von KiPo

Der Begriff des „Verbreitens“ in § 176c Abs. 2 StGB ist nicht im engen Sinne des Verbreitungsbegriffs des § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 1 Alt. 1 StGB zu verstehen. Er erfasst vielmehr alle in § 184b Abs. 1 genannten Varianten der Hergabe oder Zugänglichmachung, darunter auch die Drittbesitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB. Die bloße Absicht der Herstellung eines kinderpornografischen Inhalts (§ 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB) genügt dagegen für eine Strafbarkeit nach § 176c Abs. 2 StGB nicht; vielmehr muss zu dieser die weitere Intention einer anschließenden Handlung im Sinne einer der in § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder 2 StGB aufgeführten Verbreitungsvarianten hinzutreten.

BGH, Urt. v. 16.5.2024 – 3 StR 112/23

Besonders schwere Vergewaltigung: Sperrwirkung des Strafrahmens

Der Strafrahmen des § 177 Abs. 6 S. 1 StGB entfaltet umfassende Sperrwirkung gegenüber demjenigen des § 177 Abs. 9 Var. 3 StGB.

BGH, Beschl. v. 14.5.2024 – 6 StR 502/23

Beleidigung: Person des politischen Lebens

Ob die Beleidigung einer Person des politischen Lebens gemäß § 188 Abs. 1 StGB geeignet ist, deren öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, ist unter Berücksichtigung der Gesamtumstände der Äußerung zu bestimmen.

OLG Celle, Beschl. v. 23.7.2024 – 1 ORs 19/24

Verjährungsunterbrechung: wirksame Ersatzzustellung

Eine Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG setzt die Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides voraus. Voraussetzung einer wirksamen Ersatzzustellung des Bußgeldbescheides durch Einlegen in den Briefkasten nach § 51 Abs. 1 S. 1 OWiG, § 1 SVwZG, § 3 Abs. 2 S. 1 VwZG, § 180 ZPO ist der Vermerk des Datums der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks. Die Heilung eines Zustellungsmangels nach §§ 51 Abs. 1 S. 1 OWiG, § 1 SVwZG, § 8 VwZG durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides beim Verteidiger setzt das Vorliegen einer Zustellungsvollmacht voraus.

OLG Saarbrücken, Beschl. v. 3.6.2024 – 1 Ss (OWi) 44/24

Absehen vom Fahrverbot: Beschwer

Verhängt der Bußgeldrichter ein erhöhtes Bußgeld und sieht dabei von der Verhängung eines Fahrverbots ab, verstößt dies zwar nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht gegen das Verschlechterungsverbot. Ist dieser Rechtsfolgenausspruch aber rechtsfehlerhaft, liegt hierin eine Beschwer des Betroffenen, weil die Erhöhung der Geldbuße innerhalb dieser Sanktionsform eine wirtschaftliche Belastung darstellt, sodass das Urteil zu seinem Nachteil auf diesem Rechtsfehler beruhen kann.

OLG Schleswig, Beschl. v. 19.6.2024 – I ORbs 60/24

Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG: Gegenstandswert einer Arrestforderung

Bei der Schätzung des Gegenstandswerts für die Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG bei Einziehung und verwandten Maßnahmen ist das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr der Arrestforderung maßgebend und die konkrete wirtschaftliche Situation ist in den Blick zu nehmen. Für die Wertberechnung gemäß § 2 Abs. 1 RVG geht das maßgebliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr des Arrests nicht weiter, als Vermögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zugegriffen werden kann. Ein den Gesamtbetrag der tatsächlich erfolgten – werthaltigen – Pfändungen übersteigender Arrestbetrag hat bei der Bestimmung des Gegenstandswerts unberücksichtigt zu bleiben. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Anordnung des Vermögensarrests ist ein Abschlag von zwei Dritteln vorzunehmen.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 20.6.2024 – 18 KLs 104 Js 10095/22

Elektronisch überlassene Verwaltungsakte: Erstattungsfähigkeit von Ausdrucken

Der Ausdruck einer elektronisch überlassenen Verwaltungsakte, die als PDF-Datei mit Inhaltsverzeichnis überlassen wurde, ist, nachdem die elektronische Aktenbearbeitung zum Standard geworden ist, zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache auch unter Berücksichtigung der Kostenminimierungspflicht nicht geboten. Deshalb ist der Ausdruck auch nur von Teilen der Verwaltungsakte nicht nach Nr. 7000 Nr. 1a) VV RVG zu entschädigen. Was zur „Bearbeitung“ einer Sache sachgemäß ist, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung des Rechtsanwalts, sondern nach dem objektiven Standpunkt eines vernünftigen, sachkundigen Dritten.

SG Ulm, Beschl. v. 12.7.2024 – S 13 SF 2602/23 E

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