Genügt ein erkennbar als Beweisantrag vorgebrachtes Beweisbegehren seinem Wortlaut nach u.a. nicht den Anforderungen an die notwendige Konkretisierung der Beweistatsache, ist der Vorsitzende aufgrund der Aufklärungspflicht grundsätzlich gehalten, den Antragsteller zunächst auf die Bedenken gegen seinen Antrag hinzuweisen und ihm durch entsprechende Befragung Gelegenheit zu geben, die erforderliche Klarstellung vorzunehmen.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Das LG hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit BtM in nicht geringer Menge verurteilt. Seine Revision hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
II. Entscheidung
Die Verurteilung des Angeklagten hatte keinen Bestand, weil das LG nach Auffassung des BGH einen Beweisantrag des Angeklagten unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 StPO abgelehnt hat.
Verfahrensgeschehen
Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Der Verteidiger des Angeklagten stellte in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einvernahme des rechtskräftig verurteilten – potenziellen – Mittäters Ü zum Beweis der Tatsache, „dass er, [Ü], ausschließlich an den gesondert verfolgten J Drogen verkauft und ausschließlich mit ihm Absprachen gehalten und ausschließlich mit J eine geschäftliche Beziehung hatte“. Der Antrag war damit begründet, dass dem Angeklagten bandenmäßiges Handeltreiben mit den gesondert verfolgten J und Ü vorgeworfen werde und dem inzwischen rechtskräftig verurteilten Ü in dieser Sache kein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zustehe.
Das LG hat den Beweisantrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass es ohne Bedeutung sei, ob der rechtskräftig verurteilte Ü ausschließlich an den gesondert verfolgten J Drogen verkauft habe. Es gehe vorliegend darum, ob Ü, J und der Angeklagte einen Tatbeitrag zum Beschaffen und Herstellen des Amphetamins und Marihuanas geleistet, diese Drogen sodann an Dritte verkauft hätten und diese Handlungen auf einer Bandenabrede beruhten. Soweit Ü zu der Frage, ob er ausschließlich mit J Absprachen getroffen habe, vernommen werden solle, sei schon unklar, was Gegenstand der Absprache gewesen sein solle. Selbst wenn man den Antrag dahingehend auslege, dass Ü im Hinblick auf den in der Anklageschrift vorgeworfenen Sachverhalt ausschließlich mit J kommuniziert habe, wäre diese Beweistatsache bedeutungslos. Denn diese würde das Vorliegen einer Bandenabrede nicht ausschließen, da eine Bandenabrede nicht voraussetze, dass sich die Beteiligten persönlich absprechen oder untereinander kennen. Soweit Beweis darüber erhoben werden solle, dass Ü ausschließlich mit J geschäftliche Beziehungen unterhalten habe, sei ebenfalls unklar, was damit gemeint sei. Es liege keine konkrete Tatsachenbehauptung vor.
Diese Ablehnung des Beweisantrags sei – so der BGH – rechtsfehlerhaft.
Nicht auf Klarstellung hingewirkt
Genüge ein erkennbar als Beweisantrag vorgebrachtes Beweisbegehren seinem Wortlaut nach nicht den Anforderungen an die notwendige Konkretisierung der Beweistatsache, ist es in sonstiger Weise lückenhaft, ungenau formuliert oder mehrdeutig oder bleibt unklar, welcher einsichtige Prozesszweck mit ihm verfolgt werden soll, und lassen sich die hieraus resultierenden Zweifel nicht ohne Weiteres eindeutig aus den gesamten Umständen der Antragstellung ausräumen, so ist der Vorsitzende aufgrund der Aufklärungspflicht, die ein Hinwirken auf eine sachdienliche Antragstellung gebietet, der Fürsorgepflicht sowie der Verfahrensfairness (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) grundsätzlich gehalten, den Antragsteller zunächst auf die Bedenken gegen seinen Antrag hinzuweisen und ihm durch entsprechende Befragung Gelegenheit zu geben, die erforderliche Klarstellung vorzunehmen (vgl. BGH NStZ 1996, 562, NStZ-RR 1996, 336, 337; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn 115; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn 78). Auch wenn dies nicht zum Erfolg führe, bleibe das Gericht verpflichtet, die vom Antragsteller tatsächlich gewollte Beweisbehauptung durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH NStZ 2000, 267, 268 m.w.N.). Diese könne sich nicht nur aus dem Wortlaut des Antrags, sondern aus allen Umständen, die bei einer nach Sinn und Zweck fragenden Auslegung zu berücksichtigen sind, ergeben (vgl. BGH StV 2016, 337, 338; NStZ 2014, 419). Bei mehreren Interpretationsalternativen sei derjenigen der Vorzug zu geben, die zur Beweiserhebung führt (vgl. BGH NStZ 1984, 564, 565; Beschl. v. 12.5.2022 – 5 StR 450/21 m.w.N.).
Für die Entscheidung ohne Bedeutung
Ferner muss nach der ständigen Rechtsprechung der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen das Tatgericht der unter Beweis gestellten Tatsache aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist eine Tatsache nur dann, wenn ein Zusammentreffen zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen, wobei sich das Gericht im Urteil nicht in Widerspruch zu der Ablehnungsbegründung setzen darf (vgl. zuletzt BGH NStZ 2024, 177, 178 m.w.N.).
Hier rechtsfehlerhaft
Hieran gemessen erweise sich die Ablehnung des Beweisantrags als rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer habe das dem Beweisantrag bei verständiger Würdigung zugrunde liegende Beweisthema nur verkürzt behandelt und so den Antrag schon nicht in einem zur Beweiserhebung führenden Sinne ausgelegt. Der notwendigen Behandlung als Beweisantrag stehe zunächst nicht entgegen, dass der Antrag seinem Wortlaut nach zwar positiv formuliert, jedoch inhaltlich auf eine Negativtatsache gerichtet gewesen sei. Denn der Antrag sei bei verständiger Auslegung – naheliegend − dahingehend zu verstehen, dass unter Beweis gestellt war, es habe zwischen dem Angeklagten und Ü keine betäubungsmittelbezogenen Kontakte gegeben. Eine dahingehende Auslegung drängte sich auch deshalb auf, weil die Verteidigung des Angeklagten zuvor einen – von der Strafkammer mangels bestimmter Tatsachenbehauptung rechtsfehlerfrei abgelehnten – „Beweisantrag“ auf Einvernahme des Ü mit derselben Stoßrichtung gestellt hatte. Darin hatte sie beantragt, Ü als Zeugen zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass dieser ausschließlich mit J Betäubungsmittelhandel betrieben habe. Mit dem der Verfahrensrüge zugrunde liegenden − in enger zeitlicher Abfolge gestellten − Beweisantrag wollte die Verteidigung bei gleichem Beweisziel ihr Beweisthema konkretisieren, was sie im Beweisantrag durch die beispielhafte Aufzählung verschiedener Handlungssequenzen, die ausschließlich zwischen Ü und J stattgefunden haben sollten − „Drogen verkauft“, „Absprachen gehalten“ und „geschäftliche Beziehung“ − zum Ausdruck brachte. Soweit die Strafkammer ausführt, dass schon unklar sei, was Gegenstand der „Absprache“ oder was mit „geschäftlicher Beziehung“ gemeint sei, und insoweit eine konkrete Tatsachenbehauptung vermisst, hat sie bei der gebotenen Auslegung des Beweisantrags dessen Beweisthema und Zielrichtung unzulässig verkürzt. Infolgedessen habe die Strafkammer den Beweisantrag rechtsfehlerhaft allein am Maßstab der rechtlichen Bedeutungslosigkeit gemessen und dabei den tatsächlichen Gehalt der unter Beweis gestellten Tatsachen außer Betracht gelassen. Sie habe deshalb bei ihrem Ablehnungsbeschluss verkannt, dass der Beweisantrag nicht darauf abzielte, aus dem Umstand der ausschließlichen betäubungsmittelbezogenen Kommunikation zwischen Ü und J die Annahme einer bandenmäßigen Tatbegehung unter Beteiligung des Angeklagten zu widerlegen. Insofern hat sie zwar – für sich genommen rechtsfehlerfrei – angenommen, dass die unter Beweis gestellte Tatsache der Absprachen ausschließlich zwischen Ü und J eine Bandenabrede nicht ausschloss (vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2009 – 3 StR 83/09). Sie hat jedoch nicht in den Blick genommen, dass bei sachgerechter Auslegung des Antrags nachgewiesen werden sollte, dass – unabhängig von der rechtlichen Einordnung als Bande – zwischen dem Angeklagten und Ü zu keiner Zeit betäubungsmittelbezogene Kontakte bestanden und damit insbesondere Rückschlüssen in tatsächlicher Hinsicht entgegengetreten werden sollte, der Angeklagte und Ü hätten über den Kryptodienst A unter Pseudonymen miteinander kommuniziert. Mit diesem Gesichtspunkt befassen sich die Ablehnungsgründe nicht.
III. Bedeutung für die Praxis
Hohe Anforderungen
1. Die Entscheidung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BGH, der an die „Nachforschungspflicht“ des Tatgerichts in den Fällen eines „unklaren“ Beweisantrags recht hohe Anforderungen stellt. Einfach rüberbügeln bestraft der BGH.
Bedeutungslos muss bedeutungslos bleiben
2. Beanstandet hat der BGH die Ablehnung des Beweisantrags zudem aus einem weiteren Grund: Das Tatgericht müsse sich an der dem Ablehnungsbeschluss zugrunde liegenden Annahme der Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache festhalten lassen. Es darf sich im Urteil nicht zu der Ablehnungsbegründung in Widerspruch setzen oder seine Überzeugung auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen (vgl. u.a. BGH StraFo 2008, 29). Gegen diesen Grundsatz hatte die Strafkammer ebenfalls verstoßen, indem sie – allein orientiert an der defizitären Auslegung des Beweisantrags – festgestellt habe, dass Ü dem Angeklagten Anweisungen gegeben habe, an wen die Betäubungsmittel auszuliefern seien und wie – nach der Festnahme des J – im Hinblick auf die im Bunker vorrätig gehaltenen Drogen der Gruppierung zu verfahren sei. Damit habe sie entgegen dem vorgenannten Verständnis des Beweisantrags der behaupteten Beweistatsache nicht nur eine die Entscheidung tragende Bedeutung beigemessen, sondern sogar das Gegenteil davon festgestellt.