Es erscheint nach Inkrafttreten der neuen fahrerlaubnisrechtlichen Regelungen zum Cannabiskonsum nicht (mehr) vertretbar, bei regelmäßigem Konsum allein gestützt auf diesen und auf die bisherige Fassung der Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung, also ohne vorherige Begutachtung, auf eine durch Cannabismissbrauch bedingte Fahrungeeignetheit zu schließen.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Fahrlehrer unter Cannabiseinfluss
Der Antragsteller ist angestellter Fahrlehrer. Während einer praktischen Fahrstunde, die der Antragsteller einem Fahrschüler als Beifahrer erteilte, erfolgte eine Verkehrskontrolle. Ausweislich des Polizeiberichts gab der Antragsteller auf entsprechende Nachfrage an, Betäubungsmittel zu konsumieren. Es wurden verschiedene im Bericht aufgeführte Auffälligkeiten und Ausfallerscheinungen festgestellt; der Antragsteller händigte den Beamten eine Blechdose mit Konsumutensilien und ca. 0,7 g Marihuana aus, die er im Handschuhfach des Fahrzeugs deponiert hatte. Eine auf freiwilliger Basis um 11.30 Uhr durchgeführte Blutentnahme ergab 11 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum, 5,6 ng/ml Hydroxy-Tetrahydrocannabinol (THC-OH) und ca. 200 ng/ml Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure (THC-COOH). Nach der Beurteilung des Instituts für Rechtsmedizin spricht das THC-Ergebnis dafür, dass der Antragsteller in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang mit der Blutentnahme Cannabis konsumiert hatte, und lag die festgestellte Konzentration von THC-Carbonsäure deutlich in dem Bereich, der üblicherweise bei regelmäßigem bzw. chronischem Konsum vorgefunden wird. Aus forensisch toxikologischer und rechtsmedizinischer Sicht sei von drogenbedingter Fahruntüchtigkeit zum Vorfallzeitpunkt auszugehen. Mit Verfügung vom 4.3.2024 hat der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis wegen regelmäßigen Cannabiskonsums unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entzogen. Hiergegen hat der Antragsteller Widerspruch erhoben, Den zugleich gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das VG zurückgewiesen. Die Beschwerde beim OVG ist erfolglos geblieben.
II. Entscheidung
Rechtsänderung
Der streitgegenständliche Sachverhalt zeichne sich dadurch aus, dass die angegriffene Verfügung vom 4.3.2024 auf der Grundlage des bis zum 1.3.2024 [gemeint wohl: 1.4.2024] geltenden (alten) Fahrerlaubnisrechts ergangen ist, der Widerspruch und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz unter dem Datum 4.4.2024, also nach Inkrafttreten der teilweise, nämlich in Bezug auf den Umgang mit Cannabis, geänderten Fahrerlaubnisverordnung datierten und die Widerspruchsentscheidung noch ausstünde. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung durch den Senat sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Dies sei derzeit die behördliche Entziehungsverfügung, die Widerspruchsbehörde werde ihrer Entscheidung das am 1.4.2024 in Kraft getretene neue Recht zugrunde legen müssen (wird ausgeführt). Diese abschließende Entscheidung der Exekutive darüber, ob der verfahrensgegenständliche Sach- und Streitstand gemessen an dem seit dem 1.4.2024 geltenden Fahrerlaubnisrecht in Anwendung von § 13a Nr. 1 oder Nr. 2a Alt. 2 FeV n.F. Veranlassung zur Anordnung der Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens gibt, gegebenenfalls ob eine solche Anordnung ausnahmsweise mangels Aussicht auf eine erfolgreiche Untersuchung unterbleiben kann, oder etwa ob gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Nichteignung ohne vorherige Untersuchungsanordnung als feststehend anzusehen ist, stehe vorliegend noch aus. Nach alter Rechtslage sei die Fahrerlaubnis bei regelmäßigem Cannabiskonsum zu entziehen und bei gelegentlichem Konsum war entscheidend, ob ein hinlängliches Trennungsvermögen besteht, was nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 S. 3 FeV a.F. durch Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung abgeklärt werden konnte. Das neue Recht unterscheide zwischen Cannabisabhängigkeit, Cannabismissbrauch und einem fahrerlaubnisrechtlich unbedenklichen Cannabiskonsum, der nach Vorstellung des Normgebers gelegentlich oder regelmäßig erfolgen kann. Der Normgeber habe damit Neuland betreten, was sich für die Fahrerlaubnisbehörden, die Gerichte und die Begutachtungsstellen durchaus als Herausforderung darstelle, zumal eine Anpassung der Beurteilungsleitlinien an die neuen Vorgaben (noch) nicht erfolgt ist. Der bisherigen Regelvermutung der Ungeeignetheit gemäß Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien sei jedenfalls in ihrer bisherigen Ausgestaltung die Grundlage entzogen. Aus der Gesetzesbegründung gehe nicht hervor, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum trennt. Insoweit dränge sich auf, dass bei regelmäßigem Konsum nunmehr die Umstände des Einzelfalls von zentraler Bedeutung sind und anhand ihrer zu beurteilen ist, ob der Tatbestand des Missbrauchs bzw. der Abhängigkeit erfüllt ist oder ein fahrerlaubnisrechtlich unbedenkliches Konsumverhalten vorliegt. Bei alldem ist zudem zu sehen, dass die Beibringung eines Gutachtens nach alter wie nach neuer Rechtslage nicht habe auferlegt werden dürfen, wenn ohnehin bereits feststeht, dass Kraftfahrungeeignetheit gegeben ist, um den Betroffenen nicht zusätzlich in seinem Persönlichkeitsrecht zu belasten, es ihn aber andererseits in seinen Rechten verletzen würde, wenn die Fahrerlaubnis zu Unrecht entzogen wird, weil die Behörde ihre Überzeugung aufgrund unzutreffender Maßstäbe getroffen hat. Hieraus sei zu schlussfolgern, dass die Überzeugung mangelnden Trennungsvermögens anhand objektiv nachvollziehbarer und wissenschaftlich gesicherter Kriterien gewonnen werden muss. Es bedürfe handhabbarer Kriterien für die erforderliche Abschichtung und die Prognose künftig bestehenden oder fehlenden Trennungsvermögens.
Der konkrete Fall
All dies vorausgeschickt gebe die den Umfang der seitens des Senats gemäß § 146 Abs. 4 S. 3 und 6 VwGO vorzunehmenden Prüfung festlegende Beschwerdebegründung keine Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern. Dass der Antragsteller, der anlässlich der Verkehrskontrolle eingeräumt hat, Cannabiskonsument zu sein, pauschal bestreitet, regelmäßig Cannabis zu konsumieren, vermöge die Richtigkeit der auf das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin gestützten Annahme des Verwaltungsgerichts, ein regelmäßiger Konsum sei anhand der Blutwerte hinlänglich belegt, nicht in Frage zu stellen.
Im Gutachten sei festgestellt, dass das Tetrahydrocannabinol-Ergebnis dafür spreche, dass in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang mit der Blutentnahme Cannabis konsumiert wurde. Es treffe zu, dass der Gesetzgeber einen regelmäßigen Konsum als zwingendes Ausschlusskriterium für die Fahreignung in Kenntnis der bisherigen Beurteilungsrichtlinien und der bisherigen Rechtsprechung bewusst verworfen hat. Fallbezogen bestehe jedenfalls kein vernünftiger Zweifel daran, dass der Antragsteller zur Zeit der Verkehrskontrolle im Zustand drogenbedingter Fahruntüchtigkeit als Fahrlehrer ein Fahrzeug im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne (§ 2 Abs. 15 FeV) geführt hat. Dazu, dass er inzwischen einen (zumal gefestigten) Einstellungswandel vollzogen haben könnte, sei nichts vorgetragen. Der weitere Einwand, nach der ab dem 1.4.2024 geltenden Vorgabe des § 13a Nr. 2b FeV begründe erst ein wiederholter Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften einen Verdacht hinsichtlich einer möglichen Fahruntauglichkeit, welcher im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung ausgeräumt werden könne, verfange auch vor dem Hintergrund der weiteren Argumentation, er habe derartige Zuwiderhandlungen nicht begangen, nicht. Die genannte Vorschrift sei nur eine von vier Tatbestandsvarianten, bei deren Vorliegen ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist; das Nichterfülltsein dieses Tatbestands besagt keineswegs, dass nicht aus anderen in § 13a Nr. 2 FeV aufgelisteten Gründen Zweifel an der Fahrtauglichkeit bzw. -eignung bestehen können. Das ist hier ausweislich der aktenkundigen Umstände zur Zeit der Kontrolle (insbesondere Weitung der Pupillen, Blutwerte, rechtsmedizinisches Gutachten, Mitführen von Konsumutensilien und Marihuana im Handschuhfach des Fahrschulautos) der Fall.
III. Bedeutung für die Praxis
Leider nur vorläufig richtig
1. Auch das BVerwG hält für Altfalle wie den vorliegenden die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung für maßgeblich (Beschl. v. 14.6.2024 – 3 B 11/23). Hier hatte es das OVG allerdings wegen der Prognoseentscheidung im einstweiligen Rechtsschutz mit der Begründung etwas schwerer.
2. Der Beschluss ist nachdrücklich zu begrüßen, wobei er nur vorläufig ist. Der Gesetzgeber hat durch die von ihm für notwendig erachtete Teillegalisierung des Besitzes von Cannabis auch die jahrzehntelang bewährte Struktur des einschlägigen Fahrerlaubnisrechts nachhaltig verändert (näher die Rechtsprechungsübersicht zur verwaltungsrechtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis bei Deutscher VRR , erscheint demnächst). Der Begriff des Cannabismissbrauchs ist bislang unkonturiert, wobei der Gesetzgeber durch die erneute Änderung der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV im Zuge der Einführung des Grenzwerts von 3,5 ng/ml für Cannabisfahrten nach dem neuen § 24a Abs. 1a StVG noch weitere unbestimmte Rechtsbegriffe für den Missbrauch eingeführt hat (Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeugs, hierzu Deutscher, VRR 8/2024, 5; ZAP 2024, 833 ff.). Sollte diese Neureglung im Ergebnis dazu führen, dass ein regelmäßig Cannabis konsumierender Fahrlehrer, der während einer Fahrschulstunde unter dem Einfluss von Cannabis steht, nur im Einzelfall überhaupt mit der Entziehung der Fahrerlaubnis rechnen muss, muss sich der Gesetzgeber Zweifeln an seiner Seriosität stellen.
3. Eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG war schon deshalb ausgeschlossen, weil der beifahrende Fahrlehrer zwar straßenverkehrsrechtlich gem. § 2 Abs. 15 S. 2 StVG als Kfz-Führer gilt, nicht aber bußgeldrechtlich (BGHSt 59, 311 = NJW 2015, 1124 = StRR 2015, 74 [Deutscher]).