Beitrag

Ingewahrsamnahme eines Zeugen und Telefonsperre

1. Ordnet das Gericht an, dass der vernommene Zeuge noch im Gerichtsgebäude zu verbleiben hat, und hält sich der Zeuge demgemäß während einer (hier: knapp dreistündigen) Sitzungsunterbrechung dort auf, so kann er dies nicht zulässig mit der Beschwerde angreifen.

2. Will sich ein vernommener Zeuge ohne gerichtliche Genehmigung von der Gerichtsstelle entfernen, kann er nach Maßgabe des § 231 Abs. 1 S. 2 StPO in Gewahrsam genommen werden.

3. Während einer Durchsuchung kann auf der Grundlage einer Annexkompetenz zu § 105 StPO eine „Telefonsperre“ verhängt werden.

(Leitsätze des Gerichts/des Verfassers)

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.5.202412 Qs 1/24

I. Sachverhalt

Bleibensanordnung, Ingewahrsamnahme, Telefonsperre betreffend einen Zeugen

Das AG Nürnberg erließ gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen versuchter Steuerhinterziehung. Der Angeklagte legte hiergegen Einspruch ein. Im Hauptverhandlungstermin entband der Angeklagte den Zeugen H, seinen Steuerberater, von der Schweigepflicht. Dieser verweigerte jedoch unter Hinweis auf § 55 StPO die Aussage (vgl. dazu LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.5.2024 – 12 Qs 2/24). Daraufhin unterbrach der Richter um 14.45 Uhr die Sitzung und kündigte an, einen Durchsuchungsbeschluss für die Räume der Steuerberater- und Rechtsanwalts-GmbH zu erlassen, bei der der Zeuge angestellt war. Den Zeugen forderte er auf, sein Mobiltelefon auszuschalten und es vor sich auf den Tisch zu legen. Anschließend wies der Richter den Zeugen an, keinen Kontakt zur GmbH aufzunehmen und das Gerichtsgebäude nicht zu verlassen. Die Hauptverhandlung werde fortgesetzt, sobald das Gericht Kenntnis vom Beginn der Durchsuchungsmaßnahme erhalten werde. Der anwesende Staatsanwalt wurde beauftragt, die angeordnete Maßnahme zu überwachen. Sodann erließ der Richter einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Räume der GmbH und beauftragte Beamte der Steuerfahndung mit dessen Vollzug. Diese erreichten die Kanzleiräume um 17.20 Uhr und teilten dies dem AG fernmündlich mit. Der Richter setzte daraufhin die Verhandlung fort und teilte den Verfahrensbeteiligten mit, die Steuerfahndung sei am Kanzleisitz eingetroffen. Der Zeuge wurde ohne weitere Befragung entlassen.

Der Zeuge H legte gegen die ihn betreffenden Maßnahmen Beschwerde ein. Das LG hat die Beschwerde als unstatthaft zurückgewiesen.

II. Entscheidung

Das LG hat die Beschwerde als unstatthaft angesehen, soweit sie sich gegen die Anordnung wendet, das Gerichtsgebäude nicht zu verlassen. Demgemäß ist sie als unzulässig verworfen worden. Im Übrigen – hinsichtlich des Telefonverbots – ist die zulässige Beschwerde als unbegründet verworfen worden.

Unstatthaftigkeit der Beschwerde

Die Unstatthaftigkeit der Beschwerde gegen die Anordnung, das Gerichtsgebäude nicht zu verlassen, hat das LG aus § 305 S. 1 StPO abgeleitet. Die richterliche Anordnung an den Zeugen, das Gerichtsgebäude nicht zu verlassen, formulierte lediglich mit anderen Worten die sich aus § 248 S. 1 StPO ohnehin ergebende Zeugenpflicht. Danach dürfe sich ein vernommener Zeuge nur mit Genehmigung oder auf Anweisung des Vorsitzenden von der Gerichtsstelle entfernen. Die Anwesenheitspflicht des bereits vernommenen Zeugen dauere grundsätzlich über die Vernehmung hinaus an. Er sei zum Verbleib an der Gerichtsstelle verpflichtet, weil es sich im Laufe des Verfahrens als notwendig erweisen könne, ihn nochmals zu befragen (LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 248 Rn 1; KMR-StPO/Hiebl, 88. EL, § 248 Rn 1; vgl. auch RG, Urt. v. 24.9.1912 – V 470/12, RGSt 46, 196, 198). Die Anwesenheitspflicht ende erst mit der Entlassung durch das Gericht. Über sie entscheide der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen (LR-StPO/Becker, a.a.O., Rn 7; SSW-StPO/Franke, 5. Aufl. 2023, § 248 Rn 4). Die Entscheidung, einen Zeugen nicht mehr zu benötigen und ihn somit entlassen zu können, sei urteilsbezogen und werde durch den Richter vor dem Urteilsspruch zumindest implizit erneut geprüft, weil er überlegen müsse, ob er alle notwendigen Umstände festgestellt habe oder ob die Notwendigkeit bestehe, die Beweisaufnahme fortzuführen oder erneut in sie einzutreten.

Inhärenter Bestandteil der Zeugenpflichten

Die mit dem (kürzeren oder längeren) Verbleib an der Gerichtsstelle verbundene Lästigkeit stelle für den Zeugen somit keine selbstständig mit Rechtsmitteln angreifbare Beschwer dar, sondern sei inhärenter Bestandteil der Pflichten, die er aufgrund seiner prozessualen Rolle zu tragen habe. Wolle er sich ohne Genehmigung entfernen, könne er zwangsweise festgehalten werden; § 231 Abs. 1 S. 2 StPO gelte entsprechend (LR-StPO/Bertheau/Ignor, 27. Aufl., § 51 Rn 6; KK-StPO/Bader, 9. Aufl., § 51 Rn 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2024, § 51 Rn 4). Vor diesem Hintergrund sei eine zur Anfechtung berechtigende Beschwer allenfalls angenommen worden, wenn die Ingewahrsamnahme des Zeugen für die Dauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Sicherung seiner Anwesenheit im Fortsetzungstermin die Frist des § 128 Abs. 1 S. 1 StPO überstiegen habe (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 12.5.2003 – 3 Ws 498/03, NStZ-RR 2003, 329), was hier nicht der Fall gewesen sei.

Unschädlich sei weiter, dass der Richter neben dem Zweck der erschöpfenden Befragung des Zeugen in einem Termin auch und möglicherweise sogar vorrangig – wofür das zugleich verhängte Telefonverbot spräche – beabsichtigt habe, durch seine Anordnung die angelaufene Durchsuchung zu sichern. Es komme im Prozessalltag auch sonst vor und werde zu Recht nicht als problematisch gewertet, dass das Gericht eine Zeugenvernehmung für die Durchführung anderer prozessualer Schritte – beispielsweise die Befragung des Angeklagten oder eines anderen Zeugen oder für die Führung eines Rechtsgesprächs – unterbreche und den Zeugen so lange vor dem Sitzungssaal warten lasse, d.h. ihm die Entfernung von der Gerichtsstelle verbiete. Dies anzuordnen, entspringe der Einschätzung und der Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs, weil der Richter vollkommen losgelöst von dem Zweck des § 248 S. 1 StPO agiert hätte, sei nach Lage der Dinge unbegründet. Ein Missbrauch könne insbesondere nicht damit begründet werden, dass der Richter den Zeugen ohne weitere Befragung entlassen habe, nachdem er erfahren habe, dass die Durchsuchung begonnen hatte. Denn damit sei eine neue Prozesslage geschaffen, die eine neue Beurteilung der Frage bedingte, ob das Gericht den Zeugen tatsächlich noch benötigt.

In der Handhabung befremdlich, in der Sache aber unschädlich sei schließlich, dass der Richter dem Zeugen den Staatsanwalt und dieser dann – als Ablösung – einen Wachtmeister zur Seite gestellt habe. Eine Ingewahrsamnahme des Zeugen sei damit nicht verbunden. Ausweislich des Vermerks des Sitzungsstaatsanwalts und der Beschwerde habe der Richter mit dem Staatsanwalt vor der Sitzungsunterbrechung kurz erörtert, ob der Zeuge kurzfristig in Gewahrsam genommen werden könne, dies dann aber verworfen. Dass der Zeuge ggf. mit Gewalt am Verlassen des Gerichtsgebäudes hätte gehindert werden sollen (was aber nach Maßgabe des § 231 Abs. 1 S. 2 StPO möglich gewesen wäre), sei mithin nicht ersichtlich.

Beschwerde gegen Telefonsperre statthaft …

Demgegenüber beinhaltete nach Auffassung des LG die Untersagung, während der Unterbrechung der Hauptverhandlung zu telefonieren, eine gesonderte Beschwer, die bei späterem Urteilserlass nicht nochmals geprüft werden würde, sodass § 305 S. 1 StPO der Statthaftigkeit der Beschwerde (§ 304 Abs. 1, 2 StPO) nicht entgegenstand.

… aber unbegründet

Allerdings sei die Beschwerde insoweit unbegründet. Zwar sei entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft § 164 StPO als Rechtsgrundlage für die Maßnahme ihrem Wortlaut nach nicht einschlägig. Die Kammer folge aber der Rechtsansicht, wonach während der Durchsuchung eine Telefonsperre auf der Grundlage einer Annexkompetenz zu § 105 StPO verhängt werden kann, jedenfalls solange nicht ein Telefonat mit dem eigenen Rechtsbeistand unterbunden werde und soweit dies zur Erreichung des Durchsuchungszwecks konkret erforderlich sei (OLG Karlsruhe StraFo 1997, 13, 15; LR-StPO/Tsambikakis, 27. Aufl., § 105 Rn 127; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 105 Rn 13; SSW-StPO/Hadamitzky, a.a.O., § 105 Rn 38; MüKo-StPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn 31; Rengier, NStZ 1981, 373, 375; a.A. Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 2014; Weisser, wistra 2014, 212 ff.). Letzteres sei der Fall. Der Zeuge habe die Auskunft aus rechtsfehlerhaften Erwägungen verweigert, die ihm die Geschäftsführerin seiner Steuerberater- und Rechtsanwalts-GmbH mitgegeben hatte. Damit sei offenkundig, dass die GmbH, die der Angeklagte wirksam von der Schweigepflicht entbunden hatte (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.5.2024 – 12 Qs 2/24), hier unberechtigt „mauerte“, was auch eine zumindest abstrakte Gefährdung des Durchsuchungszwecks beinhaltete. Dass das AG dem entgegenwirken musste, liegt auf der Hand.

III. Bedeutung für die Praxis

M.E. ist die Entscheidung in beiden vom LG angesprochenen Punkten nicht zutreffend.

Bleibensanordnung/ Ingewahrsamnahme

1. Hinsichtlich der Frage der – verneinten – Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Bleibensanordnung/Ingewahrsamnahme kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der etwas „störrische“ Zeuge abgestraft werden soll. Mir erschließt sich zudem nicht, warum aus § 305 StPO, der Maßnahmen erfasst, die der Fällung des gegen den Angeklagten ergehenden Urteils vorausgehen, und insoweit die Beschwerdemöglichkeit ausschließt, sich auf den Zeugen erstrecken soll. Der hat doch mit dem Urteil, das gegen den Angeklagten erlassen wird, nichts zu tun, sondern hat im Verfahren eigene Rechte und Pflichten. Diese müssen geschützt werden, indem man dem Zeugen bei ihn betreffenden Maßnahmen eine eigene Rechtsschutzmöglichkeit einräumt. Der Hinweis darauf, dass dem Angeklagten gegen die Maßnahme keine Beschwerdemöglichkeit eingeräumt sei, weil die Maßnahme der Urteilsfällung vorausgeht, ist m.E. verfehlt. Die Maßnahmen gegen einen Zeugen werden doch auf ein Rechtsmittel des Angeklagten gegen das Urteil nicht, bzw. allenfalls in Ausnahmefällen – ggf. bei unzulässigen Vernehmungsmethoden o.Ä. – überprüft. Würde man dem LG folgen, wäre der Zeuge schutzlos, was wohl nicht mit der Rechtsprechung des BVerfG zu den Rechtsschutzmöglichkeiten zu vereinbaren ist.

Telefonsperre

2. Entsprechendes gilt m.E. für die Telefonsperre. Insoweit wird verwiesen auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 2014 ff. betreffend den Beschuldigten. Die dortigen Ausführungen gelten m.E. entsprechend auch für den hier betroffenen Zeugen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…