1. Bedient sich der Strafverteidiger – ggf. auch bei nur fakultativer Nutzung – zur Übermittlung eines Schriftstücks im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das Strafgericht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA), gelten für ihn zugleich die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Ziviljustiz entwickelten Sorgfaltspflichten.
2. Mit der Vergabe eines sinnvollen Dateinamens ist nicht nur der Reduzierung des Aufwands für Gerichte bei der Führung einer elektronischen Akte gedient, sondern auch dem Rechtsanwalt, der Fehlerquellen bei der Übermittlung fristgebundener Schriftstücke auf elektronischem Wege möglichst zu eliminieren gesucht.
(Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Das AG hat den Betroffenen vom Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen hat das AG der Staatskasse auferlegt. Dem Kostenfestsetzungsantrag des Freigesprochenen hat die Rechtspflegerin des AG nur teilweise entsprochen. Die förmliche Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses an den Verteidiger ist am 27.7.2022 erfolgt.
Mit am 2.12.2022 beim AG eingegangenem Schriftsatz hat der Verteidiger darum gebeten, dem Verfahren unter dem Betreff „Diesseitige sofortige Beschwerde“ Fortgang zu gewähren. Das AG hat den Verteidiger darauf hingewiesen, dass eine sofortige Beschwerde vom 27.7.2022 in der Akte nicht feststellbar sei, und entsprechend um Überprüfung bzw. weiteren Vortrag gebeten. Der Verteidiger hat darauf am 21.12.2022 als Anlage zu einem Schriftsatz „die diesseitige sofortige Beschwerde vom 27.7.2022“ sowie einen „beA-Sendenachweis („erfolgreich“) vom 28.7.2022“ übersandt. In dem anliegenden Schriftsatz vom 27.7.2022 hat der Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.5.2022 erhoben. Der Verteidiger hat eine Dokumentation zu einer Nachricht aus dem besonderen elektronischen Postfach (beA) vorgelegt. Nach dem vorgelegten beA-Sendenachweis soll bei dem AG unter dem Dateinamen „a-b-c-d.pdf“ aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Verteidigers und unter dessen Nutzer-ID am 28.7.2022 „erfolgreich“ ein Schriftsatz übermittelt worden sein. Zugleich hat der Verteidiger vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das LG hat die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin gerichtete sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen, da sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gem. § 464b S. 4 StPO eingelegt worden sei. Es hat auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
II. Entscheidung
Voraussetzungen der Wiedereinsetzung bei beA-Nutzung im Straf-/Bußgeldverfahren
Der BGH stelle an die Nutzung des beA Sorgfaltsanforderungen. Dieser von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Maßstab an den sorgfältigen Umgang mit dem beA gelte nicht nur in der Ziviljustiz. Seit dem 1.1.2022 müssen anwaltliche Schriftsätze als elektronisches Dokument gemäß § 130d S. 1 ZPO über das beA bei Zivilgerichten eingereicht werden. Eine für die Strafjustiz gleich umfangreiche Regelung habe der Gesetzgeber bislang nicht getroffen. Mit der Einführung der §§ 32 ff. StPO habe der Gesetzgeber indes die Grundlagen für die elektronische Akte und die elektronische Kommunikation im Strafverfahren gelegt. Durch Inkrafttreten des § 32d StPO sollen Verteidiger und Rechtsanwälte den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung bestehe für die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage.
Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen
Bediene sich der Strafverteidiger – unabhängig von einer ggf. nur fakultativen Nutzung – zur Übermittlung eines Schriftstücks an das Strafgericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs des beA, gelten für ihn aber – so das LG – zugleich die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Sorgfaltspflichten. Neben der Eingangskontrolle beim Empfang von Nachrichten verlange die höchstrichterliche Rechtsprechung insbesondere eine umfangreiche Ausgangskontrolle beim Versand von beA-Nachrichten (vgl. dazu aus der Rechtsprechung BGH, Beschl. v. 17.3.2020 – VI ZB 99/19, NJW 2020, 1809; Beschl. v. 11.1.2023 – IV ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425; Beschl. v. 29.9.2021 – VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471).
Ausgangskontrolle
Die Ausgangskontrolle eines Schriftsatzes an das Gericht per beA beschränke sich nicht auf die bloße Kenntnisnahme der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 ZPO (BGH NJW 2023, 1537). Die Kontrollpflicht umfasse die erforderliche Überprüfung, ob die Übermittlung vollständig, an den richtigen Empfänger und bezogen auf den ggf. angefügten Schriftsatz erfolgreich erfolgt sei (BGH, Beschl. v. 20.9.2022 – XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715). Für die Ausgangskontrolle des elektronischen Postfachs beA bei fristgebundenen Schriftsätzen genügt jedenfalls nicht die Feststellung, dass die Versendung irgendeines Schriftsatzes mit dem passenden Aktenzeichen an das Gericht erfolgt ist, sondern anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens sei auch zu prüfen, welcher Art der Schriftsatz war (BGH, Beschl. v. 31.8.2023 – VIa ZB 24/22, NJW 2023, 3434; Beschl. v. 20.9.2022 – XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715; Beschl. v. 17.3.2020 – VI ZB 99/19, NJW 2020, 1809; Beschl. v. 21.3.2023 – VIII ZB 80/22, NJW 2023, 1668).
Bei der Vergabe eines „sinnvollen“ Dateinamens, der ohne Weiteres auch Rückschlüsse auf den Inhalt des Dokuments zulässt, könne sich der sorgfältige beA-Nutzer an den formalen Anforderungen der am 20.9.2017 erlassenen Verordnung der Bundesregierung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) orientieren. Zu den formalen Anforderungen an elektronische Dokumente sehe § 2 Abs. 2 ERVV vor: Der Dateiname solle den Inhalt des elektronischen Dokuments schlagwortartig umschreiben und bei der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente eine logische Nummerierung enthalten. Der Dateiname des Schriftsatzes soll der üblichen Bezeichnung in der jeweiligen Prozessordnung entsprechen, also beispielsweise als Klageschrift, Klageerwiderung, Berufungs- oder Revisionsschrift oder Kostenfestsetzungsantrag bezeichnet werden. Der Schriftsatz und die Anlagen sollen neben der Inhaltsbezeichnung durch die Voranstellung einer Nummerierung (etwa 01, 02, 03 …) geordnet werden (BR-Drucks 645/17, S. 2, 13).
Anforderungen hier nicht erfüllt
Diesen Anforderungen sei die Ausgangskontrolle des Verteidigers des Betroffenen unter Zugrundelegung des Wiedereinsetzungsvortrags nicht gerecht geworden. Die vom Verteidiger vorgelegte Dokumentation zur beA-Nachricht lasse nicht den Schluss zu, dass die sofortige Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist des § 464b S. 4 StPO beim AG eingegangen sei. Den Darlegungen lasse sich nämlich nicht entnehmen, dass der Verteidiger eine hinreichende Ausgangskontrolle in Eigenverantwortung gewährleistet habe. Ohnehin würde die Kontrolle des zu übersendenden Dokuments durch eine Kanzleikraft im Vorfeld des elektronischen Versands nicht zu einer Herabsetzung der Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung der Eingangsbestätigung führen (BGH, Beschl. v. 31.8.2023 – VIa ZB 24/22, NJW 2023, 3434).
Aus dem vorgelegten Prüfprotokoll für den 28.7.2022 über Schriftsätze in dieser Sache ergebe sich, dass hier die der beA-Nachricht angehängte Datei „a-b-c-d.pdf“ versandt worden sei. Für diese Tatsache genüge der vorgelegte beA-Sendenachweis. Soweit der Verteidiger darüber hinaus mit der Vorlage auch den Nachweis zu erbringen versuche, dass es sich bei dem Anhang inhaltlich um die sofortige Beschwerde handelte, gelinge das nicht. Eine sorgfältige Ausgangskontrolle anhand eines sinnvoll gewählten Dateinamens habe der Verteidiger versäumt.
Bei dem von dem Verteidiger frei gewählten Dateinamen handele es sich um den Nachnamen des Beschwerdeführers, wobei die einzelnen Buchstaben jeweils mit einem „Bindestrich“ voneinander getrennt seien. Anhand der verkürzten Form des Dateinamens sei noch erkennbar, dass hier ein Schriftstück mit Bezug zum Betroffenen versandt worden sei. Nicht feststellbar sei hingegen, ob das Schriftstück einen Bezug zu diesem Bußgeldverfahren aufweise. Der Dateiname sei nicht geeignet, eine Verwechslung auszuschließen. Eine Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren oder eine hinreichende Unterscheidung von anderen Dokumenten im selben Verfahren sei durch den gewählten Dateinamen nicht möglich. Rückschlüsse auf den Inhalt des angehängten Dokuments lasse der gewählte Dateiname nicht zu. Der Verteidiger habe zudem die reale Gefahr einer Verwechslung hervorgerufen: Für die Übersendung eines vorangegangenen Schriftsatzes vom 25.4.2022 und eines nachfolgenden Schriftsatzes vom 2.12.2022 hat der Verteidiger ebenfalls die gleichlautende Dateibezeichnung „a-b-c-d.pdf“ gewählt. Aufgrund des unklaren Dateinamens könne der vorgelegte beA-Sendenachweis nicht dem Nachweis dafür dienen, dass Inhalt des am 28.7.2022 übermittelten Anhangs die vermeintlich unter dem 27.7.2022 erhobene sofortige Beschwerde sei.
Zurechnung des Verschuldens
Für das Verschulden seines anwaltlichen Vertreters habe der Betroffene einzustehen. Eine solche Zurechnung finde im Strafverfahren zwar nicht durchgehend statt. Eine Ausnahme sei jedoch nur zugunsten des Beschuldigten anerkannt und dies auch nur, soweit er sich gegen den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch zur Wehr setze. So sei es den Strafgerichten regelmäßig verwehrt, dem Beschuldigten Versäumnisse des Verteidigers zuzurechnen, wenn zu prüfen sei, ob ihn an einer Fristversäumung gem. § 44 Abs. 1 S. 1 StPO ein Verschulden treffe (vgl. BVerfG NJW 1994, 1856). Den allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichstehe, kenne die StPO nicht (vgl. BVerfGE 60, 253 = NJW 1982, 2425). Auf dieses Privileg könne sich ein Beschuldigter nur berufen, soweit er sich mit einem Rechtsbehelf gegen den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wende, welche sich besonders einschneidend auf Ehre, Freiheit, Familie, Beruf und damit sein gesamtes Leben auswirken können. Bei anderweitigen Rechtsbehelfen müsse dagegen auch er für das Verschulden seines Vertreters einstehen. Das betreffe etwa die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 464 Abs. 3 StPO, da diese in ihrem Wesen und ihren Auswirkungen Schuldtiteln über Geldforderungen vergleichbar sei, sodass § 85 Abs. 2 ZPO jedenfalls seinem allgemeinen Rechtsgedanken nach angewendet werde (BGH, Beschl. v. 4.7.2023 – 5 StR 145/23, NJW 2023, 3304).
Dem stehe die Kostenfestsetzung nach § 464b StPO gleich. Der Betroffene müsse sich das Verschulden des Verteidigers i.S.d. § 85 Abs. 2 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO zurechnen lassen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2024, § 44 Rn 19). In diesem Fall bestehe nicht das besondere Schutzbedürfnis, das allein die Ausnahme von dem Grundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO für den sich verteidigenden Beschuldigten rechtfertige.
III. Bedeutung für die Praxis
Eindeutiger Dateiname
Eine sorgfältig begründete Entscheidung, die m.E. auch zutreffend ist. Zwar ist der Einsatz des beA nach den Regelungen in § 32d StPO im Straf- bzw. Bußgeldverfahren ggf. nur fakultativ. Das bedeutet aber dann nicht, dass der Verteidiger, wenn er das beA nutzt, nicht an die vom BGH aufgestellten Regeln für eine sichere Übermittlung der Dokumente gebunden ist. Letztlich ist eine Rosinenpickerei nicht zulässig. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil es m.E. nicht so schwierig ist, einem Dokument einen Dokumentennamen zu geben, der die Unterscheidung von anderen Dokumenten ermöglicht. Dafür ist sicherlich allein der Name des Mandanten nicht ausreichend. Aber Mandantenname und kurze Beschreibung des Inhalts des Dokuments sollte ausreichen, also z.B. „abcd-beschwerde-27-02-22“, um erkennen zu können, um welches Dokument es sich handelt. Die BRAK stellt zudem beA-Nutzern zum erleichterten Umgang über ihren frei zugänglichen Internetauftritt (vgl. https://portal.beasupport.de/neuigkeiten/nachweis-ueber-den-zugang-von-nachrichten-bei-gerichten-stellungnahme-der-brak) eine umfangreiche Anwenderhilfe und Support im Umgang mit der Nutzung des beA zur Verfügung, deren sich beA-Nutzer bedienen können, und informiert insbesondere zum Nachweis über den Zugang von Nachrichten bei Gerichten am Maßstab höchstrichterlicher Rechtsprechung praxis- und anwenderfreundlich. Es gilt sicherlich: Aller Anfang ist schwer, aber: Eine vernünftige Ausgangskontrolle sollte auch im eigenen Interesse erfolgen.