SkyECC-Daten unterliegen auch nach Inkrafttreten des KCanG keinem Beweisverwertungsverbot.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Haftbefehl wegen Handeltreibens mit BtM in nicht geringer Menge
Gegen den Beschuldigten wurde im November 2023 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen Haftbefehl erlassen. Er sei in der Summe mit über 1,8 Tonnen Cannabis befasst gewesen, wovon ca. 567 Kilogramm auch umgesetzt worden seien. Die Betäubungsmittel seien jedenfalls teilweise aus Spanien nach Deutschland geliefert worden. Der dringende Tatverdacht beruht auf SkyECC-Daten.
Haftbeschwerde erfolglos
Mit seinem Rechtsmittel begehrte der Beschuldigte die Aufhebung, hilfsweise die Außervollzugsetzung des Haftbefehls. In der Beschwerdebegründung trug er im Wesentlichen vor, dass die SkyECC-Daten nach Inkrafttreten des KCanG nicht mehr verwertbar seien. Das LG hat die Beschwerde als unbegründet verworfen.
II. Entscheidung
Weiterhin dringender Tatverdacht
Nach Auffassung der Strafkammer ist der Beschuldigte der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten, nach Inkrafttreten des KCanG strafbar gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG, dringend verdächtig. Die im Haftbefehl dargestellten Fälle ließen sich anhand der SkyECC-Chatinhalte nachvollziehen.
Kein Beweisverwertungsverbot
Die SkyECC-Daten seien auch verwertbar, die Einführung des KCanG ändere hieran im Ergebnis nichts. Dabei stellt die Kammer nicht in Abrede, dass § 100b StPO lediglich Straftaten nach § 34 Abs. 4 KCanG erfasst, also das bandenmäßig oder bewaffnet begangene, nicht aber das „einfache“ Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge. Dies stehe der Verwertbarkeit der Daten aber nicht entgegen.
BGH-Rspr. steht nicht entgegen
Zwar habe der BGH in seinem Beschluss zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten (Beschl. v. 2.3.2022 – 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539) auf § 100e Abs. 6 StPO als Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau abgestellt und damit an die Voraussetzungen des § 100b StPO angeknüpft. Dies bedeute jedoch nicht, dass Daten unterhalb dieses Schutzniveaus in keinem Fall verwertbar sind.
Interessenabwägung
Aus der Entscheidung des BGH ergebe sich deutlich, dass dieser die Daten im Grundsatz immer für verwertbar hält, wenn die Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO vorliegen. Hieraus folge aber nicht im Umkehrschluss, dass sie andernfalls nicht verwertbar seien. Vielmehr komme dem Kernbereichsschutz und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zu. Hierfür könne auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgegriffen werden, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt. Im Ergebnis fordere der BGH eine restriktive Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung der Eingriffsintensität, der Schwere der Straftat, der Intensität des Tatverdachts und des staatlichen Aufklärungsinteresses. Dabei sei im Einzelfall das Interesse des Staates an der Tataufklärung gegen das Individualinteresse des Bürgers an der Bewahrung seiner Rechtsgüter abzuwägen.
Handeltreiben als schwere Straftat
Gemessen hieran seien die SkyECC- Daten weiterhin verwertbar. Der Beschuldigte sei dringend tatverdächtig, und der Tatverdacht beziehe sich auf schwere Straftaten. Auch nach der Reduzierung des Strafrahmens stelle das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge im Grundsatz eine schwere Straftat dar, was bereits die Aufnahme in den Katalog des § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 7a StPO demonstriere. Angesichts der teilweise im dreistelligen Kilogrammbereich liegenden Mengen und der Verstrickung des Beschuldigten in den grenzüberschreitenden Drogenhandel von Spanien nach Deutschland sowie aufgrund seiner Einbindung in ein Netzwerk aus Lieferanten, Logistikern, Investoren und Verkäufern und seiner zahlreichen Kontakte in weitere europäische und außereuropäische Länder handele es sich auch im Einzelfall um sehr schwerwiegende Taten. Weiter sei von Bedeutung, dass die vorgenommene Maßnahme nach deutschem Recht jedenfalls teilweise nach § 100 Abs. 1 StPO gerechtfertigt wäre, also gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 7a StPO auch beim Vorwurf des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Cannabis.
Fluchtgefahr
Schließlich bejaht die Strafkammer auch den Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Beschuldigte habe mit einer Freiheitsstrafe am oberen Ende des Strafrahmens sowie mit dem Widerruf offener Reststrafen zu rechnen. Ausreichende fluchthemmende Umstände seien nicht ersichtlich.
III. Bedeutung für die Praxis
Allzu „ergebnisorientierte“ Entscheidung
Der Strafkammer ist gewiss zu folgen, wenn sie Delikte, wie sie dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegen, als schwerwiegende Straftaten bezeichnet. Das Handeltreiben mit Cannabis weit im Tonnenbereich wird, ein Tatnachweis mit verwertbaren Beweismitteln vorausgesetzt, trotz der verglichen zur früheren Rechtslage teils deutlich gemilderten Strafrahmen weiterhin mit erheblichen Freiheitsstrafen geahndet werden müssen. Auch ist es der Bevölkerung sicherlich kaum bzw. überhaupt nicht vermittelbar, wenn solche Täter nicht belangt werden können, weil der Gesetzgeber – aus welchem Grund und mit welcher Motivation auch immer –den Katalog des § 100b Abs. 2 StPO so gestaltet hat, dass bestimmte Ermittlungsmaßnahmen nur noch bei bandenmäßigem oder bewaffnetem Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge möglich sind. Zur Abhilfe ist indes allein der Gesetzgeber berufen, wohingegen es, so unbefriedigend der neue Rechtszustand auch sein mag, weder Aufgabe noch Befugnis der Gerichte ist, in Beschlussform gekleidet Rechtspolitik zu betreiben oder Gerechtigkeitslücken durch die Uminterpretation höchstrichterlicher Entscheidungen schließen zu wollen. Dieser Versuchung scheint das LG vorliegend jedoch erlegen zu sein, denn der Beschluss wirkt allzu „ergebnisorientiert“.
Unvereinbar mit den Vorgaben des BGH
Insbesondere lässt er sich nicht mit den Vorgaben des BGH, die in SkyECC-Fällen ebenso zur Anwendung kommen dürften wie in EncroChat-Verfahren, vereinbaren. Denn der BGH hat in seiner grundlegenden Entscheidung (Beschl. v. 2.3.2022 – 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539) ausdrücklich festgehalten, dass die im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung einer Straftat, aufgrund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können, verwertet werden dürfen. Eine „Hintertür“ dahingehend, dass auch unterhalb dieser Schwelle eine Verwertbarkeit in Betracht kommt, lässt sich den höchstrichterlichen Ausführungen dagegen nicht entnehmen. Daher hat etwa das KG (Beschl. v. 30.4.2024 – 5 Ws 67/24, StRR 6/2024, 19 [in dieser Ausgabe]) eine Verwertbarkeit (in EncroChat-Verfahren) zutreffend und mit überzeugender Begründung verneint.