Beitrag

Verklammerung zweier Fahrten ohne Fahrerlaubnis durch BtM-Besitz

1. Zwischen zwei selbstständigen Delikten kann durch das Vorliegen eines dritten Delikts Tateinheit hergestellt werden, wenn mit diesem jedes der beiden Delikte ideal konkurriert.

2. Eine solche Klammerwirkung ist dann anzunehmen, wenn zwischen dem dritten und zumindest einem der beiden verbundenen Delikte „annähernde Wertgleichheit“ besteht, was anhand der konkreten Gewichtung der Taten festzustellen ist.

(Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 4.7.20232 StR 178/23

I. Sachverhalt

Zwei Fahrten, ein BtM-Besitz

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt. Der Angeklagte fuhr mit einem Kfz im öffentlichen Verkehr, ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. In seiner rechten Hosentasche führte er 1,33 g Kokainzubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 82,1 % mit sich. Die Fahrt unternahm er jedenfalls auch zum Zwecke des Transports der Betäubungsmittel. Nach einer einige Minuten dauernden Unterbrechung der Fahrt, zu der er das Auto verlassen hatte, entschloss er sich erneut zu einer Fahrt. Er bestieg ein anderes Auto und fuhr damit davon, bevor er von der Polizei gestellt wurde. Die Revision des Angeklagten hat zu einer Schuldspruchberichtigung dahingehend geführt, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei tateinheitlichen Fällen strafbar ist.

II. Entscheidung

Grundlagen zur Verklammerung

Das LG sei zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG in zwei tatmehrheitlichen Fällen verwirklicht hat. Es habe weiter zu Recht angenommen, dass der Angeklagte während beider Taten durch das Beisichführen des Kokains (zum Eigengebrauch) jeweils tateinheitlich unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln ausübte (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG). Allerdings habe die Strafkammer zu Unrecht von einer Verklammerung der Taten nach § 21 Abs. 1 StVG durch § 29 BtMG abgesehen. Zwischen zwei eigentlich selbstständigen Delikten könne durch das Vorliegen eines dritten Delikts Tateinheit hergestellt werden, wenn mit diesem jedes der beiden Delikte ideal konkurriert. Eine solche Klammerwirkung sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn zwischen dem dritten und zumindest einem der beiden verbundenen Delikte „annähernde Wertgleichheit“ besteht (Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, vor § 52 Rn 30 m.N. zur Rspr.). Dabei sei der Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierten Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen; minder schwere Fälle oder wegen vertypter Milderungsgründe vorzunehmende Strafrahmenverschiebungen seien mithin zu berücksichtigen (BGHSt 33, 4, 7 = NJW 1984, 2838; BGH NStZ 2005, 262; NStZ 2009, 692; NStZ-RR 2013, 147, 149).

Verklammerung liegt hier vor

Gemessen daran lägen die Voraussetzungen für eine Verklammerung vor. Die von dem Angeklagten begangenen Straßenverkehrsdelikte wögen nicht „maßgeblich schwerer als der Besitz einer geringen Menge Betäubungsmittel, die ausschließlich zum Eigenkonsum bestimmt war“. Der vorzunehmende Wertevergleich ergebe auch bei konkreter Gewichtung der Taten vielmehr, dass der Unrechtsgehalt des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG jedenfalls nicht hinter demjenigen des Straßenverkehrsdelikts zurückbleibt. Dies folge schon aus dem Vergleich der Strafrahmen, der deutlich mache, dass § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG im Ausgangspunkt weit größeres Unrecht erfasst als § 21 Abs. 1 StVG, und gelte hier auch unter Berücksichtigung von § 29 Abs. 5 StGB, der ein Absehen von Strafe beim Besitz einer geringen Menge zum Eigenverbrauch ermöglicht. Denn ein solcher Fall sei nicht gegeben, weswegen das LG § 29 Abs. 5 BtMG in seine „konkrete“ Betrachtung gar nicht hätte aufnehmen dürfen. In der Sache nehme die Strafkammer bei ihrem Vergleich der verwirklichten Delikte auch keine „konkrete Gewichtung“ der von dem Angeklagten begangenen Taten vor, denn dann hätte sie einerseits etwa Art und Menge des Betäubungsmittels sowie Dauer des Besitzes und andererseits die Länge der Fahrstrecke und die damit einhergehende Gefährdung von Verkehrsteilnehmern in den Blick nehmen und daran den Unrechtsgehalt der Taten bestimmen müssen. Sie gewichte letztlich den abstrakten Unrechtsgehalt der vom Angeklagten begangenen Straftaten, dies allerdings unter Missachtung der vom Gesetzgeber getroffenen Wertungen, nach eigenen Maßstäben. Dass dieser Betrachtung eine abstrakte Sichtweise zugrunde liegt, werde schließlich auch in der konkreten Strafzumessung deutlich, die die Wertung des LG bei der Konkurrenzfrage nicht aufnimmt. Dort entnehme das LG die Strafen jeweils dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG, ohne – was ansonsten nahegelegen hätte – darauf hinzuweisen, dass der Besitz der Betäubungsmittel zum Eigenkonsum erfolgt ist und deshalb am unteren Rand des von § 29 Abs. 1 BtMG erfassten Unrechtsgehalts liegt. Ebenso wenig werde strafschärfend auf die tateinheitliche Begehung des nach Ansicht des LG in seinem Unrechtsgehalt maßgeblich schwerer wiegenden Straßenverkehrsdelikts hingewiesen. Mit der Annahme einer Verklammerung liege insoweit nur eine statt zwei Taten vor.

III. Bedeutung für die Praxis

Nachvollziehbar

Die Unterbrechung einer Fahrt ohne Fahrerlaubnis bewirkt die Aufspaltung in zwei in Tatmehrheit begangene Taten, wenn die Unterbrechung nicht bloß kurzfristig ist und die Weiterfahrt auf einem neuen Entschluss beruht (BGH NStZ-RR 2021, 222). Ein kurzer Halt etwa an einer Tankstelle genügt nicht (BGH DAR 2004, 229; NStZ-RR 2011, 212 = VRR 2010, 469 [Burhoff]). Hier war schon wegen des neuen Entschlusses und des Wechsels des Fahrzeugs die Annahme von zwei Taten begründet. Die Verklammerung durch den überschießenden einfachen Besitz von Betäubungsmitteln nach dem Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG drängt sich nicht zwingend auf. Angesichts des Erfordernisses einer konkreten Gewichtung anhand der Tatumstände ist die Bewertung des BGH hier aber nachvollziehbar. Überhaupt ist der BGH recht großzügig, was die Annahme von Tateinheit beim Zusammentreffen vom Fahren ohne Fahrerlaubnis mit anderen Delikten angeht (etwa mit Urkundenfälschung und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort BGH NZV 2019, 37 m. Anm. Sandherr; BGH NStZ-RR 2022, 258); mit Kennzeichendiebstahl, Urkundenfälschung und Tankbetrug (BGH NStZ-RR 2020, 384) und der Nutzung des Fahrzeugs zu Diebesfahrten (BGH NStZ-RR 2021, 222).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…