Das Gericht kann einen Strafbefehl mit einer vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden Kostenentscheidung erlassen; § 408 Abs. 3 S. 2 StPO steht dem nicht entgegen.
(Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
AG hat Bedenken gegen den Strafbefehlsantrag der StA
Die StA hatte den Erlass eines Strafbefehls u.a. mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte beantragt. Der Angeklagte habe sich tätlich der Ingewahrsamnahme durch die Polizei wegen Trunkenheit widersetzt und die Polizeibeamten dabei beleidigt. Da der Angeklagte nach den Feststellungen der Polizei am Tattag gegen 0:55 Uhr „volltrunken“ auf dem Gehweg gelegen sei und sich in „einem die freie Willensausübung ausschließenden Zustand“ befunden habe, gab das AG die Sache wegen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten an die StA zurück und regte an, den Vorwurf auf (fahrlässigen) Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Blutalkoholkonzentration, die für die um 3:48 Uhr entnommene Blutprobe 1,77 ‰ betrug, ablehnte.
StA holt SV-Gutachten ein …
Das daraufhin vom AG eingeholte Sachverständigengutachten kam zum Ergebnis, dass – nach Aktenlage – von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,54 ‰ und einer erheblichen Minderung des Steuerungsvermögens auszugehen sei, wobei ihre vollständige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden könne.
… und stellt Strafbefehlsantrag um
Der erneuten, nunmehr zusätzlich auf das Gutachten gestützten Anregung des Gerichts, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, kam die StA zwar dann mit dem Antrag vom 6.6.2023 unter Vorlage eines entsprechend neu gefassten Entwurfs des Strafbefehls nach. Der Auffassung des AG, dass es hinsichtlich der Kostenentscheidung im Strafbefehl angezeigt erscheine, die Auslagen für das Gutachten gemäß § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, verschloss sie sich indes, sodass der von ihr vorbereitete Strafbefehlsentwurf hinsichtlich der Kosten vorsah, dass der Angeklagte „die Kosten des Verfahrens und [seine] notwendigen Auslagen zu tragen“ habe; eine Kostentragungspflicht des Angeschuldigten einschließlich der Kosten für das rechtsmedizinische Gutachten sei nicht zu beanstanden, weil vorliegend keine abweichende Entscheidung aus Gründen der Billigkeit geboten sei, wie es bei einem sog. fiktiven Freispruch oder bei Reduzierung des Tatvorwurfs auf ein minder schweres Delikt der Fall sei.
Strafbefehl ergeht mit abweichender Kostenentscheidung
Das AG hat den Strafbefehl erlassen, aber eine vom Entscheidungsentwurf der StA abweichende Kostenentscheidung getroffen.
II. Entscheidung
Kostenentscheidung ist nicht Rechtsfolge
Zwar bestimme § 408 Abs. 3 S. 2 StPO, dass der Richter nicht eigenmächtig einen Strafbefehl mit einem vom Antrag abweichenden Inhalt erlassen dürfe, sondern Hauptverhandlung anberaume, wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen wolle und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharre. Die Kostenentscheidung sei aber nicht Rechtsfolge in diesem Sinne, selbst wenn sie – wie hier – bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten sei. Vielmehr umfasse der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat i.S.d. Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des StGB.
Gesetzeshistorie
Ursprünglich habe § 408 StPO in der § 448 der Strafprozessordnung vom 1.7.1877 (RGBl, S. 253) entsprechenden Fassung (RGBl I 1924, S. 322) bestimmt, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine bestimmte Strafe zu richten (Abs. 1 S. 1) und die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen sei, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen wolle und die Staatsanwaltschaft auf ihrem Antrag beharre (Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit S. 1); zugleich habe § 464 Abs. 1 S. 1 StPO, wie immer noch, bestimmt, dass jeder Strafbefehl darüber Bestimmung treffen müsse, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen seien. An dieser inhaltlichen Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und der – im Übrigen auch ohne Antrag der StA von Amts wegen zu treffenden (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn 1) – Kostenentscheidung hat sich seitdem nichts geändert. Lediglich der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens sei durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl I, S. 921) um die Festsetzung bestimmter Nebenfolgen sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung neben der Strafe erweitert worden, wobei diese Aufzählung später zur sprachlichen Anpassung unter Übernahme des Begriffes aus dem Strafgesetzbuch (BT-Drucks 7/550, S. 300, 306) mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 (BGBl I S. 469) durch „Rechtsfolge“ ersetzt worden sei.
§ 465 Abs. 2 StPO
Die Kostenentscheidung beruhe auf § 465 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und 2 StPO. Wegen seiner Verurteilung habe der Angeklagte grundsätzlich die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Ihn mit den Auslagen für das Gutachten zu belasten, wäre jedoch – so das AG – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand unbillig, weil diese Auslagen nur entstanden seien, um die StA, die trotz gewichtiger Anhaltspunkte für die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit zunächst auf ihrem Strafbefehlsantrag beharrte, davon zu überzeugen, dass lediglich hinreichender Tatverdacht wegen Vollrauschs bestehe.
III. Bedeutung für die Praxis
Zutreffend
1. M.E. hat das AG seine Auffassung überzeugend begründet. Die Frage der Kostentragungspflicht ist keine Rechtsfolge der Tat, die durch den Erlass des Strafbefehls geahndet werden soll.
Kein Rechtsmittel der StA
2. Im Übrigen: Das AG weist darauf hin, dass die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen für die StA gem. § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO unanfechtbar ist, weil ihr – jedenfalls bei antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls wie hier – kein eigenes Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung zusteht (MüKo-StPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 410 Rn 41; LR-StPO, 27. Aufl. 2022, § 408 Rn 40; KK-StPO/Maur, 9. Aufl. 2023, § 408 Rn 16).