Das Aufzeichnen einer Personenkontrolle mittels Mobiltelefons erfüllt nicht den Tatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn der kontrollierende Polizeibeamte seinerseits den Vorgang zum Zwecke der Beweissicherung mit einer Bodycam dokumentiert. Die im Rahmen der Kontrolle getätigten Äußerungen des Beamten sind in diesem Fall nicht als „nichtöffentlich“ anzusehen.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Personenkontrolle
Der Beschuldigte wurde als Beifahrer eines Pkw gegen 0:40 Uhr einer polizeilichen Kontrolle unterzogen, nachdem der Fahrer des Fahrzeugs zur Nachtzeit neben dem entgegenkommenden Streifenwagen ohne verkehrsbedingten Anlass die Hupe betätigt hatte.
Polizeibeamte gefilmt
Bei der Durchführung der Kontrolle verhielten sich die im Fahrzeug befindlichen Personen unkooperativ. So weigerten sie sich, die Innenbeleuchtung des Fahrzeugs einzuschalten, zudem störte der Beschuldigte die polizeilichen Maßnahmen durch Zwischenrufe und leuchtete einem Beamten mit der Lampe seines Mobiltelefons in das Gesicht. Aufgrund weiterer Provokationen des mutmaßlich alkoholisierten Beschuldigten wurde Verstärkung hinzugezogen. Zudem startete einer der Beamten nach entsprechender Ankündigung mit seiner dienstlichen mitgeführten Bodycam eine Ton- und Videoaufnahme, woraufhin der Beschuldigte seinerseits begann, den Beamten mit seinem Mobiltelefon zu filmen. Der Aufforderung, dies zu unterlassen, kam er nicht nach, weshalb schließlich der von der Polizei kontaktierte Bereitschaftsstaatsanwalt telefonisch die Sicherstellung des Mobiltelefons des Beschwerdeführers anordnete.
Beschlagnahme eines Mobiltelefons
In der Folge ordnete das AG die Beschlagnahme des Mobiltelefons an. Der Beschwerdeführer sei einer Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB verdächtig.
Beschwerde erfolgreich
Auf die Beschwerde des Beschuldigten hat das LG den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben.
II. Entscheidung
Kein Anfangsverdacht
Nach Auffassung der Beschwerdekammer besteht trotz einer an sich tauglichen Tathandlung kein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten des Beschuldigten.
Tatbestandsmerkmal „nichtöffentlich“ nicht erfüllt
Zwar seien die Äußerungen des Polizeibeamten im Ausgangspunkt nichtöffentlich gewesen. Die Kontroll- und Gesprächssituation mit Personen, die sich nachts um 0:40 Uhr in einem Fahrzeug befinden und mit denen zwei Polizeibeamte durch die geöffneten Türen oder Fenster kommunizieren, sei selbst für einen zufällig passierenden Fußgänger gerade einmal in Gesprächsfetzen inhaltlich verfolgbar, solange er sich nicht in unmittelbarer Nähe dazu stellt, um aktiv mitzuhören. Diese Begrenztheit des Personenkreises sei allen Beteiligten einer solchen nächtlichen Kontrolle auch bewusst.
Bodycam
Jedoch sei das Gespräch zwischen dem Polizeibeamten und dem Beschuldigten spätestens in dem Moment nicht mehr nichtöffentlich gewesen, als der Beamte nach vorangegangener Ankündigung seine dienstlich gelieferte Bodycam einschaltete und damit seinerseits das Gespräch zu Beweiszwecken auf ein Speichermedium aufnahm. Eine solche Gesprächssituation nehme gemessen an Wortlaut, Entstehungsgeschichte und insbesondere dem Strafzweck des § 201 StGB nicht mehr an dessen Schutz teil. Die bislang in der Rechtsprechung diskutierte Frage, ob ein Gespräch seinen nichtöffentlichen Charakter bereits dadurch verliert, dass es sich um eine polizeiliche Maßnahme handelt, könne daher offenbleiben.
Schutzzweck der Norm
Schutzgut bzw. Normzweck des § 201 StGB seien der Schutz der Privatsphäre sowie das Recht auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung und die Wahrung der Unbefangenheit des gesprochenen Wortes. Das, was als flüchtige Lebensäußerung gemeint gewesen sei, dürfe nicht in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt werden. Vorliegend verhalte es sich jedoch so, dass die den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Anspruch nehmenden Äußerungen gerade von einem Polizeibeamten stammten, der diese nicht nur im hoheitlichen Kontext abgab, sondern gleichzeitig noch deren bestimmungsgemäße Aufnahme auf gesetzlicher Grundlage herbeiführte. Der Beamte habe dabei damit gerechnet, dass die dem Beschuldigten mitgeteilte und für etwaige Ermittlungsakten dauerhaft gesicherte Aufnahme zur Folge hat, dass die Worte der Beamten gerade nicht mehr unbefangen erfolgen können, wie dies bei einer flüchtigen und gerade nicht reproduzierbar konservierenden Aussage der Fall sei. Zudem habe der betroffene Beamte im vorliegenden Fall gewusst, dass seine Worte zu einem späteren Zeitpunkt von weiteren Ermittlungsbeamten oder einem Gericht abgehört werden könnten und habe diese Wirkung der Natur der gewählten Maßnahme entsprechend auch angestrebt. In einem solchen Fall liege nicht unbefangenes Reden auf der Hand, sondern vielmehr das Bemühen um eine höchst konzentrierte, präzise auf die Ausführung des rechtlichen Rahmens abgestimmte Kommunikation.
Bestimmtheitsgrundsatz
Darüber hinaus sehe sich die Kammer auch unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Bestimmtheit strafrechtlicher Gesetze zu einer normzweckentsprechenden Beschränkung veranlasst. Bereits in den Fällen der sogenannten faktischen Öffentlichkeit sei bedenklich, dass es letztlich vom einzelfallbedingten Zufall abhänge, ob eine Kenntnisnahme oder deren Möglichkeit durch Unbeteiligte stattfindet. Bei dem Einsatz von Bodycams träten zudem Anhaltspunkte für die Annahme hinzu, dass der Bürger sich in einem immer weitergehend von Handybild- und -tonaufnahmen beherrschten Alltag dazu berechtigt sieht, für ihn bedeutsame Ereignisse zu filmen – wenn auch nicht stets verbreiten zu dürfen. Dabei stünden das Interesse der Bürger daran, Polizeiarbeit transparent dokumentieren zu dürfen, auf der einen Seite und das Interesse der Polizeibeamten an einer nicht durch das Filmen gestörten Arbeit auf der anderen Seite in einem Spannungsverhältnis. Insbesondere vor dem Hintergrund der Gefahr von möglichen ausschnittweisen und aus dem Zusammenhang gelösten Veröffentlichungen entsprechender Aufnahmen könne ein polizeiliches Interesse am Unterlassen der Anfertigung solcher Aufnahmen durchaus denkbar sein. Diesen Interessenwiderstreit zu lösen obliege indes nicht mehr rechtsfortbildend den Strafgerichten im Wege einer mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Schutzzweck der Norm in Widerstreit tretenden Auslegung des Begriffs der Nichtöffentlichkeit. Die konkret bestimmte Androhung von Strafe für die Aufnahme polizeilicher Maßnahmen oder der Verzicht darauf sei vielmehr Sache des Gesetzgebers.
III. Bedeutung für die Praxis
Interessenkonflikt Polizei – Bürger
Polizeibeamte haben ein legitimes, auch von der Strafkammer nicht in Abrede gestelltes Interesse daran, ihrer oft schwierigen Arbeit ohne Behinderungen nachgehen zu können. Jedenfalls bei bestimmten Einsätzen sind überdies Geheimhaltungsinteressen tangiert. Umgekehrt besteht ein legitimes Interesse der Bürger, ihrerseits Beweissicherung betreiben zu können, etwa zum Zwecke einer späteren gerichtlichen Überprüfung bestimmter polizeilicher Maßnahmen, auch wenn freilich, wie auch der vorliegende Fall nahelegt, die Aufzeichnung nicht selten primär die Provokation der Beamten bezweckt. Gleichwohl muss zwischen den widerstreitenden Interessen ein angemessener Ausgleich gefunden werden.
§ 201 StGB ungeeignet
Die vorliegende, sehr ausführlich und sorgfältig begründete Entscheidung zeigt jedoch, dass § 201 StGB insoweit kein geeignetes Instrument darstellt. Zu Recht weist das LG darauf hin, dass die Vorschrift ursprünglich zu einem völlig anderen Zweck geschaffen wurde, und in der Tat zeigen sich in der Praxis nicht nur Auslegungsschwierigkeiten, sondern auch Gerechtigkeitsdefizite, wenn es in den Fällen der faktischen Öffentlichkeit letztlich vom Zufall abhängt, ob ein bestimmtes Verhalten im konkreten Einzelfall strafbar ist oder nicht. Der Ruf nach dem Gesetzgeber ist an dieser Stelle daher mehr als berechtigt.
Verweis auf Bodycam-Einsatz nicht überzeugend
Fraglich erscheint allerdings, ob der Einsatz einer Bodycam tatsächlich dazu führt, dass, wie die Kammer meint, „vergleichbar mit der Fallgruppe einer faktischen Öffentlichkeit“ die Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Worts entfällt. Denn auch ohne eine solche Aufzeichnung handelt es sich bei Äußerungen von Polizeibeamten im Rahmen einer Personenkontrolle nicht um flüchtige Aussagen, sondern um solche innerhalb eines vorgegebenen (polizeirechtlichen) Rahmens. Anlass zu einer Differenzierung zwischen den nicht aufgezeichneten und mittels Bodycam aufgezeichneten polizeilichen Maßnahmen gibt dies nicht. Darüber hinaus überzeugt auch der Hinweis darauf, dass die Worte des Beamten zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht abgehört werden können, nicht. Denn auch ohne Aufzeichnung besteht jederzeit die Möglichkeit, dass die Äußerungen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu einem späteren Zeitpunkt wiedergegeben werden, wenn auch nicht durch das Abspielen von Aufzeichnungen, sondern im Wege der Einvernahme von Zeugen. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich die Linie der Kammer in der Rechtsprechung durchsetzen wird. Verteidigungsansätze bietet sie indes allemal.