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Urteilsgründe bei Fahreridentifizierung anhand eines Lichtbildes

1. Sieht der Tatrichter von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist.

2. Bei der Zurückweisung eines Beweisantrags wegen verspäteten Vorbringens (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) ist im Beschluss zu begründen, weshalb nach Auffassung des Gerichts für die späte Antragstellung kein verständiger Grund vorliegt.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.7.20231 ORBs 77/23

I. Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 600 EUR verurteilt und ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte.

Das AG hatte zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrer zum Vorfallszeitpunkt u.a. ausgeführt, dass auf den vom Messgerät gefertigten Lichtbildern der Betroffene gut als Fahrzeugführer zu erkennen sei. Hohe Stirn, rundes Gesicht, relativ große Ohren seien die Kennzeichen, die der Fahrzeugführer aufweise, aber auch der Betroffene. Der Betroffene sei „für den erkennenden Richter so eindeutig zu identifizieren, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens hierzu nicht bedurfte“.

II. Entscheidung

Das OLG hat das Urteil aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen, weil die Beweiswürdigung zur Identität des Betroffenen mit dem bei Begehung des Verkehrsverstoßes abgelichteten Fahrzeugführer lückenhaft sei. Die Ausführungen des AG lassen nach Auffassung des OLG nämlich nicht in der erforderlichen Weise erkennen, ob das AG sich rechtsfehlerfrei von der Täterschaft des Betroffenen überzeugt habe. Zwar habe über die Frage der Identifizierung eines Betroffenen als die auf dem Messfoto abgebildete Person allein der Tatrichter zu entscheiden. Indes müssten die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen könne, ob das Messfoto überhaupt geeignet sei, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (BGHSt 41, 376, 382).

Zur Erfüllung dieser Anforderungen könne der Tatrichter in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG wegen der Einzelheiten verweisen. Die Verweisung müsse deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf NZV 1994, 202; OLG Jena NZV 2008, 165). Mache der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Gebrauch, so seien darüberhinausgehende Ausführungen zur konkreten Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto – weil es die einzelnen Gesichtszüge erkennen lasse – zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet sei (BGHSt 41, 376, 383; OLG Jena a.a.O.).

Sehe der Tatrichter hingegen von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genüge es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteile, noch, wenn er – wie hier – die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale aufliste. Vielmehr müsse er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung stehe, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet sei. Das Urteil müsse dann Ausführungen zur Bildqualität, insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere ldentifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung von dessen Ergiebigkeit ermöglicht werde (BGHSt 41, 376, 384 f.).

Gemessen an diesen Grundsätzen genüge das Urteil den Darlegungserfordernissen nicht. Es enthalte weder eine wirksame Bezugnahme auf die in den Akten befindliche Kopie des Radarfotos i.S.d. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG noch eine Beschreibung, die dem Senat die Prüfung ermöglicht, ob diese Kopie für eine Identifizierung geeignet ist.

Die Bezugnahme auf ein Radarfoto müsse in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGHSt 41, 376, 382). Das muss nicht in der Weise geschehen; dass die Vorschrift des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO angeführt und ihr Wortlaut verwendet werde, obwohl sich dieses Vorgehen als die kürzeste und deutlichste Form der Verweisung aufdränge (OLG Düsseldorf NZV 2007, 254, 255; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238 jeweils m.w.N.). Den Gründen müsse aber eindeutig zu entnehmen sein, dass nicht nur der Vorgang der Beweiserhebung beschrieben, sondern durch die entsprechenden Ausführungen das Foto zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht werden soll (OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Hier verweise das angefochtene Urteil weder ausdrücklich auf § 267 Abs. 1 S. 3 StPO, noch verwende es den Wortlaut dieser Vorschrift. Den Gründen könne auch sonst nicht entnommen werden, dass das Foto durch Bezugnahme Teil der Urteilsurkunde sein soll. Die bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten – hier: „Seiten 1, II und 1“ – reiche dazu i.d.R. nicht aus (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 267 Rn 8 m.w.N.). Zwar könne im Einzelfall aus der Angabe der Blattzahl darauf geschlossen werden, dass der Tatrichter das Rechtsmittelgericht dazu auffordern wollte, sich durch die Betrachtung der an entsprechender Stelle zu findenden Abbildung einen eigenen Eindruck zu verschaffen, weil die Angabe der Fundstelle sonst keinen Sinn ergeben würde (so BGH, Beschl. v. 28.1.2016 – 3 StR 425/15). Ein solches Bewusstsein könne dem Tatrichter aber nicht unterstellt werden, wenn – wie im angefochtenen Urteil – auch die Fundstellen einer Vielzahl in der Hauptverhandlung verlesener Urkunden angegeben werden, die keinesfalls durch Bezugnahme Bestandteil der Urteilsgründe werden können.

Die Ausführungen zum Vergleich des Betroffenen mit der auf dem Lichtbild abgebildeten Person seien für den Senat nicht nachvollziehbar, weil sie sich in einer Aufzählung dreier wenig markanter, vom Tatrichter für übereinstimmend erachteter physiognomischer Merkmale erschöpfen, im Übrigen aber weder Aufschluss über die Bildqualität geben noch die erforderliche ausführliche Beschreibung der auf dem Foto erkennbaren Identifizierungsmerkmale der abgelichteten Person enthalten.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Die Entscheidung enthält zur Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes nichts Neues. Sie ist im Grunde eine „Fortbildungsschrift“ für das AG, das die Fragen der Täteridentifizierung offenbar nicht ausreichend beherrscht (wegen weiterer Einzelheiten Gübner, in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 2644 ff. m.w.N.). Für den Verteidiger ist eine solche Entscheidung aber auch immer ein Hinweis, worauf man ggf. achten muss, wenn sich die Frage einer Rechtsbeschwerde stellt.

2. Das OLG hat dem AG darüber hinaus einen weiteren „Fortbildungshinweis“ gegeben. Das OLG hatte nämlich auch hinsichtlich der mit der Verfahrensrüge gerügten Behandlung eines Beweisbegehrens rechtliche Bedenken. Das AG hatte einen Beweisantrag des Betroffenen wegen Verspätung abgelehnt. Dazu merkt das OLG an, dass die Ablehnung von Beweisanträgen nach §§ 77 Abs. 2 Nr. 2, 244 Abs. 3, Abs. 4 S. 1 StPO auch im Bußgeldverfahren durch begründeten Gerichtsbeschluss zu erfolgen habe, wobei sich die Begründung nicht auf eine Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken dürfe (BGH, Beschl. v. 24.10.1979, NStZ 1981, 96 [Pf/M]; OLG Köln VRS 74, 372; 75, 119; VRS 88, 203). Mindestvoraussetzung sei, dass der Antragsteller über die zur Ablehnung führenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Gerichts aufgeklärt und dadurch in die Lage versetzt werde, die weitere Verfolgung seiner Rechte entsprechend einzurichten. (st. Rspr., vgl. etwa BGHSt 19, 24, 26 = NJW 1963, 1788; BGH NStZ 1983, 568; OLG Düsseldorf NJW 1970, 625; OLG Köln VRS 39, 70; KG VRS 39, 434; OLG Koblenz VRS 52, 206). Darüber hinaus müsse die Begründung auch so beschaffen sein, dass sie im Falle der Rechtsbeschwerde dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung der Entscheidung ermögliche (BGHSt 2, 284, 286 = NJW 1952, 714; BayObLG DAR 1974 187 [Rü]).

Bei der Zurückweisung eines Beweisantrags wegen verspäteten Vorbringens (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) sei im Beschluss zu begründen, weshalb nach Auffassung des Gerichts für die späte Antragstellung kein verständiger Grund vorliege. Zur rechtlichen Überprüfung des Beschlusses sei in der Begründung auch mitzuteilen, in welchem Verfahrensstadium der Antrag gestellt worden sei. Schließlich müsse der Beschluss darlegen, dass und weshalb eine Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde und dass diese Folge bei rechtzeitigem Vorbringen vermieden worden wäre.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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