Bankrott: Beiseite geschaffte Gegenstände oder Vorteile als Tatertrag
1. Nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB beiseite geschaffte oder verheimlichte Gegenstände oder wirtschaftliche Vorteile sind Taterträge i.S.d. § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB.
2. Gegenstände, die der Täter oder ein Einziehungsbeteiligter als Wertersatz hinterlegt hat, um die Freigabe eines beschlagnahmten Rechts zu bewirken, unterliegen ungeachtet dessen, dass insoweit § 111d Abs. 2 S. 2 StPO keine (analoge) Anwendung findet, der Einziehung, sofern das später erkennende Gericht die Voraussetzungen der Einziehung des beschlagnahmten Rechts feststellt.
(Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlichen Bankrotts verurteilt und die Einziehung einer Grundschuld und eines hinterlegten Geldbetrags angeordnet. Der Angeklagte war Vorstandsmitglied und Hauptaktionär der E-AG. Zudem war er einziger Kommanditist und Alleingesellschafter-Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Mö GmbH & Co. KG, die Eigentümerin eines gleichnamigen Landguts war. Die E-Gruppe hatte ab 2007 Liquiditätsprobleme. In der Folgezeit ließ er über Strohleute und Scheinfirmen eine Grundschuld über 2,5 Millionen EUR an Grundstücken der Mö bestellen und ein abstraktes Schuldversprechen in gleicher Höhe abgeben. Später wurde die Grundschuld (einschließlich der Rechte aus dem abstrakten Schuldversprechen) in Höhe des noch bestehenden Betrags von zwei Millionen EUR an die ebenfalls vom Angeklagten beherrschte Einziehungsbeteiligte zu 1. abgetreten, die die Abtretung annahm. Im Insolvenzverfahren verschwieg er die Grundschuld und die genannten Umstände. Nach Einleitung des Strafverfahrens gegen den Angeklagten wurden die Grundschuld und die durch sie gesicherte Forderung beschlagnahmt. Später wurde hinsichtlich eines Teils der betroffenen Grundstücke mit Zustimmung der StA die Grundschuld gelöscht, nachdem im Gegenzug die Einziehungsbeteiligte zu 1. einen Geldbetrag in Höhe von 385.128,48 EUR hinterlegt hatte. Die Revisionen des Angeklagten und der Einziehungsbeteiligten zu 1. wurden verworfen.
II. Entscheidung
Der 1. Senat führt zunächst eingehend aus, dass der Angeklagte durch die Übertragung der Grundschuld auf die Einziehungsbeteiligte zu 1. als Teilakt umfangreicher anderer Maßnahmen einen Bestandteil seines Vermögens beiseitegeschafft habe, der im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehört hätte. Durch die Abtretung der Grundschuld an die Einziehungsbeteiligte zu 1. sei der Zugriff der Gläubiger auf die bei dem Angeklagten verbliebenen Kommanditanteile und die Rückgewähransprüche bezüglich der abgetretenen Kommanditanteile (weiter) erheblich erschwert worden. Bei der Grundschuld und der durch sie gesicherten Forderung habe es sich um Taterträge gehandelt. Die Einziehungsbeteiligte zu 1. habe die Grundschuld nebst Forderung durch die Tat erlangt (§§ 73 Abs. 1 Alt. 1, 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB). Ein Vermögensgegenstand oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteil i.S.d. § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB sei „durch“ eine rechtswidrige Tat als Tatertrag erlangt, wenn er dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er der faktischen Verfügungsgewalt des Täters unterliegt (st. Rspr.; BGH NStZ-RR 2022, 109; NJW 2021, 1252 = StRR 4/2021, 12 [Deutscher]). Für die Bestimmung des Erlangten i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB n.F. komme es allein auf eine tatsächliche („gegenständliche“) Betrachtung an; wertende Gesichtspunkte seien nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht zu berücksichtigen (BGH NJW 2019, 1891). Da es sich bei dem Erlangen um einen tatsächlichen Vorgang handelt, seien zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse nicht entscheidend. Anders als bei Eigentums- und Vermögensdelikten, denen regelmäßig ein tatsächlicher Wechsel der Verfügungsmacht über einen Gegenstand oder wirtschaftlichen Vorteil innewohnt, ändere sich bei dem Tatbestand des Bankrotts (§ 283 StGB) zumindest in den Fällen des Beiseiteschaffens und Verheimlichens (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB) an der Verfügungsgewalt des Täters regelmäßig nichts; der Täter hatte diese bereits vor der Tat inne. Gleichwohl seien nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB beiseite geschaffte oder verheimlichte Gegenstände oder wirtschaftliche Vorteile Taterträge i.S.d. § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB. Denn der Täter verschaffe sich oder einem Dritten durch die Tathandlung eine „insolvenzfeste“ Verfügungsgewalt über den beiseite geschafften oder verheimlichten Gegenstand, die ihm angesichts der eingetretenen Krise nicht mehr zusteht. Erlangt sei in diesen Fällen nicht die erstmalige Verfügungsgewalt über einen Gegenstand, sondern der den insolvenzrechtlichen Bestimmungen zuwiderlaufende Erhalt derselben. Es handele sich daher bei den beiseite geschafften oder verheimlichten Gegenständen auch nicht um Tatobjekte, was eine Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB ausschließen würde (BGHSt 67, 87 Rn 12 = NJW 2022, 3092). Gemessen an diesen Maßstäben unterlägen die Grundschuld und die durch sie gesicherte Forderung der Einziehung nach §§ 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB, 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB. Es handele sich dabei zwar nicht um den beiseite geschafften Gegenstand selbst. Jedoch verkörperten diese Rechte die Belastung des Grundstücks und beinhalteten damit das Beiseiteschaffen. Sie unterlägen daher argumentum a maiore ad minus der Einziehung als Tatertrag.
Auch die Einziehung des Anspruchs auf Auszahlung des hinterlegten Geldbetrags (Nr. 2 Buchst. c der Urteilsformel) begegne keinen rechtlichen Bedenken. Zwar sei der Auszahlungsanspruch nicht im Wege dinglicher Surrogation (analog) § 111d Abs. 2 S. 2 StPO als Einziehungsgegenstand an die Stelle der Grundschuld getreten. § 111d Abs. 2 S. 2 StPO, der nach § 14 EGStPO Anwendung findet, gelte unmittelbar nur für die Beibringung eines Geldbetrags zur Erlangung der Freigabe beschlagnahmter beweglicher Sachen. Die vom LG angenommene analoge Anwendung der Norm wäre zwar nicht schon wegen fehlender Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) ausgeschlossen, da die Einziehung nicht den Charakter einer Strafe hat Eine Analogie setze jedoch eine planwidrige Regelungslücke voraus. Gegen eine solche sprächen indes hier die ausdifferenzierten Regelungen der §§ 111 ff. StPO für unterschiedliche Beschlagnahmegegenstände. § 111d Abs. 2 StPO entspreche zudem der Vorgängerregelung in § 111c Abs. 6 S. 2 StPO a.F. Trotz der umfassenden Neuordnung des Einziehungsrechts und der damit einhergehenden intensiven Analyse des bisherigen Regelungsgefüges habe der Gesetzgeber (bewusst) keinen Anlass für eine Normierung der vorliegenden Fallkonstellation gesehen. Gleichwohl sei die Einziehung zulässig. Gegenstände, die der Täter oder ein Einziehungsbeteiligter als Wertersatz hinterlegt hat, um die Freigabe eines beschlagnahmten Rechts zu bewirken, unterlägen, ungeachtet dessen, dass insoweit § 111d Abs. 2 S. 2 StPO keine (analoge) Anwendung findet, der Einziehung, sofern das später erkennende Gericht die Voraussetzungen der Einziehung des beschlagnahmten Rechts feststellt. Nach der Rechtsprechung des BGH könne der von der Einziehung Betroffene durch autonome Verfügungen Einfluss auf das Einziehungsverfahren nehmen. So kann er durch sein Einverständnis mit der formlosen Einziehung wirksam etwaige ihm zustehende Rechtspositionen aufgeben und dadurch eine förmliche Einziehungsentscheidung entbehrlich machen (BGHSt 63, 314 = NJW 2019, 1692 = StRR 3/2019, 15 [Deutscher]). Wenn der Betroffene durch Aufgabe einer Rechtsposition eine Einziehung rechtfertigen kann, so müsse es ihm ebenso möglich sein, zur Ablösung beschlagnahmter Rechte Wertersatz zu hinterlegen und dabei sein Einverständnis mit der Einziehung des Wertersatzes unter der Bedingung zu erklären, dass das später erkennende Gericht die Voraussetzungen der Einziehung der beschlagnahmten Rechte feststellt. Ohne Bedeutung dabei sei, ob die Einziehungsbeteiligte, wie sie geltend macht, „unter Protest“ hinterlegte. Sollte der Protest die Einziehung auch hindern, soweit die Voraussetzungen vorliegen, sei er als protestatio facto contraria nach zivilrechtlichen Grundsätzen (BGHZ 185, 291 Rn 37 = NJW 2010, 2731) unbeachtlich. Sollte er nur die Rückforderung vorbehalten, soweit die Voraussetzungen der Einziehung nicht vorliegen, entspreche dies der Bestimmung als Wertersatz. Die dem Angeklagten gewährte Restschuldbefreiung schließe die Einziehung gegenüber der Einziehungsbeteiligten zu 1. nicht aus (§ 73e StGB). Denn eine Restschuldbefreiung führe nicht zum Erlöschen der Verbindlichkeit, sondern nur zur Umwandlung in eine Naturalobligation, die erfüllbar, aber nicht erzwingbar ist (BGH NJW-RR 2021, 303 Rn 9).
III. Bedeutung für die Praxis
Die Einziehung des Wertes von Taterträgen oder des Wertersatzes verlangt die Begründung einer rein faktisch zu verstehenden Verfügungsmacht über das durch die Tat Erlangte. Für die allermeisten Delikte, die die rechtswidrige Begründung dieser tatsächlichen Verfügungsmacht als solche unter Strafe stellen (etwa Diebstahl, Betrug, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) ist das völlig unproblematisch. Anders hingegen, wenn der Täter durch die unter Strafe gestellte Handlung die zuvor schon vorhandene tatsächliche Verfügungsgewalt nur vertieft oder umwandelt. Die typische Definition wie o.g. funktioniert dann nicht mehr. So ist es auch beim Beiseiteschaffen im Rahmen des Bankrotts nach § 283 StGB. Der 1. Senat behilft sich in der für BGHSt vorgesehenen Entscheidung damit, hier sei nunmehr durch die Tat eine „insolvenzfeste“ Verfügungsgewalt geschaffen worden. Das mag vom Ergebnis her und mit Blick auf die Schutzrichtung des § 283 StGB nachvollziehbar sein. Allerdings ist die Folge, dass die bisherige Definition des Erlangten wohl auch wird erweitert werden müssen. Und damit folgt die nächste Krux: Ziel der Reform 2017 war, den Begriff des Erlangten rein tatsächlich zu fassen, Wertungen wie früher (Stichwort: Bereicherungszusammenhang) sollten irrelevant werden. Was aber bedeutet „insolvenzfest“? Das ist keine reine Tatsachenbeschreibung mehr, sondern umfasst auch eine Bewertung, ob wann und unter welchen Umständen die Umwandlung der rein faktisch zu begreifenden Verfügungsgewalt in eine „insolvenzfeste“ anzunehmen ist. Damit könnte die Büchse der Pandora geöffnet werden, die der Gesetzgeber mit der Reform gerade fest schließen wollte. Denn das würde zukünftig auch die Wertung des Schutzzwecks der Strafnorm erfordern, wie der BGH es hier tut, ohne dies ausdrücklich zu benennen (Rechtübersicht zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung bei Deutscher, StRR 11/2022, 7).
Berechnung der hinterzogenen Lohnsteuer bei Schwarzlohnzahlung
Bei Schwarzlohnzahlung ist der Betrag der hinterzogenen Lohnsteuer im Unterschied zu der Bestimmung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge nicht nach einem hochgerechneten Bruttogehalt (§ 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV), sondern aufgrund der ausgezahlten Lohnsumme zu berechnen.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Der Angeklagte betrieb im Tatzeitraum Januar 2011 bis Dezember 2014 eine Pizzeria. Er hatte in diesem Tatzeitraum zahlreiche Arbeitnehmer, denen er den Lohn ganz oder teilweise schwarz auszahlte, insofern wurden die Sozialabgaben nicht oder unvollständig abgeführt. Im Zeitraum September 2011 bis Dezember 2013 gab er Lohnsteueranmeldungen mit zu geringen Löhnen ab. Zudem gab er in seinen Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2011 bis 2013 zu geringe Umsätze an.
Die Vorinstanz – das LG München I – verurteilte ihn wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 48 Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe sowie zu einer Gesamtgeldstrafe. Des Weiteren wurde die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.
II. Entscheidung
Der BGH erachtet die Berechnung der hinterzogenen Lohnsteuer durch die Vorinstanz, obgleich die diesen Taten zugrunde liegenden Schwarzlohnzahlungen zutreffend von der Vorinstanz ermittelt worden sind, für rechtsfehlerhaft.
Insofern hat die Vorinstanz verkannt, dass zwar im Zusammenhang mit dem Tatbestand des § 266a StGB sich die nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträgen unter Heranziehung von § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV nach hochgerechneten Bruttogehältern berechnen, indes bei dem Taterfolg der hinterzogenen Lohnsteuer im Zusammenhang mit dem Tatbestand des § 370 AO auf die (Netto-)Lohnsumme abzustellen ist (BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, BeckRS 2010, 690). Insoweit gilt hier nämlich das Zuflussprinzip des § 11 Abs. 1 EStG (BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, NJW 2009, 528).
Daher war der Strafausspruch bezüglich der Hinterziehung von Lohnsteuer aufzuheben, der Schuldspruch blieb hingegen bestehen. Entsprechend war die Einziehungsentscheidung aufzuheben, soweit sie sich auf die Lohnsteuer bezog.
In diesem Umfang wurde die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Ausführungen des BGH sind auf den ersten Blick etwas verwirrend und bedürfen einer Erläuterung.
Nur bei den Sozialabgaben gilt aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung nach § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV die Nettolohnfiktion. Der Gesetzgeber unterstellt, dass es sich bei dem ausgezahlten Gehalt um den Betrag nach Abzug der Sozialabgaben handelt. Folglich muss noch eine Hochrechnung der an die Arbeitnehmer ausgezahlten Löhne auf einen Bruttolohn zur Bestimmung der Sozialabgabenhöhe erfolgen. Bei der hinterzogenen Lohnsteuer kann nicht ohne Weiteres von einer Nettolohnabrede dergestalt, dass der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber von der Lohnsteuer befreit wird, ausgegangen werden. Somit bemisst sich die hinterzogene Lohnsteuer nach dem ausgezahlten Betrag als Bruttobetrag. Sodann wird die Lohnsteuer nach dem Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI (§ 39c Abs. 1 EStG) berechnet, sofern die individuelle Steuerklasse des jeweiligen Arbeitnehmers unbekannt ist. Bei Teilschwarzlohnabreden ist allerdings die individuelle Lohnsteuerklasse regelmäßig bekannt. Folglich weicht die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Lohnsteuer von derjenigen für die Bemessung der Sozialabgaben ab (Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2017, S. 216 m.w.N.; Jäger, in: Klein, AO Kommentar, 16. Aufl. 2022, § 370 Rn 98; Hunsmann, in: Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 380 Rn 281).
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH, wird aber von den unteren Strafgerichten teilweise – wie im Besprechungsfall – nicht berücksichtigt.
Vertraulichkeit des Wortes
Das Aufzeichnen einer Personenkontrolle mittels Mobiltelefons erfüllt nicht den Tatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn der kontrollierende Polizeibeamte seinerseits den Vorgang zum Zwecke der Beweissicherung mit einer Bodycam dokumentiert. Die im Rahmen der Kontrolle getätigten Äußerungen des Beamten sind in diesem Fall nicht als „nichtöffentlich“ anzusehen.
(Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Der Beschuldigte wurde als Beifahrer eines Pkw gegen 0:40 Uhr einer polizeilichen Kontrolle unterzogen, nachdem der Fahrer des Fahrzeugs zur Nachtzeit neben dem entgegenkommenden Streifenwagen ohne verkehrsbedingten Anlass die Hupe betätigt hatte.
Bei der Durchführung der Kontrolle verhielten sich die im Fahrzeug befindlichen Personen unkooperativ. So weigerten sie sich, die Innenbeleuchtung des Fahrzeugs einzuschalten, zudem störte der Beschuldigte die polizeilichen Maßnahmen durch Zwischenrufe und leuchtete einem Beamten mit der Lampe seines Mobiltelefons in das Gesicht. Aufgrund weiterer Provokationen des mutmaßlich alkoholisierten Beschuldigten wurde Verstärkung hinzugezogen. Zudem startete einer der Beamten nach entsprechender Ankündigung mit seiner dienstlichen mitgeführten Bodycam eine Ton- und Videoaufnahme, woraufhin der Beschuldigte seinerseits begann, den Beamten mit seinem Mobiltelefon zu filmen. Der Aufforderung, dies zu unterlassen, kam er nicht nach, weshalb schließlich der von der Polizei kontaktierte Bereitschaftsstaatsanwalt telefonisch die Sicherstellung des Mobiltelefons des Beschwerdeführers anordnete.
In der Folge ordnete das AG die Beschlagnahme des Mobiltelefons an. Der Beschwerdeführer sei einer Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB verdächtig.
Auf die Beschwerde des Beschuldigten hat das LG den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben.
II. Entscheidung
Nach Auffassung der Beschwerdekammer besteht trotz einer an sich tauglichen Tathandlung kein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten des Beschuldigten.
Zwar seien die Äußerungen des Polizeibeamten im Ausgangspunkt nichtöffentlich gewesen. Die Kontroll- und Gesprächssituation mit Personen, die sich nachts um 0:40 Uhr in einem Fahrzeug befinden und mit denen zwei Polizeibeamte durch die geöffneten Türen oder Fenster kommunizieren, sei selbst für einen zufällig passierenden Fußgänger gerade einmal in Gesprächsfetzen inhaltlich verfolgbar, solange er sich nicht in unmittelbarer Nähe dazu stellt, um aktiv mitzuhören. Diese Begrenztheit des Personenkreises sei allen Beteiligten einer solchen nächtlichen Kontrolle auch bewusst.
Jedoch sei das Gespräch zwischen dem Polizeibeamten und dem Beschuldigten spätestens in dem Moment nicht mehr nichtöffentlich gewesen, als der Beamte nach vorangegangener Ankündigung seine dienstlich gelieferte Bodycam einschaltete und damit seinerseits das Gespräch zu Beweiszwecken auf ein Speichermedium aufnahm. Eine solche Gesprächssituation nehme gemessen an Wortlaut, Entstehungsgeschichte und insbesondere dem Strafzweck des § 201 StGB nicht mehr an dessen Schutz teil. Die bislang in der Rechtsprechung diskutierte Frage, ob ein Gespräch seinen nichtöffentlichen Charakter bereits dadurch verliert, dass es sich um eine polizeiliche Maßnahme handelt, könne daher offenbleiben.
Schutzgut bzw. Normzweck des § 201 StGB seien der Schutz der Privatsphäre sowie das Recht auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung und die Wahrung der Unbefangenheit des gesprochenen Wortes. Das, was als flüchtige Lebensäußerung gemeint gewesen sei, dürfe nicht in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt werden. Vorliegend verhalte es sich jedoch so, dass die den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Anspruch nehmenden Äußerungen gerade von einem Polizeibeamten stammten, der diese nicht nur im hoheitlichen Kontext abgab, sondern gleichzeitig noch deren bestimmungsgemäße Aufnahme auf gesetzlicher Grundlage herbeiführte. Der Beamte habe dabei damit gerechnet, dass die dem Beschuldigten mitgeteilte und für etwaige Ermittlungsakten dauerhaft gesicherte Aufnahme zur Folge hat, dass die Worte der Beamten gerade nicht mehr unbefangen erfolgen können, wie dies bei einer flüchtigen und gerade nicht reproduzierbar konservierenden Aussage der Fall sei. Zudem habe der betroffene Beamte im vorliegenden Fall gewusst, dass seine Worte zu einem späteren Zeitpunkt von weiteren Ermittlungsbeamten oder einem Gericht abgehört werden könnten und habe diese Wirkung der Natur der gewählten Maßnahme entsprechend auch angestrebt. In einem solchen Fall liege nicht unbefangenes Reden auf der Hand, sondern vielmehr das Bemühen um eine höchst konzentrierte, präzise auf die Ausführung des rechtlichen Rahmens abgestimmte Kommunikation.
Darüber hinaus sehe sich die Kammer auch unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Bestimmtheit strafrechtlicher Gesetze zu einer normzweckentsprechenden Beschränkung veranlasst. Bereits in den Fällen der sogenannten faktischen Öffentlichkeit sei bedenklich, dass es letztlich vom einzelfallbedingten Zufall abhänge, ob eine Kenntnisnahme oder deren Möglichkeit durch Unbeteiligte stattfindet. Bei dem Einsatz von Bodycams träten zudem Anhaltspunkte für die Annahme hinzu, dass der Bürger sich in einem immer weitergehend von Handybild- und -tonaufnahmen beherrschten Alltag dazu berechtigt sieht, für ihn bedeutsame Ereignisse zu filmen – wenn auch nicht stets verbreiten zu dürfen. Dabei stünden das Interesse der Bürger daran, Polizeiarbeit transparent dokumentieren zu dürfen, auf der einen Seite und das Interesse der Polizeibeamten an einer nicht durch das Filmen gestörten Arbeit auf der anderen Seite in einem Spannungsverhältnis. Insbesondere vor dem Hintergrund der Gefahr von möglichen ausschnittweisen und aus dem Zusammenhang gelösten Veröffentlichungen entsprechender Aufnahmen könne ein polizeiliches Interesse am Unterlassen der Anfertigung solcher Aufnahmen durchaus denkbar sein. Diesen Interessenwiderstreit zu lösen obliege indes nicht mehr rechtsfortbildend den Strafgerichten im Wege einer mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Schutzzweck der Norm in Widerstreit tretenden Auslegung des Begriffs der Nichtöffentlichkeit. Die konkret bestimmte Androhung von Strafe für die Aufnahme polizeilicher Maßnahmen oder der Verzicht darauf sei vielmehr Sache des Gesetzgebers.
III. Bedeutung für die Praxis
Polizeibeamte haben ein legitimes, auch von der Strafkammer nicht in Abrede gestelltes Interesse daran, ihrer oft schwierigen Arbeit ohne Behinderungen nachgehen zu können. Jedenfalls bei bestimmten Einsätzen sind überdies Geheimhaltungsinteressen tangiert. Umgekehrt besteht ein legitimes Interesse der Bürger, ihrerseits Beweissicherung betreiben zu können, etwa zum Zwecke einer späteren gerichtlichen Überprüfung bestimmter polizeilicher Maßnahmen, auch wenn freilich, wie auch der vorliegende Fall nahelegt, die Aufzeichnung nicht selten primär die Provokation der Beamten bezweckt. Gleichwohl muss zwischen den widerstreitenden Interessen ein angemessener Ausgleich gefunden werden.
Die vorliegende, sehr ausführlich und sorgfältig begründete Entscheidung zeigt jedoch, dass § 201 StGB insoweit kein geeignetes Instrument darstellt. Zu Recht weist das LG darauf hin, dass die Vorschrift ursprünglich zu einem völlig anderen Zweck geschaffen wurde, und in der Tat zeigen sich in der Praxis nicht nur Auslegungsschwierigkeiten, sondern auch Gerechtigkeitsdefizite, wenn es in den Fällen der faktischen Öffentlichkeit letztlich vom Zufall abhängt, ob ein bestimmtes Verhalten im konkreten Einzelfall strafbar ist oder nicht. Der Ruf nach dem Gesetzgeber ist an dieser Stelle daher mehr als berechtigt.
Fraglich erscheint allerdings, ob der Einsatz einer Bodycam tatsächlich dazu führt, dass, wie die Kammer meint, „vergleichbar mit der Fallgruppe einer faktischen Öffentlichkeit“ die Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Worts entfällt. Denn auch ohne eine solche Aufzeichnung handelt es sich bei Äußerungen von Polizeibeamten im Rahmen einer Personenkontrolle nicht um flüchtige Aussagen, sondern um solche innerhalb eines vorgegebenen (polizeirechtlichen) Rahmens. Anlass zu einer Differenzierung zwischen den nicht aufgezeichneten und mittels Bodycam aufgezeichneten polizeilichen Maßnahmen gibt dies nicht. Darüber hinaus überzeugt auch der Hinweis darauf, dass die Worte des Beamten zu einem späteren Zeitpunkt vor Gericht abgehört werden können, nicht. Denn auch ohne Aufzeichnung besteht jederzeit die Möglichkeit, dass die Äußerungen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu einem späteren Zeitpunkt wiedergegeben werden, wenn auch nicht durch das Abspielen von Aufzeichnungen, sondern im Wege der Einvernahme von Zeugen. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich die Linie der Kammer in der Rechtsprechung durchsetzen wird. Verteidigungsansätze bietet sie indes allemal.