Beitrag

Volksverhetzung und Meinungsfreiheit

Vom Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB werden nur besonders massive Schmähungen, Deformierungen und Diskriminierungen erfasst, durch die den Angegriffenen ihr ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten wird und sie als ,,unterwertige“ Menschen gekennzeichnet werden.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Hamm, Beschl. v. 15.6.2023III-5 ORs 34/23

I. Sachverhalt

Kommentar auf Facebook

Das AG hat den Angeklagten wegen Volksverhetzung verurteilt, das LG hat seine Berufung verworfen. Der Angeklagte war Vorsitzender einer AfD-Ratsfraktion und postete auf der Internetplattform Facebook sowohl allgemeine als auch politische Kommentare. Er las einen Artikel auf der Internetseite „Emma.de“, welcher sich mit einem Artikel der Autorin Mithu Sanyal befasste. In dem Artikel sprach sie sich dafür aus, Opfer sexueller Gewalt als „Erlebende“ zu bezeichnen, um so zu „höchstmöglicher Wertungsfreiheit“ zu gelangen. In dem ,,Emma“-Artikel wurde dieser Vorschlag heftig kritisiert. Dieser Kritik schloss sich der Angeklagte an. Er postete bei Facebook folgenden Kommentar: „Das ist das Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei. Negativ konnotierte Begriffe werden rasch umetikettiert. So wurde aus dem Neger ein Schwarzer, Farbiger und was weiß ich noch. Aus Zigeunern wurden Sinti und Roma (obwohl es zahlreiche andere Stämme gibt), dann Rotationseuropäer. Aber was auch geändert wurde: die neuen Begriffe wurden dann immer wieder durch die Realität eingeholt und es mussten neue Bezeichnungen gefunden werden. Damit muss Schluss sein. Ein Eimer Scheiße wird immer ein Eimer Scheiße bleiben, egal wie die Grünen es nennen.“ Den ,Emma“-Artikel hängte der Angeklagte an diesen Kommentar an. Das OLG hat das Urteil auf seine Revision aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

II. Entscheidung

Grundlagen

Die Feststellungen trügen eine Verurteilung wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 StGB nicht. Diese Tatbestandsalternative knüpfe an Art. 1 Abs. 1 GG an und schützt damit den unverzichtbaren Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit. Das Angreifen der Menschenwürde anderer stelle hierbei ein einschränkendes Merkmal des Tatbestands dar, dem nicht die Funktion eines erweiterten Ehrschutzes zukommt (Fischer, 70. Aufl. 2023, § 130 StGB Rn 12). Bloße Beleidigungen oder „einfache“ Beschimpfungen reichten nicht aus, auch nicht jede ausgrenzende Diskriminierung. Vielmehr werden vom Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur besonders massive Schmähungen, Deformierungen und Diskriminierungen erfasst, durch die den Angegriffenen ihr ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten wird und sie als „unterwertige“ Menschen gekennzeichnet werden (OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.5.2006 – 1 Ws 75/06 Rn 19). Bei der Auslegung einer Meinungsäußerung sei durch den Tatrichter deren objektiver Sinn zu ermitteln, wobei nicht die subjektive Absicht des sich Äußernden und nicht das subjektive Verständnis eines gegebenenfalls von einer Äußerung Betroffenen maßgeblich sei, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Auszugehen sei stets vom Wortlaut der Äußerung, zudem sei ihr Kontext einzubeziehen; fernliegende Deutungen seien auszuschließen. Im Falle von mehrdeutigen Äußerungen sei grundsätzlich maßgeblich, ob eine der nicht auszuschließenden Bedeutungsvarianten straffrei wäre (BayObLG, Beschl. v. 20.3.2023 – 206 StRR 1/23 Rn 19 m.w.N.).

Verwendung der Begriffe „N…“ und „Z…“

Hiernach halte zunächst die Auslegung des LG der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass der Angeklagte Farbige, Sinti und Roma allein durch die Verwendung der Begriffe „N…“ und „Z…“ in besonders herabsetzender Weise beschimpft und damit zugleich in ihrer Menschenwürde angreift. Beide Begriffe würden zwar heute in der Regel als diskriminierend bzw. herabwürdigend angesehen (vgl. die Einträge „N…“ und „Z…“ bei wikipedia.de m.w.N.; zum Begriff „N…“: OLG Köln NJW 2010, 1676). Sie ließen sich indes nicht stets allein als Schimpfwort verstehen (zum Begriff „Z…“: OLG Hamm NStZ-RR 2016, 244; zum Begriff „N…“: OLG Brandenburg, Beschl. v. 1.10.2018 – 1 W 41/18 Rn 5; Fischer, § 185 StGB Rn 12b). Entscheidend sei daher der Kontext, in welchem die Begriffe fallen (VerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 19.12.2019 – 1/19 Rn 38). So könnten die Worte insbesondere auch genutzt werden, um über ihre Verwendung und ihre Verwendbarkeit zu sprechen und damit als inhaltliche Stellungnahme zu einer politischen Debatte beitragen (vgl. OLG Brandenburg u. VerfG Mecklenburg-Vorpommern a.a.O.). Letzteres sei hier der Fall. Anknüpfend an den Artikel der Autorin Mithu Sanyal beschreibe der Angeklagte in seinem Facebook-Post einleitend die Änderungen des Sprachgebrauchs betreffend die Begriffe „N…“ bzw. „Z…“ und lastet diese der „rot-grünen Sprachpolizei“ an. Der Angeklagte empfindet den Sprachwandel als politisch verordnet und wehrt sich gegen diesen Vorgang, welchen er als „Umetikettierung“ bewertet. Dies stelle eine von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung dar. Eine abweichende Bewertung ergebe sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte im nächsten Satz ausführt, dass die „neuen Begriffe … dann immer wieder durch die Realität eingeholt [würden]“. Hierin komme zwar zum Ausdruck, dass der Angeklagte den vorbezeichneten Bevölkerungsgruppen in diskriminierender Weise (nicht näher konkretisierte) negative Eigenschaften zuschreibt. Die Kritik sei indes so diffus gehalten, dass es sich nicht um eine besonders massive Schmähung oder Diskriminierung handelt, durch welche Farbigen, Sinti und Roma das ungeschmälerte Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen wird.

Gleichsetzung mit Fäkalien?

Ferner gehe das LG im Ausgangspunkt zwar zutreffend davon aus, dass ein Angriff auf die Menschenwürde unzweifelhaft vorliegt, wenn Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen als „Dreck“, „Unrat“, „Ungeziefer“ usw. geschmäht werden (Fischer, a.a.O., § 130 StGB Rn 12a). Die weitere Annahme, dass der Angeklagte in seinem Facebook-Post die vorbezeichneten Bevölkerungsgruppen Fäkalien gleichsetzt, sei indes nicht tragfähig begründet. Im Rahmen seiner Deutung verstehe das LG den Schlusssatz des Facebook-Posts „Ein Eimer Scheiße wird im immer ein Eimer Scheiße bleiben, egal wie die Grünen es nennen“ dahin, dass Farbige, Sinti und Roma (konkludent) als „Eimer Scheiße“ bezeichnet werden. Hierbei lasse das LG indes eine naheliegende, straflose Deutungsalternative außer Acht. So sei angesichts des Kontextes nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Erklärungsempfängers jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich das Begriffspaar „Eimer Scheiße“ auf die sexuelle Gewalt und deren Umetikettierung in ein „Erlebnis“ beziehen soll. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte seinem Satz anfügt „egal wie die Grünen es nennen“. Hierdurch spanne er den Bogen zu seinem Eingangssatz, in welchem er die Umbennungsforderung der Autorin Mithu Sanyal zu Opfern sexueller Gewalt als „Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei“ bezeichnet. Da somit eine straffreie Deutungsmöglichkeit des letzten Satzes besteht, dürfe die zur Bestrafung führende Interpretation nicht zugrunde gelegt werden.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffende Auslegung

Auch und gerade bei kruden politischen Äußerungen wie hier bedarf es der präzisen Abgrenzung von strafbarer Volksverhetzung und verfassungsrechtlich erlaubter Meinungsäußerung (aktuell hierzu auch OLG Bremen, Urt. v. 23.2.2023 – 1 Ss 48/22). Das OLG zeigt hier schulmäßig den Weg auf, wie die Bedeutung solcher Äußerungen nach der Rechtsprechung auszulegen ist. Besonders hebt das OLG hervor, dass die bloße Verwendung von Trigger-Begriffen, die nach dem jeweiligen Zeitgeist allgemein als beleidigend und diskriminierend empfunden werden, ohne Berücksichtigung des Kontextes nicht als Volksverhetzung strafbar ist. Anderenfalls wäre eine Kritik an der Ablehnung dieser Begriffe nicht möglich. Auch die mögliche straffreie Deutung des drastischen letzten Satzes des Posts durch das OLG überzeugt (Rechtsprechungsübersicht zu den Propagandadelikten bei Deutscher, StRR 2/2023, 5)

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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