Beitrag

Unzulässige Verfassungsbeschwerde betreffend Verwertung von EncroChat-Daten

Zum Umfang der Begründung der Revision gegen die Verwertung von EncroChat-Daten und zur Verfassungsbeschwerde.

(Leitsatz des Verfassers)

BVerfG, Beschl. v. 9.8.20232 BvR 558/22

I. Sachverhalt

EncroChat-Erkenntnisse

Das Unternehmen EncroChat hatte seinen Nutzern Krypto-Mobiltelefone mit einer besonderen Softwareausstattung angeboten. Nach Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden wurden die Mobiltelefone in großem Maße und vorwiegend europaweit zur Begehung schwerer Straftaten, wie z.B. BtM-Handel, genutzt. Von April bis Juni 2020 erfassten französische Ermittlungsbehörden die über den in Roubaix befindlichen Server des Unternehmens laufenden Daten. Die zu Mobiltelefonen auf deutschem Staatsgebiet anfallenden Daten übermittelten die französischen Behörden im Wege internationaler Rechtshilfe den deutschen Ermittlungsbehörden zur Verwendung in Strafverfahren.

Verurteilung durch LG/BGH wegen BtM-Handel

Im Jahr 2021 verurteilte das LG den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Seine Überzeugung von der Täterschaft stützte das LG auf aus seiner Sicht dem Beschwerdeführer zuzuordnende Chat-Verläufe, die über den Anbieter EncroChat geführt wurden. Die dagegen gerichtete Revision hat der BGH verworfen (BGH, Beschl. v. 8.2.2022 – 6 StR 639/21).

Verfassungsbeschwerde …

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Angeklagte gegen die Entscheidungen des LG und des BGH. Er hat die Verletzung seines Grundrechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG sowie der europäischen Grundrechte aus Art. 7 und Art. 8 der Charta der Europäischen Union (GRCh) geltend gemacht. Die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter begründet er damit, dass der BGH zahlreiche Fragen zur Zulässigkeit und Verwertbarkeit der EncroChat-Daten dem EuGH nicht vorgelegt habe. Die Art. 7 und Art. 8 GRCh seien verletzt, weil die französischen Behörden in großem Umfang EncroChat-Daten ausgespäht, gesammelt und hiernach an die deutschen Behörden weitergegeben hätten.

… nicht angenommen

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

II. Entscheidung

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig angesehen.

Art. 7 und Art. 8 GRCh

Hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh habe der Angeklagte den Subsidiaritätsgrundsatz nicht gewahrt. Danach solle der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden. Im Strafverfahren verlange der Grundsatz der Subsidiarität von einem Beschwerdeführer, der seine Grundrechte durch Verstöße des Tatgerichts verletzt sieht, diese im Revisionsverfahren so zu rügen, dass das Revisionsgericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintritt. Vorliegend habe der Angeklagte eine Verletzung von Art. 7 und Art. 8 GRCh nicht in zulässiger Weise mit der Revision gerügt. Er habe im Revisionsverfahren zu den Verfahrenstatsachen nicht ausreichend vorgetragen, um dem Revisionsgericht den Eintritt in die sachliche Prüfung der Beweisverwertung zu ermöglichen. Seinem Revisionsvortrag fehlte es insoweit an der Vorlage der vom Angeklagten in Bezug genommenen Aktenteile.

Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG

In Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG hat der Angeklagte nach Ansicht des BVerfG eine Grundrechtsverletzung nicht substantiiert dargetan. Ein Rechtsuchender könne seinem gesetzlichen Richter dadurch entzogen werden, dass ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer Acht lässt. Die Nichteinleitung eines Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV könne eine der einheitlichen Auslegung bedürftige Frage des Unionsrechts der Entscheidung des gesetzlichen Richters – des EuGH – vorenthalten und damit das Ergebnis der Entscheidung beeinflussen. Für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV prüfte das BVerfG nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.

Eine solche Konstellation könne der Angeklagte nicht aufzeigen. Es sei anhand des Beschwerdevortrags nicht erkennbar, dass der BGH in unvertretbarer Weise von einer Vorlage an den EuGH abgesehen habe. Die Vorlage an den EuGH sei offensichtlich nicht entscheidungserheblich. Die Beantwortung von europarechtlichen Fragen zur Rechtmäßigkeit der Erhebung, Übermittlung und Verwertung von EncroChat-Daten habe keinen Einfluss auf die Revisionsentscheidung nehmen können, weil der BGH über die Rechtmäßigkeit der Beweisverwertung vorliegend nicht zu entscheiden hatte. Denn der Angeklagte habe die Beweisverwertung durch das LG mit der Revision nicht in zulässiger Weise gerügt.

III. Bedeutung für die Praxis

Enttäuschend

1. Der Beschluss ist enttäuschend. Und zwar sowohl für diejenigen, die „gegen EncroChat“ verteidigen, als vor allem auch für diejenigen, die sich vom BVerfG eine Klärung der Frage der Verwertbarkeit erhofft hatten. Nicht zur Entscheidung angenommen sind übrigens mit sieben weiteren, nicht veröffentlichten Beschlüssen vom 9.8.2023 die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren 2 BvR 2005/22, 2 BvR 2022/22, 2 BvR 2024/22, 2 BvR 2025/22, 2 BvR 2048/22, 2 BvR 594/23 und 2 BvR 867/23.

Kleiner Hoffnungsschimmer

2. Ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt aber. Denn das BVerfG weist ausdrücklich darauf hin, dass über die mit der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen in der Sache nicht entschieden worden sein. Die Frage der Verwertbarkeit bleibt also weiterhin (verfassungsrechtlich) offen. Anhängig sind derzeit fünf weitere Verfassungsbeschwerden zur Verwertbarkeit von EncroChat-Daten, und zwar 2 BvR 684/22, 2 BvR 1832/22, 2 BvR 2143/22, 2 BvR 64/23 und 2 BvR 1008/23. Wegen dieser noch offenen Verfassungsbeschwerden geht das Warten also weiter. M.E. ein zumindest unschöner Zustand. Ich erinnere aber nur an das Verfahren 2 BvR 1167/20 – Stichwort: Rohmessdaten. Da hat das BVerfG letztlich auch gekniffen und hat sich auf die Unzulässigkeit zurückgezogen. Das scheint der neue Weg zu sein.

EuGH/EGMR

3. Und: Mit dieser Entscheidung ist in dieser Sache der Weg zum EuGH/EGMR versperrt.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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