Beitrag

Pauschvergütung im Wirtschaftsstrafverfahren

Zur Gewährung einer Pauschgebühr in einem Wirtschaftsstrafverfahren mit „erhöhtem“ Aktenumfang.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Hamm, Beschl. v. 5.5.20225 RVGs 16/22

I. Sachverhalt

Pflichtverteidiger im Wirtschaftsstrafverfahren

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in einem Wirtschaftsstrafverfahren. Nach dessen Abschluss hat er die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG in Höhe von mindestens 10.000 EUR beantragt. Das Verfahren sei besonders umfangreich und besonders schwierig gewesen. Die Schwierigkeit des Verfahrens zeige sich u.a. an den umfangreichen Hinweisen, die die Kammer erteilt habe. Der Aktenumfang sei auch im Vergleich zu anderen Verfahren vor der Wirtschaftskammer groß. Ferner hätten im Laufe der Hauptverhandlung mehrere Selbstleseverfahren stattgefunden. Am 31.7.2020 habe außerdem ein Erörterungstermin stattgefunden, für den keine Terminsgebühr angefallen sei. Das verfahrensabkürzende Geständnis des Angeklagten habe zudem einer intensiven Vorbereitung bedurft. Das OLG ist dem Antrag des Pflichtverteidigers teilweise gefolgt und hat eine Pauschgebühr in Höhe von 8.500 EUR bewilligt.

II. Entscheidung

Bewilligung einer Pauschgebühr

Das OLG hat die besondere Schwierigkeit und auch den besonderen Umfang des zugrunde liegenden Verfahrens bejaht.

Allgemeines zum besonderen Umfang des Verfahrens

Nach Auffassung des OLG war das Verfahren nicht nur in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht besonders schwierig, wozu das OLG allerdings nicht näher ausführt. Es habe sich vielmehr auch um ein besonders umfangreiches Verfahren gehandelt. Besonders umfangreich i.S.d. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG sei eine Strafsache, wenn der vom Verteidiger hierfür erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer normalen Sache zu erbringen habe (u.a. OLG Dresden RVGreport 2020, 62 = StRR 4/2020, 34 OLG Celle StRR 2011, 240). Als Vergleichsmaßstab seien dabei Verfahren heranzuziehen, die den Durchschnittsfall der vor dem jeweiligen Spruchkörper verhandelten Sachen darstellen (vgl. BGH Rpfleger 1996, 169; NStZ 1997, 98; OLG Celle StRR 2011, 240; OLG Hamm JurBüro 1999, 194).

Kriterien im Einzelnen: Aktenumfang

Ein wichtiges Indiz sei zunächst der Aktenumfang. Dieser sei hier auch im Vergleich zu anderen Prozessen vor einer Wirtschaftskammer unter Berücksichtigung der Sonderbände und Beweismittelordner erhöht. Zwar habe sich die Anklage lediglich gegen drei Angeklagte gerichtet und lediglich 15 Seiten umfasst, was für eine Wirtschaftsstrafsache nicht überdurchschnittlich sei. Inhaltlich sei es aber um einen komplexen Sachverhalt – Firmenstrukturen, Verhältnisse einzelner Firmen zueinander, Unternehmensentwicklung – gegangen, was eine erhöhte Prozessstoffbearbeitung nahelege. Auch sei vorliegend nicht von der effektiven Möglichkeit einer Unterstützung des Pflichtverteidigers bei der Einarbeitung durch die weiteren Verteidiger auszugehen, da der vorherige Verteidiger unmittelbar nach der Übernahme der Verteidigung durch den Antragsteller die Mandatsniederlegung mitgeteilt habe und nicht mehr in der Sache aufgetreten sei und die weitere Verteidigerin erst etwa sieben Monate später hinzugekommen sei. Auch habe das frühzeitig in der Hauptverhandlung abgegebene Geständnis des Angeklagten eine umfassende Akteneinarbeitung sowie – wie von dem Antragsteller plausibel dargelegt – zeitlichen Aufwand zur Beratung hinsichtlich dieses – die Beweisaufnahme sodann verkürzenden – Geständnisses als Voraussetzung gehabt.

Hauptverhandlungen

Auch die Anzahl von zehn Hauptverhandlungstagen sei für eine Verhandlung vor der Wirtschaftsstrafkammer nicht als überdurchschnittlich anzusehen. Zwar hätten einige Termine länger als fünf Stunden gedauert, dies sei jedoch durch die zusätzlichen Gebühren (Nr. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123 VV RVG) abgegolten. Die durchgeführten Selbstleseverfahren seien ebenfalls nicht gesondert zu berücksichtigen, da die Bearbeitung des Prozessstoffes zur Vorbereitung der Hauptverhandlung und des Geständnisses ohnehin erforderlich gewesen sei.

Haft und Besprechungen

Hinsichtlich des weiterhin in die Gesamtwürdigung einzustellenden haftbedingten Mehraufwandes – insbesondere in Form der Teilnahme an dem Haftbefehlsverkündungstermin sowie den Fahrten zu Haftbesuchen in der JVA – sei davon auszugehen, dass dieser im Wesentlichen durch die Zuschläge zu den Gebühren abgedeckt worden sei. Der erforderliche Besprechungsaufwand könne nicht als überdurchschnittlich gewertet werden. Besprechungen gehören zu den üblichen Verteidigertätigkeiten und werden grundsätzlich durch die gesetzlichen Gebühren abgegolten. Erst wenn die Besprechungen mit dem Mandanten oder sonstigen Verfahrensbeteiligten besonders zahlreich oder langwierig waren, ist dieser Umstand im Zuge der Pauschgebührenbewilligung zu berücksichtigen (OLG Hamm, Beschl. v. 4.5.2021 – III 5 RVGs 27/21). Dass der Besprechungsaufwand – auch unter Berücksichtigung eines Vorgespräches – hier einen solchen Umfang eingenommen habe, sei nicht ersichtlich.

Zumutbarkeit

Die Verweisung des Pflichtverteidigers auf die gesetzliche Pflichtverteidigergebühr sei diesem nicht zuzumuten. Die Voraussetzung der Unzumutbarkeit trete nach ständiger Rechtsprechung des Senats neben die Voraussetzungen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit der Sache (OLG Hamm, Beschl. v. 20.5.2019 – III – III-5 RVGs 8/19 und vom 26.6.2018 – 5 RVGs 53/18). Hierdurch solle der Ausnahmecharakter der Pauschgebühr hervorgehoben werden (dazu Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, § 51 Rn 32). Die Pauschgebühr solle lediglich eine unzumutbare Benachteiligung des Verteidigers, der als Pflichtverteidiger tätig geworden ist, verhindern (ständige Rechtsprechung, vgl. nur OLG Hamm, Beschl. v. 20.5.2019 – III-5 RVGs 8/19 m.w.N). Die Bewilligung einer Pauschgebühr komme daher nur in Ausnahmefällen in Betracht (OLG Hamm, Beschl. v. 20.5.2019 – 5 RVGs 8/19 und v.26.6.2018 – 5 RVGs 53/18). Ein solcher Ausnahmefall sei hier wegen der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfangs der Sache gegeben.

Bemessung der Pauschgebühr

Das OLG hat dann anstelle der entstandenen gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren in Höhe von 6.807,00 EUR eine Pauschgebühr in Höhe von 8.500,00 EUR für angemessen gehalten und gewährt. Insbesondere die Zuerkennung einer die Wahlverteidigerhöchstgebühren annähernd erreichenden Pauschgebühr – wie vom Rechtsanwalt angestrebt – sei nicht angezeigt gewesen. Beträge in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühren seien nur in Ausnahmefällen zuzubilligen, sofern die Arbeitskraft des Verteidigers als Sonderopfer über eine längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich durch die vorliegende Strafsache blockiert worden sei (vgl. etwa OLG Hamm, Beschl. v. 14.6.2013 – 5 RVGs 46/13). Das sei vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

III. Bedeutung für die Praxis

Was ist das Besondere?

Was ist das Besondere an dieser Entscheidung, das zu einer Veröffentlichung führt bzw. diese rechtfertigt? Nun, das ist der Umstand, dass das OLG eine Pauschgebühr bewilligt hat. Denn damit tun sich die OLG nach Inkrafttreten des RVG schwer und, wenn man die Entwicklung der Rechtsprechung im Auge hat, zunehmend schwerer. Daher lohnt es sich schon, über eine Entscheidung zu berichten, in der ein OLG dann mal (wieder) eine Pauschgebühr gewährt hat. Die Umstände, die dazu geführt haben, lassen sich der Entscheidung nicht abschließend entnehmen, da das OLG sie nur rudimentär und pauschal mitteilt. Alles in allem scheint die Entscheidung der Rechtsprechung der OLG zu § 51 RVG zu entsprechen. Ob die richtig ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Frage soll hier, eben weil Einzelheiten fehlen, nicht vertieft werden (vgl. dazu eingehend die Kommentierung zu § 51 RVG bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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