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Kostenerstattung nach Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft

Vor Kenntnis der Begründung eines von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels sind keine sachgerechten Vorbereitungen zur weiteren Verteidigung möglich oder erforderlich. Nimmt der Angeklagte dennoch zu diesem Zeitpunkt schon anwaltliche Hilfe in Anspruch, sind die dadurch entstehenden Auslagen nicht als notwendig i.S.v. § 473 Abs. 2 StPO anzuerkennen.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Wuppertal, Beschl. v. 16.5.202223 Qs 63/22

I. Sachverhalt

Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft hat gegen eine amtsgerichtliche Entscheidung Berufung eingelegt. Diese hat sie vor der Begründung des Rechtsmittels zurückgenommen. Der Angeklagte hat die durch die Inanspruchnahme seines Verteidigers entstandenen Auslagen gegenüber der Staatskasse geltend gemacht. Das AG hat die Kostenfestsetzung abgelehnt. Das Rechtsmittel des Angeklagten hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Notwendigkeit der Auslagen

Das LG Wuppertal reiht sich mit seiner Entscheidung in den Chor der Stimmen ein, die in diesen Fällen eine Auslagenerstattung ablehnen. Als „notwendig“ sind nach Auffassung des LG nur die Auslagen anzusehen, die aufgrund eines berechtigten Schutzinteresses aufgewendet worden seien. Die Gebühren und Auslagen, deren Festsetzung die Verteidigung beantragt habe, seien jedoch – soweit sie nicht die erste Instanz beträfen – nicht notwendig. Der Kostenfestsetzungsantrag sei daher, soweit er die Positionen für die Berufungsinstanz anbelange (u.a. Nrn. 4124, 4141 VV RVG), zu Recht vom AG zurückgewiesen worden. Entgegen der Auffassung der Verteidigung berühre die Einlegung der Berufung durch die Staatsanwaltschaft die Sphäre des früheren Angeklagten noch nicht derart weitgehend, dass für ihn ein berechtigter Anlass bestanden habe, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt kostenpflichtige anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es sei zwar zutreffend, dass nach den Vorschriften der Strafprozessordnung die Begründung der Berufung weder erforderlich noch zwingend vorgeschrieben sei. Der rechtskundigen Verteidigung sei jedoch bekannt, dass die Staatsanwaltschaft ein von ihr eingelegtes Rechtsmittel aufgrund der Richtlinien für das Strafverfahren zu begründen habe und dem früheren Angeklagten durch die Einlegung der Berufung ohne Begründung keine Nachteile entstehen können. Der Verteidiger wisse auch, dass die Rechtsmitteleinlegung noch nicht bedeute, dass das Rechtsmittel auch tatsächlich weiterverfolgt werde.

Kurzer Hinweis genügt

Vor Kenntnis der Begründung des von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels seien keine sachgerechten Vorbereitungen zur weiteren Verteidigung möglich oder erforderlich. Diese würden erst dann notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel begründe und damit den Umfang der Anfechtung klar umrissen habe. Es sei dem früheren Angeklagten zwar unbenommen, sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen. Die dadurch entstehenden Auslagen können jedoch nicht als notwendig i.S.v. § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden. Denn zu diesem Zeitpunkt genüge seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft. Es lägen auch keine Umstände vor, die hier eine Eile bei der Verteidigung hätten begründen können. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass bereits zu diesem früheren Zeitpunkt die Erforderlichkeit bestanden habe, in einem doch eher einfach gelagerten Fall eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Der allein sachgerechte und notwendige Rat des Verteidigers, zunächst die Berufungsbegründung abzuwarten, löse keine besondere Gebühr aus.

III. Bedeutung für die Praxis

Falsche Entscheidung

Der Beschluss gehört m.E. in die Rubrik: „Hätte man besser nicht gelesen.“ Denn es folgt bereits aus dem Beschluss selbst, dass die Auffassung des LG falsch ist. Denn wenn es „dem früheren Angeklagten zwar unbenommen [ist], sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen“, dann ist nicht nachvollziehbar, warum „die dadurch entstehenden Auslagen … jedoch nicht als notwendig i.S.v. § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden“ können. Auch wenn „zu diesem Zeitpunkt … seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft“ genügt, folgt daraus doch nicht, dass der Angeklagte die Auslagen nicht erstattet erhält. Denn entscheidend ist doch nicht, was der Verteidiger weiß, sondern das, was der Angeklagte will. Der hat einen Anspruch auf Information durch seinen Verteidiger. Die Kammer geht ja auch selbst von der Notwendigkeit eines solchen (kurzen) Hinweises aus, will der Staatskasse dann aber die dadurch entstehenden Kosten/Auslagen nicht erstatten. Mir erschließt sich nicht, warum man die Staatsanwaltschaft/die Landeskasse an der Stelle so schützt. Die andere – richtige – Auffassung hätte ja dann vielleicht auch endlich mal zur Folge, dass von den Staatsanwaltschaften nicht so viele Berufungen eingelegt werden, die man dann wieder zurücknimmt. Getreu dem Satz: Ist egal, kostet ja nichts. Besser wäre, man würde nach dem Satz verfahren: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Aber das sieht die h.M. in der Rechtsprechung leider nicht so (vgl. wegen weiterer Nachweise Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4124 VV Rn 27 mit weiteren Argumenten für die Erstattungsfähigkeit der Berufungsgebühr bei Rn 30).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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