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Beweisverwertungsverbot bei Materialien für Social-Media-Kanäle

1. Der Annahme einer journalistischen Tätigkeit i.S.d. § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO und daraus folgend eines Beweisverwertungsverbots bei hierfür erstellten Materialien nach § 97 Abs. 5 S. 1 StPO steht nicht entgegen, dass selbst gefertigte Materialien weit überwiegend auf Twitter-, Instagram-, Facebook- und flickr-Kanälen veröffentlicht werden.

2. Bei der Beurteilung des berufsmäßigen Mitwirkens kommt es weder auf eine Gewinnerzielungsabsicht noch auf eine hauptberufliche Tätigkeit an.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Würzburg, Beschl. v. 10.5.20221 Qs 73/22

I. Sachverhalt

Medienaufnahmen bei Demonstration gefertigt

Die StA führt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts u.a. des Landfriedensbruchs und der Nötigung im Zusammenhang mit einem Versammlungsgeschehen. Der dem linken politischen Spektrum zuzurechnende, aber nicht beschuldigte Beschwerdeführer fertigte – wie bereits früher bei ähnlichen Versammlungen – von dem Geschehen Bildaufnahmen an. Die auf Antrag der StA vom AG angeordnete Durchsuchung seiner Wohnung führte zur Beschlagnahme dieser Video- und Fotoaufnahmen zur Führung von Tatnachweisen. Auf seine Beschwerde hat das LG den Beschluss aufgehoben und die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt.

II. Entscheidung

Beweiserhebungsverbot

Die Anordnung der Durchsuchung nach § 105 Abs. 1 S. 1 StPO und die Anordnung der Beschlagnahme nach §§ 94 Abs. 1 und 2, 98 Abs. 1 StPO seien rechtswidrig gewesen. Zwar bestehe aufgrund der durchgeführten Ermittlungen ein Anfangsverdacht. Auch lägen grundsätzlich die Voraussetzungen für die Durchsuchung bei Dritten, die nicht Beschuldigte einer Straftat sind, gem. § 103 Abs. 1 S. 1 StPO vor. Die beschlagnahmten Aufnahmen unterlägen jedoch einem Beweiserhebungsverbot gem. § 97 Abs. 5 S. 1 StPO, da sie sich im Gewahrsam einer Person i.S.d. § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO befanden und deren Zeugnisverweigerungsrecht unterfallen.

Persönlicher Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO

Der Beschwerdeführer gehöre zu dem von § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO geschützten Personenkreis. Er sei selbstständiger Fotograf und begleite regelmäßig Versammlungen und Aufzüge. Die im Rahmen dieser Tätigkeiten angefertigten (Video-)Aufnahmen veröffentliche er auf Social-Media-Kanälen wie Twitter, Instagram und Facebook. Daneben betreibe er einen Publikationskanal, auf dem er eigenes Material bereithält und auf das (über-)regionale Medienhäuser zugreifen (können). Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die von ihm angefertigten Materialien (weit überwiegend) auf seinen Kanälen veröffentlicht, stehe einer journalistischen Tätigkeit i.S.d. § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO nicht entgegen. Das Zeugnisverweigerungsrecht stehe auch Personen zu, die berufsmäßig an Informations- und Kommunikationsdiensten mitwirken, sofern diese der Unterrichtung und Meinungsbildung dienen. Unter Informations- und Kommunikationsdiensten seien dabei sämtliche an jedermann gerichteten Angebote in Text, Ton oder Bild, die unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters verbreitet werden, zu verstehen. Die Regelung ziele insbesondere auf Abrufdienste, bei denen Text-, Ton- oder Bilddarbietungen auf Anforderung aus elektronischen Speichern zur Nutzung übermittelt werden, d.h. sämtliche Formen der Internetkommunikation, ab. Der Gesetzgeber habe durch die Einbeziehung dieser Mediendienste den aktuellen Entwicklungen der Medienlandschaft Rechnung tragen wollen. In den Kreis dieser Mediendienste fielen – vorbehaltlich einer berufsmäßigen Nutzung und redaktionellen Aufbereitung zur Unterrichtung und Meinungsbildung – auch soziale Netzwerke wie Twitter, Instagram, Facebook und flickr. Es handele sich um für jedermann zugängliche Plattformen, deren bereitgestellte Text-, Ton- und/oder Bildinhalte von den Nutzern der Plattform elektronisch abgerufen werden können. Diese Informations- und Kommunikationsdienste würden durch den Beschwerdeführer hier einer allgemein zugänglichen Unterrichtung oder der Meinungsbildung dienen (wird ausgeführt). Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO stehe nur solchen Personen zu, die berufsmäßig an einem der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- oder Kommunikationsdienst mitwirken. Dieses Tatbestandsmerkmal solle eine ausufernde und vom Schutzzweck nicht mehr getragene Anwendung der Vorschrift verhindern. Bei der Beurteilung der Berufsmäßigkeit komme es jedoch weder auf eine Gewinnerzielungsabsicht noch auf eine hauptberufliche Tätigkeit an. Auch eine nebenberufliche Tätigkeit oder eine Tätigkeit als freier Journalist könne ausreichen, wenn sie in der Absicht erfolgt, sie durch die nicht nur einmalige Ausübung zu einer dauernden, wenigstens wiederkehrenden Beschäftigung zu machen. Ausgeschlossen seien demnach Personen, die nur gelegentliche Beiträge einsenden oder ohne berufsmäßige Einbindung in den Medienbereich einmal in irgendeiner Weise tätig geworden sind (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 53 Rn 31). Soweit der Beschwerdeführer von Arbeitslosengeld II lebt(e) und auf seinen Auftritten explizit darauf hinweist, dass seine „Recherchearbeit koste … und … natürlich nicht bezahlt [werde]“, stehe dies der Annahme einer berufsmäßigen Tätigkeit nicht entgegen. Zum einen verweise er auf diverse Möglichkeiten, seine Tätigkeit durch Sach- und Geldspenden zu unterstützen. Zum anderen sei seinen Social-Media-Kanälen zu entnehmen, dass die fotografische Tätigkeit des Beschwerdeführers thematisch gebunden und seit spätestens August 2020 dauerhafter Natur und auf Wiederholung angelegt ist. Zudem griffen auch klassische Medienvertreter auf seine Fotografien zurück.

Redaktionell aufbereitete Dienste

Nach § 53 Abs. 1 S. 3 StPO bestehe das Zeugnisverweigerungsrecht nur, soweit die Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialien für redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste bestimmt sind und der Zeuge mit der redaktionellen Aufbereitung der abrufbaren Informationen befasst ist. Eine redaktionelle Gestaltung liege vor, wenn regelmäßig oder kontinuierlich eine nach außen erkennbare Inhaltsauswahl und -bearbeitung sowie eine formale Vereinheitlichung der Einzelbeiträge des Angebots erfolgt. Die vom Beschwerdeführer auf seinen Social-Media-Kanälen eingestellten Beiträge wiesen eine derartige inhaltliche Kohärenz auf, dass sie in ausreichendem Maße erkennen lassen, welchen Themen und Ereignissen der Beschwerdeführer gesellschaftliche Relevanz beimisst und die für ihn deswegen berichtenswert erscheinen. Ebenso erfolge eine Auswahl des vom Beschwerdeführer veröffentlichten und geteilten Materials und eine mehr oder weniger ausführliche Schilderung und Einordnung des Geschehens. Schließlich sei auch ein gewisser Grad an Professionalisierung erkennbar. Die in Rede stehenden Profile des Beschwerdeführers dienten trotz fehlender Neutralität erkennbar nicht seiner Selbstdarstellung.

Sachlicher Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO

Die von der StA beschlagnahmten Bilddateien unterfielen einem Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 5 S. 1 StPO, da sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers auf diese erstreckt. Das für die in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO genannten Personen bestehende Zeugnisverweigerungsrecht erstrecke sich auf die Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder sonstige Informanten sowie auf die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, auf deren Inhalt sowie den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen, § 53 Abs. 1 S. 2 StPO. Zwar sei der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit der Dokumentation derartiger Demonstrationen beauftragt worden. Das Zeugnisverweigerungsrecht gelte aber gleichermaßen für selbst erarbeitetes wie für unveröffentlichtes (Foto-)Material.

III. Bedeutung für die Praxis

Doppelt bedeutsam

Der Beschluss des LG Würzburg fächert zum einen die einzelnen Voraussetzungen des Zeugnisverweigerungsrechts bei journalistischer Tätigkeit nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, S. 2 und 3 StPO auf und erörtert deren Anforderungen. Bedeutsam ist der Beschluss aber vor allem, weil erkennbar erstmalig die Frage untersucht wird, ob Veröffentlichungen auf den genannten Social-Media-Kanälen eine hiernach geschützte Tätigkeit sind. Das LG hat das mit eingehender Begründung in diesem Fall bejaht. Allerdings sind solche Dienste vorrangig auf pointierte Meinungsäußerungen und Selbstdarstellung angelegt und weniger auf die Veröffentlichung der Meinungsbildung dienender Informationen. Daher dürfte mit dieser Entscheidung das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, zumal die Annahme eines Beweisverwertungsverbots in diesem Bereich eine erhebliche Einschränkung der effektiven Strafverfolgung darstellen kann. Selbst wenn man dem LG folgt, ist die entscheidende Einschränkung im Leitsatz 1 zu beachten: Eine solche Tätigkeit kann dem Schutzbereich des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts im Einzelfall unterfallen. Sie muss es aber nicht in jedem Fall.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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