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Gebühren bei Verbindung von Verfahren

1. Grundsätzlich gilt, dass, wenn zwei Verfahren, die zunächst selbstständig waren, zu einem verbunden werden, einmal entstandene Gebühren aus den getrennten Verfahren bestehen bleiben (§ 15 Abs. 4 RVG).

2. Mit der sofortigen Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss kann nur dessen Nachprüfung verlangt werden. Eine Erstattungsforderung, über die eine anfechtbare Entscheidung des Rechtspflegers noch nicht vorliegt, kann nicht gestellt werden.

(Leitsätze des Verfassers)

LG Leipzig, Beschl. v. 15.2.202217 Qs 2/22

I. Sachverhalt

Zwei Ermittlungsverfahren anhängig

Die Staatsanwaltschaft führte unter den Aktenzeichen Az. 1 und Az. 2 zwei Ermittlungsverfahren gegen den Mandanten des Rechtsanwalts. Im Ermittlungsverfahren Az. 1 hatte sich der Rechtsanwalt bereits mit Schriftsatz vom 25.11.2019 bei der Polizei als Verteidiger angezeigt. Die Staatsanwaltschaft beantragte in diesem Verfahren einen Strafbefehl, den das AG am 23.3.2020 erließ. Hiergegen legte der Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 16.4.2020 Einspruch ein.

Verfahren werden verbunden, ein Verfahren wird eingestellt

Im Ermittlungsverfahren Az. 2 hatte sich der Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 20.10.2020 bei der Polizei angezeigt und die Staatsanwaltschaft erhob mit Anklageschrift vom 22.2.2021 Anklage. Mit Beschluss vom 21.4.2020 verband das AG die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung, wobei das Verfahren Az. 1 das führende war. In der Hauptverhandlung vom 1.7.2021 stellte das AG das Verfahren, soweit es den Tatvorwurf aus dem Verfahren Az. 2 betraf, auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 2 StPO ein und erlegte der Staatskasse insoweit die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen auf. Im Übrigen verurteilte es den Mandanten des Rechtsanwalts hinsichtlich des verbleibenden Tatvorwurfs aus dem Strafbefehl.

Rechtspflegerin wendet Differenztheorie an

Am 22.7.2021 hat der ehemalige Mandant des Rechtsanwalts diesem den Anspruch auf Erstattung von notwendigen Auslagen abgetreten. Der Rechtsanwalt hat beantragt, die notwendigen Auslagen festzusetzen. Dabei setzte er im Hinblick auf das Verfahren Az. 2 bei den Anwaltsgebühren unter anderem auch eine Verfahrensgebühr (Nr. 4106 VV RVG) und eine Terminsgebühr (Nr. 4108 VV RVG) sowie zwei Pauschalen für Post und Telekommunikation in Höhe von jeweils 20 EUR an. Demgegenüber vertrat die Vertreterin der Landeskasse die Auffassung, dass ab der Verbindung und für den Hauptverhandlungstermin die ausscheidbaren Auslagen für die Teileinstellung nach der Differenztheorie zu ermitteln seien, und sie berechnete daher die Verfahrensgebühr (Nr. 4106 VV RVG) und die Terminsgebühr (Nr. 4108 VV RVG) nach der Differenztheorie. Eine zweite Pauschale für Post und Telekommunikation erkannte sie nicht an. Die geltend gemachten Reisekosten und Abwesenheitsgelder seien schließlich keine ausscheidbaren Auslagen, da sie auch für das zur Verurteilung führende Verfahren entstanden seien. So hat die Rechtspflegering die zu erstattenden Kosten festgesetzt. Hiergegen hat der Rechtsanwalt sofortige Beschwerde eingelegt, die beim LG Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Das LG ist davon ausgegangen, dass das AG die vom Rechtsanwalt geltend gemachte Verfahrensgebühr nicht nach der Differenzmethode hätte reduzieren dürfen und eine zweite Pauschale für Post und Telekommunikation für das gerichtliche Verfahren in Höhe von 20 EUR hätte ansetzen müssen.

Verbindung der Verfahren geht vor

Das LG verweist darauf, dass dann, wenn zwei Verfahren, die zunächst selbstständig waren, zu einem Verfahren verbunden werden, grundsätzlich einmal entstandene Gebühren aus den getrennten Verfahren bestehen bleiben (§ 15 Abs. 4 RVG). Demnach entstehe in dem verbundenen Verfahren eine bereits entstandene Verfahrensgebühr nicht noch einmal (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 4106 Rn 11). Hier habe der Rechtsanwalt in dem Verfahren Az. 2 nach Erhalt der Anklageschrift Akteneinsicht genommen und somit das Geschäft betrieben, weswegen die Verfahrensgebühr bereits vor der Verbindung entstanden sei. Sie sei daher nicht einer Berechnung nach der Differenzmethode zugänglich. Die Verbindung der Verfahren führe nicht dazu, dass der Verteidiger einzelne Gebühren nur einmal verlangen könne. Die bereits vor der Verbindung entstandenen Gebühren bleiben ihm erhalten (u.a. KG JurBüro 2012, 482 484).

Postpauschale

Weiterhin gelte grundsätzlich, dass die Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV RVG) bei mehreren Angelegenheiten auch mehrfach berechnet werden könne. Ob das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und das sich daran anschließende Strafverfahren erster Instanz dieselbe Angelegenheit betreffen, sei lange Zeit umstritten gewesen, sei jedoch seit Inkrafttreten des 2. KostRMoG vom 23.7.2013 (BGBI 2013, S. 2586) und der damit verbundenen Klarstellung in § 17 Nr. 10a RVG geklärt. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das gerichtliche Verfahren seien verschiedene Angelegenheiten, für die jeweils eine eigene Pauschale angesetzt werden könne. Würden – wie hier – mehrere Verfahren verbunden, so handele es sich zudem bis zur Verbindung um mehrere Angelegenheiten. Bereits entstandene Kosten – hier in Gestalt der Pauschale – blieben nach der Verbindung bestehen (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 7002 VV Rn 35 f.).

Wertgebühr

Der Rechtsanwalt hatte im Beschwerdeverfahren noch eine Gebühr Nr. 4142 VV RVG geltend gemacht. Dazu merkt die Strafkammer an, dass sie insoweit nicht zuständig sei. Mit der sofortigen Beschwerde könne nur eine Nachprüfung verlangt werden. Eine Erstattungsforderung, über die eine anfechtbare Entscheidung des Rechtspflegers noch nicht vorliegt, könne nicht gestellt werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 464b Rn 9).

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

Die Entscheidung ist zutreffend. Sie beherzigt einen sich aus § 15 Abs. 4 RVG ergebenden Grundsatz des anwaltlichen Gebührenrechts. Durch nach dem Entstehen einer Gebühr eintretende Verfahrensereignisse können einmal entstandene Gebühren weder ganz noch teilweise wieder wegfallen. Eine Ausnahme von dieser Regel stellen nur ggf. bestehende Anrechnungsregelungen wie z.B. § 15a RVG oder Nr. 4143 Anm. 2 (Verteidiger) dar. Auf diese kam es hier aber nicht an (zur Verbindung von Verfahren eingehend auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A 2312 ff.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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