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Aussetzung der Hauptverhandlung und falsche Sachbehandlung

§ 21 GKG erfasst ausschließlich Gerichtskosten. Ein Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von notwendigen Auslagen ergibt sich hieraus nicht.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Hagen, Beschl. v. 9.12.202131 Ks 2/20

I. Sachverhalt

Schwurgerichtsverfahren muss wegen Ausscheidens einer Richterin ausgesetzt werden

Das Strafverfahren richtete sich gegen mehrere Angeklagte. Das Hauptverfahren ist vor dem Schwurgericht eröffnet worden. Dort begann am 10.8.2020 die Hauptverhandlung. Anschließend wurden zwölf Fortsetzungstermine durchgeführt. Es wurden zwar zwei Ergänzungsschöffen eingesetzt, die an der Hauptverhandlung teilgenommen haben, Ergänzungsrichter wurden aber nicht hinzugezogen. Der letzte Hauptverhandlungstermin fand am 21.9.2020 statt. Dann musste die Hauptverhandlung unterbrochen werden, weil eine der teilnehmenden Berufsrichterinnen kurzfristig aus dem Justizdienst ausgeschieden ist. Diese hatte ihren Entschluss, die Justiz verlassen zu wollen, Mitte September 2020 mitgeteilt. Eine im Verfahren in Aussicht genommene Verständigung nach § 257c StPO war nicht zustande gekommen, so dass das Verfahren nicht rechtzeitig vor dem Ausscheiden der Richterin zum Abschluss gebracht werden konnte. Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen und am 14.1.2021 mit neuer Kammerbesetzung erneut begonnen.

Antrag, Kosten des Verfahrens und notwendige Auslagen sind den Mandanten nicht aufzuerlegen

Die Verteidiger der Angeklagten haben beantragt, die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen insoweit nicht ihren Mandanten aufzuerlegen, als sie sich auf die 13 Hauptverhandlungstermine vom 10.8.2020 bis 21.9.2020 beziehen, sowie insoweit eine Kostengrundentscheidung zu treffen. In dem am 23.9.2021 – nach 21 Verhandlungstagen – verkündeten Urteil ist über den Antrag nicht entschieden worden, das sollte im Kostenansatzverfahren entschieden werden. Der Antrag hatte dann teilweise Erfolg. Das LG hat gem. § 21 Abs. 1 S. 2 GKG von der Erhebung von Auslagen des Gerichts für die 13 Hauptverhandlungstermine vorn 10.8.2020 bis 21.9.2020 abgesehen. Im Übrigen hat es den Antrag, von einer Auferlegung der Kosten des Verfahrens sowie der notwendigen Auslagen der Angeklagten abzusehen, soweit sie sich auf die 13 Hauptverhandlungstermine vom 10.8. bis 21.9.2020 beziehen, zurückgewiesen.

II. Entscheidung

Unrichtige Sachbehandlung?

Das LG nimmt dann zur Frage der „unrichtigen Sachbehandlung“ Stellung. Eine unrichtige Behandlung der Sache sei vorliegend nicht ersichtlich. Davon sei auszugehen, wenn ein Gericht oder ein sonstiger Bediensteter – etwa ein Gerichtswachtmeister – objektiv fehlerhaft gehandelt habe (BeckOK-KostR/Dörndorfer, 35. Ed. 1.10.2021, GKG § 21 Rn 3). Dabei sei aber nicht jeder Fehler ausreichend, sondern es müsse sich um einen offensichtlichen und schweren Verfahrensfehler handeln (BGH NJW-RR 2005, 1230 = RVGreport 2006, 77) oder in offensichtlich eindeutiger Weise materielles Recht verkannt werden (BFH, Beschl. v. 31.1.2014 – X E 8/13). Das sei hier aber nicht der Fall. Die Unterbrechung des Verfahrens resultiere aus einer persönlichen und für die Gerichtsverwaltung nicht vorhersehbaren Entscheidung der ausgeschiedenen Richterin. Diese sei gem. § 21 Abs. 2 Nr. 4 DRiG auf ihren schriftlichen Antrag hin aus dem Dienst zu entlassen, wobei der Zeitpunkt der Entlassung aus dem Dienst durch den Richter selbst bestimmt werden kann (Staats, DRiG, 1. Aufl. 2012, § 21 Rn 8). Dabei sei durch das Gericht sowohl versucht worden, die Richterin zu einer Verlängerung des Dienstverhältnisses bis zum Abschluss des hiesigen Verfahrens zu bewegen, als auch einen schnelleren Abschluss des Verfahrens durch eine Verständigung herbeizuführen, was aber jeweils scheiterte.

Ergänzungsrichter?

Dass zwingend ein Ergänzungsrichter hätte eingesetzt werden müssen (§ 192 GVG), sei ebenfalls nicht ersichtlich. Zwar handele es sich vorliegend um ein umfangreiches Verfahren, bei dem zunächst 32 Verhandlungstermine angesetzt worden waren. Diese seien aber sämtlich in der Zeit von August bis November 2020 angesetzt gewesen, so dass es sich um einen überschaubaren Zeitraum von weniger als vier Monaten handelte. Zudem habe auch davon ausgegangen werden können, dass nicht sämtliche Termine benötigt werden würden, was anhand der Tatsache erkennbar sei, dass der zweite Verfahrensdurchgang – wenn auch unter Abtrennung des Verfahrens gegen einen der Angeklagten – in nur 21 Verhandlungstagen beendet werden konnte. Es seien auch keinerlei Anzeichen dafür ersichtlich gewesen, dass seitens der sodann ausgeschiedenen Richterin damit zu rechnen gewesen wäre, dass diese derart plötzlich aus dem Dienst ausscheiden könnte.

Auslagen des Gerichts

Etwas anderes gilt nach Auffassung des LG aber für die Auslagen des Gerichts, die für die 13 Hauptverhandlungstermine vom 10.8. bis 21.9.2020 angefallen sind. Gem. § 21 Abs. 1 S. 2 GKG seien auch Auslagen, die durch eine von Amts wegen veranlasste Verlegung eines Termins oder Vertagung einer Verhandlung entstanden seien, nicht zu erheben. Zwar seien hier keine Termine von Amts wegen aufgehoben oder vertagt worden. Nach Auffassung der Kammer ist die Konstellation des nachträglichen Ausscheidens einer zur Entscheidungsfindung berufenen Richterin aber vergleichbar mit der gesetzlich geregelten Konstellation: In beiden Fällen sei ein Termin, für den das Gericht Auslagen aufgewandt hat, ergebnislos verlaufen, ohne dass eine Verfahrensförderung erfolgen konnte, wobei dies durch Ursachen hervorgerufen wurde, die in die Sphäre des Gerichts fallen. Da § 21 Abs. 1 S. 2 GKG auch kein „Verschulden“ im Sinne einer unrichtigen Sachbehandlung voraussetze, sondern es allein darauf ankomme, aus wessen Sphäre der Grund für nutzlose Aufwendungen herrühre, sei daher von einer Erhebung der gerichtlichen Auslagen abzusehen, sofern diese für die 13 Hauptverhandlungstermine vom 10.8:2020 bis 21.9.2020 angefallen seien.

Notwendige Auslagen der Angeklagten

Keine Grundlage findet sich nach Auffassung des LG in § 21 GKG jedoch dafür, den Angeklagten ihre eigenen notwendigen Auslagen nicht aufzuerlegen. § 21 GKG erfasse nämlich, wie bereits an der systematischen Stellung im Gerichtskostengesetz erkennbar, ausschließlich Gerichtskosten. Ein Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von notwendigen Auslagen ergebe sich hieraus nicht (BGH NStZ-RR 2008, 31 = RVGreport 2008, 235; BeckOK-KostR/Dörndorfer, 35. Ed. 1.10.2021, GKG § 21 Rn 1). Derartige Kosten seien als Schaden ggf. im Zivilrechtswege geltend zu machen. Dabei erscheine es – so das LG – auch nicht unbillig, die Gerichtskosten sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten für die Verhandlungstage vom 10.8. bis 21.9.2020 den Angeklagten aufzuerlegen. Gem. § 465 StPO sollen die Kosten des Strafverfahrens grundsätzlich von demjenigen getragen werden, der durch sein strafbares Verhalten Anlass zur Durchführung des Verfahrens gegeben hat. Dabei trage dieser – im Falle einer Verurteilung – auch die Gefahr, dass durch das Verfahren mehr Kosten entstehen, als zur Feststellung seiner Schuld erforderlich gewesen wäre. Ein Anspruch auf „kosteneffiziente Strafverfolgung“ bestehe insofern nicht. Der Verurteilte trage daher – vorbehaltlich des Eingreifens von abweichenden Spezialregelungen – auch das Risiko, dass sich das Verfahren in die Länge ziehe oder sich im Nachhinein als überflüssig herausstellende Maßnahmen, etwa Beweiserhebungen, ergriffen werden.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend wie die h.M.

Die Entscheidung ist zutreffend. In Betracht kommt über § 21 GKG nur das Absehen von Gerichtskosten wegen unrichtiger Sachbehandlung. Zu Recht verweist das LG darauf, dass es sich um eine Regelung im GKG handelt, von ihr also nur die Gerichtskosten erfasst werden. Auf den notwendigen Auslagen für die Teilnahme der Verteidiger an den „nutzlosen“ Hauptverhandlungsterminen vor Aussetzung der Hauptverhandlung am 21.9.2020 bleiben die Angeklagten sitzen. Es handelt sich um Kosten des Verfahrens, die nach § 465 Abs. 1 S. 1 StPO der verurteilte Angeklagte zu tragen hat; abgesehen davon, dass eine „unrichtige Sachbehandlung“ nicht vorliegt. Das ist h.M. in der strafverfahrensrechtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ 1989, 191 = StV 1989, 401; 2000, 499; NStZ-RR 2008, 31; DAR 1999, 208; OLG Koblenz NStZ 1989, 46; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 465 Rn 11). Es kommt auch nicht in Betracht, dass diese Auslagen aus Billigkeitsgründen der Staatskasse auferlegt werden (BGH NStZ 2000, 499; OLG Koblenz a.a.O.). Insoweit bleibt dann nur ein Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB, der hier sicherlich auch nicht gegeben ist, da ein schuldhaftes Verhalten des Gerichts oder der Gerichtsverwaltung nicht erkennbar ist.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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