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Auslagenerstattung nach Tod des Angeschuldigten

Zur Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten auf die Staatskasse, wenn dieser vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses verstirbt.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Dresden, Beschl. v. 24.1.20225 Qs 12122

I. Sachverhalt

Angeschuldigter verstirbt nach Anklageerhebung

Die Staatsanwaltschaft legte dem Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 3.3.2021 Subventionsbetrug in sieben Fällen wegen unrichtiger Angaben in verschiedenen Corona-Soforthilfe-Anträgen bzw. Darlehensanträgen bei der Sächsischen Aufbaubank und in einem Antrag auf Corona-Soforthilfe-Zuschuss bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt zur Last. Nachdem der Angeschuldigte am 28.11.2021 verstorben war, stellte das AG das Verfahren gemäß § 206a StPO ein. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten wurden der Staatskasse auferlegt. Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde ein, die keinen Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Ausnahmeregelung basiert auf Ermessen

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen (auch) im Fall der Einstellung die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten grundsätzlich der Staatskasse zur Last. Diese Kostenentscheidung ist Folge der Unschuldsvermutung, wonach jeder als unschuldig gilt, solange er nicht verurteilt ist. Gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 StPO kann das Gericht von dieser Auslagenentscheidung absehen, wenn der Angeschuldigte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung, wobei der Ausnahmecharakter dieser Vorschrift zu berücksichtigen ist.

Verschiedene Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur

Insoweit werden – so das LG – in Rechtsprechung und Literatur zwei Auffassungen vertreten. Die eine Auffassung halte die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Versagung einer Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO nur dann für gegeben, wenn der Angeschuldigte allein wegen des bestehenden Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird, also mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sei. Insoweit werde vielfach davon ausgegangen, dass allein die Durchführung des Verfahrens bis zur Schuldspruchreife eine Ermessensentscheidung ermögliche. Teilweise werde eine Vorverlagerung für einfach gelagerte Fälle erwogen, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Schuld des Angeschuldigten spreche, sofern sich die maßgeblichen Tatsachen dem Akteninhalt ohne Klärung in einer Hauptverhandlung zweifelsfrei entnehmen lassen oder ein Geständnis vorliege.

Demgegenüber können nach einer anderen in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht im Rahmen der gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO zu treffenden Ermessensentscheidung schon verbleibende Verdachtserwägungen einer Auslagenerstattung entgegenstehen, da eine Beschränkung auf Fälle der Schuldspruchreife nach dieser Ansicht zu einem unangemessen engen Anwendungsbereich der Vorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO führen würde. Um dem Ausnahmecharakter der Vorschrift ausreichend Rechnung zu tragen, sei aber ein erheblicher Tatverdacht erforderlich. Zudem dürften tatsächliche oder rechtlich entlastende Umstände, welche die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen könnten, nicht ersichtlich sein.

Keine Einlassung des Angeschuldigten

Hier sei, so das LG, das Verfahrenshindernis nach Anklageerhebung, aber vor Erlass eines Eröffnungsbeschlusses eingetreten. Die Akte enthalte Unterlagen über Gewerbean- und -abmeldungen sowie Vollstreckungsaufträge und Pfändungen, die auf wirtschaftliche Schwierigkeiten bereits vor Eintreten der Corona-Pandemie hindeuten sowie darauf, dass der Angeschuldigte Subventionen für ein nicht mehr bestehendes Gewerbe beantragte. Der Angeschuldigte habe sich allerdings vor seinem Tod nicht zur Sache eingelassen, entlastende Umstände mithin nicht vorbringen können. Vom Fehlen entlastender Umstände könne nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Insbesondere sei die wirtschaftliche Situation seiner Unternehmung nicht ausreichend aufgeklärt, so z.B., ob und ggf. welche Forderungen dem Angeschuldigten zustanden. Auch nähere Angaben zum Umfang seiner selbstständigen Tätigkeit fehlten, so dass die Entscheidung des AG nicht zu beanstanden ist. Eine Begründung sei für die Anwendung der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO nicht erforderlich.

III. Bedeutung für die Praxis

Bei „offenem Rennen“ Vorsicht!

Die Entscheidung ist m.E. zutreffend (zur Auslagenerstattung im Ermittlungsverfahren s. auch Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 772 ff.). Bei der Anwendung der Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO ist m.E. im Hinblick auf die Unschuldsvermutung, die ggf. tangiert wird, höchste Vorsicht geboten. Eine strafrechtliche Schuldzuweisung darf nicht erfolgen (zuletzt BVerfG NJW 2017, 2459 m. Anm. Burhoff, RVGreport 2017, 316). Das gilt vor allem, wenn wie hier das Rennen offen ist. Denn es lag hier noch nicht einmal die Eröffnungsentscheidung des AG vor, der Angeschuldigte hatte sich zudem auch (noch) nicht zur Sache eingelassen. Damit mag zwar aufgrund des übrigen Akteninhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung gesprochen haben. Mehr aber auch nicht. Der Ausgang des Verfahrens zu Lasten des Angeschuldigten war jedenfalls nicht so sicher, dass das eine Versagung der grundsätzlichen Auslagenerstattung durch die Staatskasse gerechtfertigt hätte.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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