Beitrag

Abrechnung der Tätigkeiten in mehreren Verfahren

Zu den Gebühren nach Verbindung von Verfahren und zum Verhältnis Grundgebühr/Verfahrensgebühr.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Celle, Beschl. v. 26.1.20222 Ws 19/22

I. Sachverhalt

Anklage wegen Betruges in einem Verfahren

Die Staatsanwaltschaft Verden hat am 11.2.2019 Anklage gegen den ehemaligen Angeklagten wegen Betrugs beim AG erhoben. Dem Angeklagten wurde ein Betrug über die Internetplattform eBay vorgeworfen. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung waren bei der Staatsanwaltschaft bereits zahlreiche weitere Verfahren mit gleich gelagerten Tatvorwürfen gegen den Angeklagten anhängig. Auf Antrag des Verteidigers vom 24.4.2019 bestellte das AG ihn am 20.5.2019 zum Pflichtverteidiger. In der Folgezeit klagte die Staatsanwaltschaft in 16 weiteren Verfahren zahlreiche gleichgelagerte Tatvorwürfe beim AG mit der Anregung der Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung an. Bei den weiteren Anklagen handelte es sich teilweise um einzelne, teilweise um mehrere Tatvorwürfe aus zuvor verbundenen Ermittlungsverfahren.

Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft

In jedenfalls sechs der diesem Gebührenstreit zugrunde liegenden Verfahren war der Anklage vorausgegangen, dass verschiedene am Wohnort der jeweils Geschädigten zuständige Staatsanwaltschaften die bei ihnen anhängig gemachten Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft Verden als für den Wohnsitz des Angeklagten zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben hatten. Die Staatsanwaltschaft Verden übernahm die ihr vorgelegten Verfahren und vergab zunächst für jedes übernommene Verfahren ein gesondertes Aktenzeichen. Auf zahlreiche unter Nennung der jeweiligen Aktenzeichen an die Staatsanwaltschaft gerichtete einzelne Anträge des Verteidigers gewährte sie diesem jeweils durch gesonderte Verfügungen der zuständigen Dezernentin bzw. des zuständigen Dezernenten in den einzelnen Ermittlungsakten gesondert Akteneinsicht. In einigen später bei der Staatsanwaltschaft eingetragenen Verfahren erfolgte die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger auch ohne dessen Gesuch schon bei Eintragung der Sache von Amts wegen. Nach Rückkehr der Akten vom Verteidiger wurden diese in der Zeit vom 22.5.2019 bis zum 31.7.2019 zu insgesamt sechs Verfahren verbunden und sukzessive zum AG angeklagt. Dabei wurde jeweils eines der Verfahren als sog. führendes Verfahren bestimmt, zu dem die Akten der hinzuverbundenen Verfahren als Fallakten genommen wurden. Beim AG wurden die nachträglich eingegangenen Anklagen zum Verfahren der ersten Anklage vom 11.2.2019 verbunden und fortwährend als „Sonderhefte“ mit Fallakten geführt. Im Zuge der sukzessiven Anklageerhebung entschied das AG mehrfach, zuletzt mit in der Hauptverhandlung vom 20.5.2020 verkündetem Beschluss, dass die Wirkungen der Pflichtverteidigung gemäß § 46 Abs. 6 S. 3 RVG auf die hinzuverbundenen Verfahren erstreckt werden.

Festsetzung der Gebühren in 21 Verfahren beantragt

Das AG hat den ehemaligen Angeklagten schließlich wegen Betruges in 60 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Anschluss beantragte der Pflichtverteidiger mit insgesamt 16 Anträgen in der Zeit vom 25.5. bis zum 28.5.2020 die Festsetzung seiner gesetzlichen Gebühren. Im Wesentlichen wurden diese durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wie beantragt festgesetzt. Im Hinblick auf die Anträge der sechs diesem Verfahren zugrunde liegenden Verfahren wich dieser allerdings vom jeweiligen Antrag des Pflichtverteidigers ab. Der Verteidiger hatte in seinen Kostennoten für diese Verfahren jeweils auch für die nach Verbindung nur noch als Fallakten geführten Verfahren je eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG sowie jeweils die Postpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG abgerechnet. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte aber in den sechs Kostenrechnungen die vorstehenden, vom Verteidiger für insgesamt 21 Fallakten angesetzten Gebühren bei seiner Festsetzung jeweils ab.

OLG setzt weitere 4.498,20 EUR fest, weitere Festsetzung abgelehnt

Die hiergegen vom Verteidiger erhobene Erinnerung ist vor dem AG ohne Erfolg geblieben. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde hat die Strafkammer verworfen, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache aber die weitere Beschwerde zugelassen. Die weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers hatte teilweise Erfolg. Das OLG hat gemäß §§ 45 Abs. 3, 48 Abs. 1 RVG weitere 4.498,20 EUR als Vergütung gegen die Landeskasse festgesetzt. Die darüber hinaus geltend gemachten Gebühren sind nicht festgesetzt worden.

II. Entscheidung

Grundsätze zur Verbindung von Verfahren

Die allgemeine Vergütung des Verteidigers und die Vergütung im vorbereitenden Verfahren richte sich – so das OLG – nach Nr. 4100 bis 4105 VV RVG. Ausgangspunkt bilde dabei stets die in Nr. 4100 VV RVG geregelte Grundgebühr. Gemäß Anmerkung 1 zu Nr. 4100 VV RVG erhalte der Rechtsanwalt eine Grundgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall. Der Rechtsfall werde dabei bestimmt vom strafrechtlichen Vorwurf, der dem Auftraggeber gemacht werde, und wie er von den Strafverfolgungsbehörden verfahrensmäßig behandelt werde Grundsätzlich sei jedes von den Strafverfolgungsbehörden betriebene Ermittlungsverfahren ein eigenständiger Rechtsfall i.S.v. Nr. 4100 VV RVG, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden sind (KG StRR 2011, 359; LG Braunschweig StraFo 2010, 513 = RVGreport 2010, 422 = RVGprofessionell 2010, 214 = StRR 2011, 39). Eine spätere Verfahrensverbindung habe auf bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandene Gebühren keinen Einfluss (LG Braunschweig, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, Einl. VV Teil 4 Rn 23 m.w.N.).

Konkreter Fall

a) Nach diesen Grundsätzen bildeten nach Auffassung des OLG die 21 der Beschwerde zugrunde liegenden Verfahren bis zu ihrer Verbindung zu anderen Verfahren jeweils eigenständige Rechtsfälle. Grundlage seien jeweils einzelne Straftaten des Angeklagten gewesen. Die Staatsanwaltschaft Verden habe jedes einzelne Verfahren nach Übernahme separat in ihr Verfahrensregister eingetragen und ein eigenes Aktenzeichen hierfür vergeben. Die Akteneinsicht sei in jedem der einzelnen Verfahrensakten individuell durch die zuständige Dezernentin bzw. den zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft verfügt worden, entweder, nachdem der Verteidiger unter Nennung des zuvor individuell vergebenen Aktenzeichens Akteneinsicht begehrt hatte oder noch vor einer Legitimation durch den Verteidiger durch die Staatsanwaltschaft von Amts wegen. Die Verbindung der Verfahren sei in allen Fällen erst zu einem späteren Zeitpunkt, d.h. in allen 21 Fällen als die Grundgebühr bereits entstanden war, erfolgt. Die entsprechende Eintragungspraxis und Akteneinsichtsgewährung habe die Staatsanwaltschaft auch noch beibehalten, als absehbar gewesen sei, dass es sich um eine Serie gleichgelagerter Taten des Angeklagten gehandelt habe, die letztendlich einer einheitlichen Verhandlung beim AG zugeführt werden sollte. Sie hätte es in der Hand gehabt, die übernommenen Verfahren ohne Vergabe neuer Aktenzeichen entweder bereits zu einem vorhandenen Verfahren zu nehmen oder sie vor Einsichtsgewährung an den Verteidiger zu verbinden, was indes vorliegend gerade nicht erfolgt sei.

Keine Gesamtschau

Das anwaltliche Vergütungsrecht biete – anders als das LG meine – dagegen keinen Raum für eine abweichende Beurteilung aufgrund einer „Gesamtschau“ unter Berücksichtigung des Schwerpunkts der anwaltlichen Tätigkeit. Dies folge schon aus dem Umstand, dass sich die gesetzliche Rechtsanwaltsvergütung nicht am verfahrensmäßigen Aufwand für den Rechtsanwalt ausrichte, sondern seine wirtschaftlichen Belange durch Pauschalgebühren im Sinne einer Mischkalkulation sichergestellt werden sollen (Stollenwerk, in: Schneider/Volpert/Fölsch, KostR, 3. Aufl. 2021, VV RVG Vorbem. 4 Rn 6). Insofern sei es unerheblich, in welchem Verfahrensstadium der Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit gelegen habe. Denn spiegelbildlich zum Anspruch auf die vermeintlich nicht aufwandsgerecht hohe Vergütung jedes einzelnen, später verbundenen Rechtsfalles erhalte der Verteidiger nach der Verbindung nur noch eine einzelne Verfahrensgebühr, unabhängig davon, ob etwa die Vielzahl der Fälle oder besondere rechtliche Schwierigkeiten bei mehreren einzelnen Tatvorwürfen die Bearbeitung durch ihn im späteren Verfahrensstadium gerade besonders aufwändig gemacht haben.

Zeitpunkt der Verbindung ohne Bedeutung

b) Entsprechend der eindeutigen und mehrfach wiederholten Beschlüsse des AG zur Erstreckung der gebührenrechtlichen Wirkung der Pflichtverteidigerbeiordnung bestehe der Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 StPO auch auf die in Ermittlungsverfahren der späteren Fallakten entfaltete Tätigkeit des Verteidigers und die hierfür entstandenen Gebühren. Unschädlich sei auch, dass dieser zum Zeitpunkt seines Tätigwerdens in den später hinzuverbundenen Verfahren zum Teil noch nicht als Pflichtverteidiger im führenden Verfahren bestellt gewesen sei (OLG Celle AGS 2019, 554 = StraFo 2019, 526 = RVGreport 2020, 93). Maßgeblich für die mit der Erstreckung einsetzende Rückwirkung sei entgegen der Auffassung von AG und LG allein das zivilrechtliche Entstehen des jeweiligen Vergütungsanspruchs. Dieses richte sich nach dem (erstmaligen) Tätigwerden des Rechtsanwalts im jeweiligen Ermittlungsverfahren, soweit dies vor der erstmaligen Verbindung des Verfahrens erfolgt. Ob die Verfahren in der Folge vor Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft oder erst danach verbunden werden, sei unerheblich (OLG Jena Rpfleger 2004, 313 noch zum Vergütungsrecht unter Geltung der BRAGO; AG Tiergarten AGS 201, 133 = RVGprofessionell 2009, 203 = RVGreport 2010, 18–19 = StRR 2010, 120; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, RVG § 48 Rn 29).

Keine Zweckmäßigkeitsprüfung

Eine Prüfung der Recht- oder gar Zweckmäßigkeit der Erstreckungsentscheidung(en) finde im Kostenfestsetzungsverfahren dagegen nicht mehr statt. Deren Anfechtbarkeit richte sich im Erkenntnisverfahren nach § 304 StPO (OLG Düsseldorf RVGreport 2008, 140 = RVGprofessionell 2007, 175 = StRR 2007, 203). Die Erstreckungsentscheidung führe dazu, dass die entstandene Vergütung in den Verfahren, auf die sich die Erstreckung beziehe, vom Rechtsanwalt gegenüber der Landeskasse geltend gemacht werden kann.

Höhe der Gebührenforderung

Der Höhe nach ist für die Tätigkeit des Verteidigers in den den 21 Fallakten zugrunde liegenden Verfahren nach Auffassung des OLG Celle (nur) jeweils die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG und die Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG entstanden. Ein Anspruch auf Festsetzung der vom Verteidiger daneben jeweils abgerechneten Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG besteht dagegen nicht.

Grundgebühr/Verfahrensgebühr

Die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG entstehe nach Übernahme des Mandats und solle den Aufwand für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall abgelten. Die Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG solle dagegen nach der Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information abgelten. Die Verfahrensgebühr entstehe zwar nach Anmerkung 1 zu Nr. 4100 VV RVG neben der Grundgebühr. Abgegolten würden mit ihr im vorbereitenden Verfahren allerdings nur Tätigkeiten nach der Erstinformation des Rechtsanwalts, d.h. alle Tätigkeiten nach erstem Mandantengespräch und erster Akteneinsicht (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, Vorbem. 4 Rn 14). Die erste Akteneinsicht sei dagegen bereits von der Grundgebühr umfasst (OLG Jena a.a.O.; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, VV 4100 Rn 22). Werde das Verfahren nach erfolgter Erstinformation zu einem anderen Verfahren verbunden, bestehe für die Annahme einer neben der Grundgebühr stets entstehenden Verfahrensgebühr (Nr. 4104 VV RVG) kein Raum.

Nur Grundgebühr

Daran gemessen habe der Verteidiger nur Anspruch auf Festsetzung der Grundgebühr. In seinen sechs der Beschwerde zugrunde liegenden Kostenrechnungen habe er – worauf er auch in seinen Rechtmittelbegründungen stets verwiesen habe – im Einzelnen seine Tätigkeit in den den späteren Fallakten zugrunde liegenden Ermittlungsverfahren unter Nennung von Aktenfundstellen dargelegt. Die entsprechend bezeichneten Fundstellen beziehen sich jeweils nur auf die erste Akteneinsicht durch den Rechtsanwalt, sei es auf seinen Antrag oder auf die von Amts wegen veranlasste Übersendung. Weitere, über die erste Einarbeitung in den jeweiligen Fall hinausgehende Tätigkeiten bis zur jeweils kurze Zeit später erfolgten Verfahrensverbindung hat der Verteidiger nicht vorgetragen und waren nach Lage der Dinge unter Berücksichtigung des jeweiligen Verfahrensstadiums auch nicht zu erwarten. Auf der Grundlage hat das OLG 21-mal die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 160 EUR und die Pauschale Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 EUR nebst Umsatzsteuer, also insgesamt 214,20 EUR festgesetzt. Die darüber hinaus auch geltend gemachten Gebühren Nr. 4104 VV RVG sind nicht festgesetzt worden.

III. Bedeutung für die Praxis

Nur teilweise zutreffend

Die Entscheidung ist nur teilweise zutreffend. Sie zeigt hinsichtlich des vom OLG dargestellten Verhältnisses der Grundgebühr zur Verfahrensgebühr eklatante Lücken in den Gebührenkenntnissen des OLG, die zu einer für den Verteidiger erheblichen Mindereinnahme geführt haben (vgl. dazu 2).

Zutreffende Ausführungen zur Erstreckung/Verbindung

1. Zutreffend sind allerdings die Ausführungen des OLG zu den Fragen der Verbindung und/oder Erstreckung (§§ 15, 48 RVG). Sie entsprechen der h.M. in der Rechtsprechung (vgl. die Kommentierungen zu § 48 Abs. 3 RVG bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 48 Abs. 3 und bei Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 48 Rn 171 ff. sowie Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 2313 ff. und Gerold/Schmidt/Burhoff, VV Einl. Teil 4 Rn 23 u. VV Vorb. 4 Rn 20 ff.). Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: Zutreffend ist insbesondere der Hinweis des OLG darauf, dass Erstreckungsentscheidungen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht mehr überprüft werden. Das wäre ja auch noch schöner, wenn der Urkundsbeamte, dem einer Erstreckungsentscheidung missfällt, weil sie – wie hier – zu erheblichen Gebühren für den Pflichtverteidiger führt, diese im Kostenfestsetzungsverfahren „reparieren“ könnte. Das kann im Erstreckungsverfahren geschehen, da dort Beschwerde eingelegt werden kann. Ist das nicht geschehen, ist die Erstreckungsentscheidung rechtskräftig und der Vergütungsfestsetzung ohne Wenn und Aber zugrunde zu legen.

Ausführungen zu Grundgebühr/Verfahrensgebühr grob fehlerhaft

2. Grob fehlerhaft ist die Entscheidung des OLG allerdings im Hinblick auf das Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Man ist erstaunt, dass man das, was das OLG an der Stelle ausführt, mehr als acht Jahre nach Inkrafttreten des 2. KostRMoG noch lesen muss. Denn dieses hat das Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr, das bis dahin umstritten bzw. zumindest nicht eindeutig geklärt war, dahin geklärt, dass Grundgebühr und Verfahrensgebühr mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts immer nebeneinander entstehen (dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4100 Rn 25 ff. m.zahlr.w.N.). Das sollte sich inzwischen auch bis zum OLG Celle herumgesprochen haben, was aber offenbar leider nicht der Fall ist. Denn das, was das OLG dazu ausführt, hätte zur Rechtslage vor 2013 gepasst, es passt jetzt aber sicher nicht mehr. Ich erspare mir und dem gebührenkundigen Leser die weiteren Einzelheiten, lege aber dem OLG zu der Problematik dringend die Lektüre eines Gebührenkommentars und der dort angeführten Nachweise ans Herz, damit in Zukunft solche (schweren) Fehler vermieden werden können. Zu der Frage hilft auch die vom OLG angeführte Entscheidung des OLG Jena (a.a.O.) nicht weiter. Abgesehen davon, dass sie aus 2004 stammt, also zum alten Recht ergangen ist, lässt sich aus ihr zu der Problematik nichts ableiten.

3.298,68 EUR entgangen

Für den Pflichtverteidiger ist dieser Fehler besonders ärgerlich, denn die dadurch eingetretene Mindereinnahme ist beträchtlich. Es hätten nämlich zusätzlich festgesetzt werden müssen: 21-mal die Nr. 4104 VV RVG, also – nach dem Recht vor Inkrafttreten des KostRÄG am 1.1.2021 – 21 x 132,00 EUR zuzüglich 19 % USt, also insgesamt 3.298,68 EUR. Auf die muss er nun wegen der mangelnden Gebührenkenntnisse des OLG verzichten. Das darf an sich nicht sein. Zwar mag, was dem einen oder anderen Beteiligten vielleicht nicht gefällt, die Gebührenforderung des Pflichtverteidigers recht hoch gewesen sein. Das liegt aber nicht am Verteidiger, sondern daran, dass die Staatsanwaltschaft die vielen Verfahren eben für den Verteidiger „gebührengünstig“ behandelt hat.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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