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Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistands

Für die Abrechnung der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand kommt es auf eine Einzelfallbetrachtung an. Kommt die Tätigkeit quasi einer Verteidigertätigkeit gleich, wird nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abgerechnet.

(Leitsatz des Verfassers)

AG Duisburg-Hamborn, Beschl. v. 21.12.202014 Ls-293 Js 915/19-23/20

I. Sachverhalt

Vertreten von Zeugen als Zeugenbeistand beim Jugendschöffengericht

Die (beigeordneten) Rechtsanwälte haben in einer beim Jugendschöffengericht anhängigen Jugendstrafsache mehrere Zeugen vertreten. Einer der Rechtsanwälte ist zunächst für einen Zeugen und dann für einen weiteren tätig geworden. Nach Abschluss der Tätigkeiten haben die Rechtsanwälte die Festsetzung ihrer gesetzlichen Gebühren beantragt. Die Rechtspflegerin hat Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG festgesetzt. Dagegen hat der Bezirksrevisor Erinnerung eingelegt mit dem Ziel, dass nur nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG festgesetzt werden soll. Der Rechtspfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Amtsrichter vorgelegt, der „der Erinnerung nicht abgeholfen und die Akten dem LG vorgelegt“ hat.

II. Entscheidung

Einzelfallbetrachtung

Der Amtsrichter hat sich der Auffassung der Rechtspflegerin angeschlossen. Zur Frage der Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit als Zeugenbeistand würden mit guten Argumenten und unterschiedlichen Interessen verschiedene Rechtsauffassungen vertreten. Der Gesetzgeber habe es leider versäumt, eine eindeutige Regelung zu treffen. Die einzige im dortigen Bezirk bekannt gewordene Entscheidung des LG Duisburg v. 15.5.2014 (33 Qs 208 Js 67/13 – 23/14) lasse die Frage, ob lediglich Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG zur Anwendung kommt, weil es sich um eine Einzeltätigkeit handelt, oder ob der Zeugenbeistand vergleichbar mit einem Verteidiger im Strafverfahren zu vergüten ist, offen. Richtigerweise komme es – so das AG – auf eine Einzelfallbetrachtung an.

Im vorliegenden Fall sei die Wahrnehmung der Aufgabe des Zeugenbeistandes weit über das übliche Maß hinausgegangen. Bei den Zeugen habe es sich um Jugendliche gehandelt, die im Verdacht standen, an der Straftat beteiligt gewesen zu sein oder an anderen Straftaten, die mit der in diesem Verfahren verhandelten Verbindungen aufwiesen. Die Wahrnehmung der Aufgabe der Rechtsanwälte habe damit nicht nur rein rechtliche, sondern auch jugenderzieherische Aspekte umfasst. Den Zeugen seien Beistände bestellt worden, weil das Gericht sich von ihren Aussagen nach Aktenlage wichtige Erkenntnisse erhoffte, die auf andere Weise nicht in die Hauptverhandlung hätten eingeführt werden können. Den Zeugen habe vermittelt werden sollen, dass sie sich durch eine Aussage, die sie selbst in die Gefahr der Strafverfolgung bringe, auch Vorteile für das eigene Verfahren verschaffen können, weil sie durch Aufklärungsbereitschaft Einsicht und Reue zeigen. Insofern sei die Tätigkeit der Rechtsanwälte als Zeugenbeistand einer Verteidigertätigkeit im Jugendstrafverfahren gleichgekommen, weil sie mit den Jugendlichen die Auswirkung ihres Aussageverhaltens auf das mögliche eigene Strafverfahren gründlich zu erörtern hatten. Hinzu komme, dass zwei der Rechtsanwälte in der Sache zwei Termine wahrnehmen mussten, weil die Hauptverhandlung wegen eines gestellten Befangenheitsantrags unterbrochen werden musste.

Es sei auch nicht richtig, dass die Tätigkeit der einen Rechtsanwältin für zwei Mandanten in dem Verfahren nur mit einer Erhöhungsgebühr abzugelten sei, weil sie das Mandat für den einen Zeugen erst übernehmen konnte, nachdem die Vernehmung des anderen Zeugen vollständig abgeschlossen war.

III. Bedeutung für die Praxis

Kleiner Lichtblick

1. In der Sache ist dem AG zuzustimmen. Die Entscheidung ist ein kleiner Lichtblick in der doch recht trüben Rechtsprechung der (Ober-)Gerichte zur Abrechnung der Tätigkeiten des Zeugenbeistands im Strafverfahren (vgl. dazu zuletzt OLG Dresden in dieser Ausgabe S. 18). Ich hatte bereits in der Anmerkung zu OLG Dresden, a.a.O., darauf hingewiesen, dass die Frage der Honorierung der Tätigkeiten des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand im Strafverfahren Rechtsprechung und Literatur seit Inkrafttreten des RVG im Jahr 2004 beschäftigt (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 4.1 VV RVG Rn 5 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Man muss das nicht alles wiederholen, denn es hilft nichts, da die OLG an ihren zum Teil falschen Auffassungen, dass nämlich nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG honoriert wird, seit Jahren festhalten. Sie können das jetzt auch, auch darauf ist bereits hingewiesen worden, nach der Änderung der Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG durch das KostRÄG 2021 v. 21.12.2020 (BGBl I, S. 3229; vgl. dazu u.a. Burhoff, AGS 2021, 49 ff.) mit einem weiteren Argument. Das macht die Auffassung aber nicht richtig. Die Änderung beweist nur, dass der Bundesgesetzgeber – wie schon häufig – nicht bereit war, an der Stelle mit den Bundesländen in Zusammenhang mit dem KostRÄG 2021 v. 21.12.2020 (BGBl I, S. 3229) den Streit zu suchen und endlich für eine Klarstellung im RVG betreffend die Entlohnung des Zeugenbeistandes zu sorgen. Das war schon für das 2. KostRMoG geplant, ist aber auch da am Widerstand der Bundesländer gescheitert. Und DAV und BRAK tun nicht so richtig etwas, um hier eine gebührenrechtliche Besserstellung zu erreichen. Warum auch? Wenn schon das BVerfG nichts dagegen einzuwenden hat (Stichwort: Sonderopfer) und dann dem Zeugenbeistand, der an einer Vernehmung des Zeugen, die an drei Hauptverhandlungsterminen über etwa 9,5 Stunden stattfand, teilgenommen hat, noch nicht einmal eine Pauschgebühr gezahlt wird, sondern er mit 200 EUR abgespeist wird (BVerfG NJW 2019, 3370 = RVGreport 2020, 13 = JurBüro 2019, 573).

Zumindest Einzelfallbetrachtung

In dem „Rechtsprechungsdunkel“ ist nun diese Entscheidung ein kleiner Lichtblick. Zwar bekennt sie sich auch nicht grundsätzlich zur richtigen Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG, aber immerhin wendet sie nach einer Einzelfallbetrachtung Teil 4 Abschnitt 11 VV RVG an; ob in allen Punkten richtig – also Grundgebühr, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, a.a.O.). – lässt sich, da der Beschluss insoweit keine Einzelheiten mitteilt, nicht beurteilen. Das AG macht es damit ähnlich wie das OLG Stuttgart (RVGreport 2010, 340 = StRR 2010, 357). Das hat nämlich vor einiger Zeit auch entschieden, dass zumindest dann, wenn nach Art der übertragenen und tatsächlich ausgeübten Tätigkeit von einer faktisch umfassenden Vertretung des Zeugen auszugehen ist, eine bloße Einzeltätigkeit zu verneinen ist. Allerdings muss man dem AG entgegenhalten, dass seine Argumentation genau die Argumente anführt, die dafür sprechen, die Tätigkeit des Zeugenbeistands nicht nur im Einzelfall, sondern immer nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu entlohnen. Denn ein Zeugenbeistand, der sein Mandat ernst nimmt, muss sich in die Sache einarbeiten, um dem Zeugen die richtigen prozessualen Ratschläge geben zu können. Dazu muss er entweder Akteneinsicht nehmen oder sich sonst die Informationen beschaffen, die er benötigt, um z.B. dem Zeugen zur Auskunftsverweigerung nach § 55 StPO raten zu können. Er ist, wovon aber offenbar die Vertreter der Staatskasse und leider auch viele Gerichte ausgehen, nicht nur „Vernehmungsbegleiter“, sondern wird für den Zeugen ähnlich wie ein Verteidiger für seinen Mandanten tätig. Und daher ist eben nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abzurechnen. Das kann doch nicht so schwer sein. Aber wenn man aus der Landeskasse eben nicht zahlen will, verschließt man sich diesen Argumenten. Abschließend: Im Hinblick auf die Entscheidung des AG, die die Tür zu Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG einen Spalt öffnet, kann man Kollegen, die ihre Tätigkeit als Zeugenbeistand im Strafverfahren abrechnen, nur empfehlen, dezidiert vorzutragen, welche Tätigkeiten für den Mandanten erbracht worden sind, um so zumindest über eine Einzelfallbetrachtung die Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu erreichen.

Erhöhungsgebühr

2. Folgender Hinweis noch: Eine der als Zeugenbeistand bestellten Rechtsanwältinnen hat zwei Zeugen vertreten, und zwar nacheinander. Es ist richtig, wenn das AG dafür nicht eine Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG festsetzt, sondern offenbar für beide Zeugenbeistandschaften eigenständige Gebühren. Denn es handelt sich um unterschiedliche Angelegenheiten und nicht, was die Anwendung der Nr. 1008 VV RVG voraussetzt um „dieselbe Angelegenheit“. Es ist nämlich die Zeugenbeistandschaft A und die Zeugenbeistandschaft B, die ihr Gepräge durch die unterschiedlichen Personen/Zeugen erhalten und nicht dadurch, dass die Mandanten Zeugen in demselben Verfahren sind.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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