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Verwertbarkeit von EncroChat-Daten

EncroChat-Daten sind zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertbar.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 2.2.20225 StR 457/21

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen zehn Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. In einigen Fällen waren zentrale Beweismittel SMS-Nachrichten des Angeklagten, die dieser über den Anbieter EncroChat zur Organisation des Drogenhandels versandt hatte. Der Angeklagte hat mit seiner Revision u.a. gerügt, dass diese von französischen Behörden 2020 erlangten und der deutschen Justiz übermittelten Daten nicht als Beweismittel hätten verwertet werden dürfen. Die Revision hatte beim BGH keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Verfassungsmäßige Rechtsgrundlage

Der 5. Strafsenat hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess sei § 261 StPO. Dies gelte auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthalte das deutsche Recht nicht. Da eine Verwertung von wie hier erlangten Daten einen Eingriff in das von Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis enthalten könne, müsse von Verfassungs wegen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders beachtet werden. In Anlehnung an Verwendungsbeschränkungen wie § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO dürften derart erlangte Daten aber zur Überführung solcher besonders schwerer Straftaten verwendet werden, für deren Aufklärung die eingriffsintensivsten Ermittlungsmaßnahmen des deutschen Strafverfahrensrechts – namentlich eine Online-Durchsuchung oder eine akustische Wohnraumüberwachung – angeordnet werden dürften. Hierzu gehören nach Auffassung des BGH regelmäßig die in Rede stehenden Verbrechen nach dem BtMG.

Beweisverwertungsverbot

Das vom Angeklagten geltend gemachte Beweisverwertungsverbot bestand nach Auffassung des BGH unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Die Frage, ob ein solches Verbot bestehe, richte sich ausschließlich nach deutschem Recht. Eine Überprüfung der französischen Ermittlungsmaßnahmen am Maßstab ausländischen Rechts finde dabei nicht statt. Es komme damit auch nicht entscheidend darauf an, ob eine wie hier in Frankreich allein nach französischem Recht durchgeführte Maßnahme auch in Deutschland hätte angeordnet werden können. Dies sei nicht Voraussetzung für einen Transfer der nach französischem Recht von französischen Behörden erlangten Beweise in ein deutsches Strafverfahren. Die unterschiedlichen Anordnungsvoraussetzungen in Frankreich und Deutschland könnten auf der Ebene der Beweisverwertung kompensiert werden. Deshalb würden hierfür die vorgenannten besonders hohen Voraussetzungen gelten.

U.a. kein Verstoß der Beweiserhebung gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte

Ein Verstoß der Beweiserhebung gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechtsstaatsanforderungen im Sinne eines im Rechtshilfeverkehr zu prüfenden „ordre public“ wird vom BGH verneint. Nach den den französischen Behörden nach dem ersten Datenzugriff vorliegenden Informationen sei es bei den Ermittlungen nicht um eine anlasslose Massenüberwachung einer Vielzahl auch unverdächtiger Handy-Nutzer gegangen. Vielmehr habe sich EncroChat für die französischen Behörden als ein von vorneherein auf die Unterstützung krimineller Aktivitäten ausgerichtetes und im Verborgenen agierendes Netzwerk dargestellt. Aufgrund der ersten Erkenntnisse einer nahezu ausschließlich kriminellen Nutzung solcher Telefone sei ein Nutzer hiernach schon allein aufgrund des mit erheblichen Kosten einhergehenden Erwerbs eines auf normalem Vertriebsweg nicht erhältlichen EncroChat-Handys krimineller Aktivitäten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität wie Drogen- und Waffenhandel oder Geldwäsche verdächtig.

Verstoß gegen Unterrichtungspflicht

Ein möglicher Verstoß französischer Behörden gegen die Pflicht, Deutschland zeitnah über das Bundesgebiet betreffende Abhörmaßnahmen zu unterrichten, könne – so der BGH – schon angesichts der späteren allseitigen Genehmigung der Datenverwendung kein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben. Ungeachtet dessen sei fraglich, ob die Unterrichtungspflicht dem Individualschutz der Betroffenen vor einer Beweisverwendung im Inland diene. Jedenfalls würde aber die gebotene Abwägung der unterschiedlichen Interessen zu einem Überwiegen des staatlichen Strafverfolgungsinteresses führen. Rechtlich unbedenklich sei auch, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main einen umfassenden Beweistransfer in einem gegen Unbekannt geführten Verfahren auf einer allgemeinen, letztlich aber jeden Nutzer konkret betreffenden Verdachtslage beantragt habe.

Verstoß gegen Rechtshilfevorschriften

Einen etwaigen Verstoß gegen rechtshilferechtliche Vorschriften beim Datenaustausch oder der sonstigen Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Polizeibehörden vor Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung hatte die Revision nicht geltend gemacht. Es komme – so der BGH weiter – deshalb nicht darauf an, dass ein durchgreifender Rechtsfehler aufgrund der nachträglichen Einholung einer Einwilligung ohnehin nicht auf der Hand liege, zumal die grenzüberschreitende Übermittlung von Erkenntnissen zur Strafverfolgung nach den europäischen Rechtshilfevorschriften auch ohne Rechtshilfeersuchen ohne weiteres zulässig sei. An die Verwertung der aus einem solchen Informationsaustausch stammenden Daten seien jedenfalls keine höheren Anforderungen als an die Verwertung von durch eine Europäische Ermittlungsanordnung erlangten Daten zu stellen. Eine gezielte oder systematische Umgehung dem individuellen Rechtsschutz von Beschuldigten dienender Vorschriften durch französische oder deutsche Behörden sei weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst konkret ersichtlich.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Mit dem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Beschluss des 5. Strafsenats liegt nach einigen OLG-Entscheidungen und einem Obiter-dictum-Beschluss des 6. Strafsenats des BGH (vgl. BGH, Beschl. v. 8.2.2022 – 6 StR 639/21) nun die erste höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Verwertbarkeit von EncroChat-Daten vor. M.E. überrascht die Entscheidung des BGH nicht. Sie entspricht der Rechtsprechung der Obergerichte zur Verwertbarkeit von Beweismitteln und zu Beweisverwertungsverboten (vgl. dazu Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 1293 ff., zu EncroChat eingehend u.a. Stehr/Rakow StRR 4/2021, 6 ff. und aus neuerer Zeit Strate, HRRS 2022, 15 m.w.N.; wegen weiterer Nachweise u.a.Burhoff, in: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahen, 9. Aufl. 2022, Rn 1346). M.E. war damit zu rechnen, dass der BGH auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung die Verwertung absegnen würde.

2. Damit ist natürlich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es gilt (noch) nicht „Karlsruhe locuta, causa finita“. Denn es drohen ja immer noch das BVerfG und dann ggf. auch noch der EGMR. M.E. sollte man aber auch nicht zu viel Hoffnung auf das BVerfG setzen. Das wird im Zweifel auf seine „Abwägungslehre“ zurückgreifen und ein durchgreifendes Beweisverwertungsverbot ebenfalls verneinen. Dann bleibt nur noch der EGMR. Man wird sehen, ob er der Verwertung einen Riegel vorschiebt. Zu viel Hoffnung sollte man sich aber auch insoweit nicht machen.

3. Bis die Fragen vom BVerfG und/oder vom EGMR abschließend entschieden sind, muss der Verteidiger also weiterhin in den EncroChat-Fällen die insoweit zu beachtenden verfahrensrechtlichen Vorgaben im Auge behalten. Das ist vor allem der Widerspruch gegen die Verwertung der Erkenntnisse (spätestens) in der Hauptverhandlung (zur Widerspruchslösung Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 4012 ff.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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