Beitrag

StRR-Kompakt 04.

Elektronisches Dokument: Einhaltung der Vorgaben

Ein bei Gericht eingereichter Antrag kann nicht deshalb mangels Einhaltung der Vorgaben des § 130a Abs. 2 ZPO – wonach ein elektronisches Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein muss – zurückgewiesen werden, weil trotz Verwendung eines zulässigen Formats (PDF) beim Kopieren von Textteilen in ein anderes elektronisches Dokument durch das Gericht eine unleserliche und sinnentstellende Buchstabenreihung entsteht.

OLG Nürnberg, Beschl. v. 31.1.2022 – 3 W 149/22

Pflichtverteidiger: Unfähigkeit der Selbstverteidigung

Es können erhebliche Zweifel an der Fähigkeit eines Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, bestehen, wenn aufgrund desolater psychischer und persönlicher Verhältnisse ersichtlich ist, dass er mit behördlichem Schriftverkehr (hier: Strafbefehl) und einer adäquaten Reaktion hierauf schlicht überfordert ist.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.2.2022 – 12 Qs 5/22

Pflichtverteidiger: schwierige Rechtslage

Eine schwierige Rechtslage i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO liegt zumindest dann vor, wenn eine Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur streitig ist oder wenn sie Abgrenzungs- oder Subsumtionsprobleme bereitet, so bei ungeklärten Fragen des materiellen oder formellen Rechts; insbesondere wenn sie diskutiert werden oder abweichende Rechtsprechung existiert (hier: Urkundenfälschung und Impfausweisfälschung und Sperrwirkung bei den §§ 267, 271 StGB a.F.)

LG Braunschweig, Beschl. v. 14.2.2022 – 8 Qs 36/22

DNA-Mischspur: Urteilgründe

Während bei DNA-Einzelspuren jedenfalls das Gutachtenergebnis in Form einer numerischen biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage mitgeteilt werden muss, ist bei Mischspuren grundsätzlich darzulegen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist.

BGH, Beschl. v. 20.1.2022 – 5 StR 410/21

Protokollberichtigung: sichere Erinnerung

Für die Wirksamkeit einer Protokollberichtigung ist erforderlich, dass der dienstlichen Äußerung des Urkundsbeamten zu entnehmen ist, dass er an das Geschehen eine sichere Erinnerung hat. Dabei kommt es nicht auf die Verwendung des Wortes „sicher“ an. Maßgeblich ist vielmehr, ob die dienstliche Äußerung insgesamt erkennen lässt, dass die Urkundsperson keinen Zweifel an der Richtigkeit des Verfahrensvorgangs hat oder ob sie ihn im Gegensatz hierzu lediglich für möglich hält.

BGH, Beschl. v. 28.1.2022 – 6 StR 626/21

Adhäsionsverfahren: erneute Antragstellung

Wird ein Adhäsionsantrag unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt, so ist nach erfolgter Bewilligung noch eine – nunmehr unbedingte – Antragstellung gemäß § 404 Abs. 1 StPO erforderlich. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren führt weder zur Rechtshängigkeit der Anträge noch macht es die Fristenregelung des § 404 Abs. 1 S. 1 StPO gegenstandslos.

BGH, Beschl. v. 18.1.2022 – 4 StR 432/21

Nichtgewährung des Konfrontationsrechts: Beweiswürdigung

Ob die fehlende Gelegenheit für den Angeklagten beziehungsweise seinen Verteidiger, einen Zeugen selbst zu befragen, eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK begründet, hängt von einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung ab. Bei Nichtgewährleistung des Rechts auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK ist zum einen eine besonders sorgfältige und kritische Überprüfung der Aussage des betreffenden Belastungszeugen geboten. Zum anderen darf eine Feststellung zu Lasten des Angeklagten regelmäßig nur dann auf eine frühere Aussage des Zeugen gestützt werden, wenn sie durch andere wichtige und in unmittelbarem Tatbezug stehende Gesichtspunkte außerhalb der Aussage selbst bestätigt worden ist.

BGH, Urt. v. 13.1.2022 – 3 StR 341/21

Verfahrensrüge: Ablehnung eines Beweisantrags

Eine Verfahrensrüge, mit der die Ablehnung eines Beweisantrags beanstandet wird, entspricht nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO, wenn in dem Beweisantrag auf Aktenstellen Bezug genommen wird, die Revision diese jedoch weder vorlegt noch inhaltlich mitteilt.

BayObLG, Beschl. v. 3.2.2022 – 202 StRR 11/22

Berufungsverwerfung: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung macht eine Verhandlungsunfähigkeit auch dann nicht glaubhaft, wenn auf ihr der ICD10-Code Z 29.0 (Notwendigkeit der Isolierung als prophylaktische Maßnahme) eingetragen wurde. Es ist Sache des Gerichts, darüber zu entscheiden, wie es einem von dem Angeklagten ausgehenden Ansteckungsrisiko, dem durch die ärztlich für erforderlich gehaltene Isolierung vorgebeugt werden soll, begegnet.

OLG Hamm, Beschl. v. 22.2.2022 – 5 Ws 28/22

Notwehrlage: Dauer und Erforderlichkeit gebotener Verteidigung

Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, ist der Angriff so lange gegenwärtig i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB, wie eine Wiederholung und damit ein erneutes Umschlagen in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten sind. Ein Verteidigungsverhalten in Form eines Faustschlags ins Gesicht ist erforderlich, wenn es zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich dabei um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Bei Beurteilung dieser Frage hat der Tatrichter insbesondere das bisherige Verhalten des Angreifers zu berücksichtigen, der sich durch geringer dosierte Abwehrmittel (hier: Wegstoßen) nicht von einer Körperverletzungshandlung zum Nachteil des Angegriffenen abhalten ließ. Bei der Frage, ob eine das Notwehrrecht einschränkende Provokation des Angegriffenen vorausgegangen war, ist es rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter ein Verhalten desjenigen, der sich auf Notwehr beruft, einseitig aus einem Gesamtgeschehen herausgreift und dabei außer Acht lässt, dass dieses Verhalten rechtmäßig war und durch den Angreifer provoziert worden war.

BayObLG, Beschl. v. 3.2.2022 – 202 StRR 9/22

Mord: Heimtücke

Das Mordmerkmal der Arglosigkeit des Tatopfers lässt sich nicht damit begründen, dass das Opfer nicht mit einem bewaffneten oder sonst lebensbedrohenden Angriff des Angeklagten rechnete. Allein maßgeblich ist vielmehr, ob das Tatopfer zu dem Zeitpunkt, als der Angeklagte sich in feindlicher (Tötungs-)Absicht gegen das Opfer wandte, jeweils irgendwie geartete erhebliche tätliche Angriffe gegen seine Person erwartete.

BGH, Beschl. v. 15.2.2022 – 4 StR 491/21

Cannabinoide: nicht geringe Menge

Die nicht geringe Menge der synthetischen Cannabinoide 5F-ADB und AMB-FUBINACA beginnt bei einem Gramm Wirkstoffmenge.

BGH, Beschl. v. 27.1.2022 – 3 StR 155/21

Gefälschter Impfausweis: Sperrwirkung

Der Straftatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB wird in den Fällen der sog. Impfausweisfälschung nicht durch § 279 StGB a.F. verdrängt.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 33/22

Urkundenfälschung: Vorlage eines gefälschten Impfausweises

Durch die Vorlage eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke ist eine Strafbarkeit gem. §§ 277, 279 StGB a.F. nicht gegeben.

LG München I, Beschl. v. 29.3.2022 – 12 Qs 7/22

Entziehung der Fahrerlaubnis: Betäubungsmittelkonsum

Im Falle von Betäubungsmittelkonsum ist die Frage der Fahruntüchtigkeit ggf. anhand einer umfassenden Würdigung der Beweisanzeichen vorzunehmen. Dabei ist die konsumierte Substanz sowie deren Eignung zur Verursachung fahrsicherheitsmindernder Wirkungen festzustellen, bei unklaren oder Misch-Intoxikationen können auch Rückschlüsse aus dem Erscheinungsbild ausreichen, wenn nur die sichere Feststellung möglich ist, dass zur Zeit der Tat eine aktuelle Rauschmittelwirkung vorlag.

LG Köln, Beschl. v. 25.2.2022 – 117 Qs 35/22

Fälschung beweiserheblicher Daten: Fälschung mit Photoshop

Der Tatbestand des § 269 StGB ist nicht bei Fälschung einer Papierurkunde mit Photoshop erfüllt.

AG Karlsruhe, Beschl. v. 18.1.2022 – 17 Ds 640 Js 41134/18

Teilvollstreckung: Zulässigkeit

Die Teilvollstreckung von rechtskräftigen Einzelfreiheitsstrafen, selbst wenn sie in eine nicht rechtskräftige Gesamtstrafe eingegangen sind, ist nach § 449 StPO in formeller Hinsicht grundsätzlich möglich. Eine Teilvollstreckung scheidet nach §§ 449, 458 Abs. 1 StPO jedoch aus, wenn nach Wegfall einer mit der Berufung angefochtenen Gesamtfreiheitsstrafe die Möglichkeit besteht, dass dem Angeklagten eine Strafaussetzung zur Bewährung gewährt werden könnte.

OLG Celle, Beschl. v. 21.1.2022 – 2 Ws 5/22

Vergütungsvereinbarung: Hinweispflicht; Sittenwidrigkeit

Der Rechtsanwalt schuldet seinem Mandanten grundsätzlich keinen Hinweis auf die Höhe der bisher entstandenen oder noch entstehenden Gebühren. Er muss nur auf Verlangen des Auftraggebers die voraussichtliche Höhe seines Entgelts mitteilen. Aus besonderen Umständen des Einzelfalls kann sich aber nach Treu und Glauben eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, den Mandanten auch ungefragt über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung zu belehren. Maßgeblich dafür ist, ob der Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalls ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis erkennen konnte und musste. Nach ständiger Rechtsprechung sind für die Frage, ob bei einer vereinbarten Vergütung ein für Sittenwidrigkeit sprechendes Missverhältnis vorliegt, auch der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand sowie Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt, angemessen sein.

OLG München, Urt. v. 2.2.2022 – 15 U 2738/21 Rae

Aktenversendungspauschale: Teilweise geschwärzte Akten

Die Erhebung einer Aktenversendungspauschale ist nicht berechtigt, wenn die Akten dem Betroffenen nur teilweise geschwärzt (hier: Schwärzung der Namen anderer Betroffener der derselben OWi) zur Verfügung gestellt werden.

AG Leipzig, Beschl. v. 24.9.2021 – 220 OWi 2822/20

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…