Beitrag

Beleidigung eines Staatsanwaltes

Zur Frage, ob die Äußerung „ein selten dämlicher Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann“ ggf. durch die Meinungsfreiheit/Machtkritik gedeckt ist.

(Leitsatz des Verfassers)

BVerfG, Beschl. v. 9.2.20221 BvR 2588/20

I. Sachverhalt

Strafverfahren gegen Sachbearbeiter des Jobcenters wird eingestellt

Das LG hat den ehemaligen Angeklagten wegen Beleidigung eines Staatsanwaltes verurteilt. Die dagegen eingelegte Revision hat das BayObLG verworfen. Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der Angeklagte war wegen eines sog. ALG-II-Betruges zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Obschon das amtsgerichtliche Urteil rechtskräftig wurde, erstattete der Angeklagte Strafanzeige gegen den Sachbearbeiter des Jobcenters wegen letztlich für eine Verurteilung im Betrugsverfahren irrelevanter falscher Daten, die übermittelt wurden. Nach Erhalt der Einstellungsnachricht der Staatsanwaltschaft richtete der Angeklagte eine E-Mail vom 22.4.2018 an den „Oberstaatsanwalt Landshut“ und führte u.a. aus:

Angeklagter wendet sich an Staatsanwaltschaft

„[I]ch lege Widerspruch ein gegen die Einstellung des Verfahrens oben genannten Aktenzeichens. Es ist nicht richtig, … das hier keine ersichtliche Straftat vorliegt. … Durch die falsche Zeugenaussage der Agentur für Arbeit … hat dann ihr Mitarbeiter, dessen Name man mir nicht sagen will, daraus eine absurde Anklageschrift verfasst, die ein achtjähriges Kind das die zweite Klasse einer Grundschule erfolgreich abgeschlossen hat, erkennen konnte. Nur ein studierter Jurist hat dies offensichtlich nicht erkannt. Zudem wurde von der Staatsanwaltschaft gar nicht ermittelt, sondern sich blind auf die Falschaussage der Agentur für Arbeit verlassen und daraus eine Anklageschrift verfasst. In der Anklageschrift sind gravierende Mängel, keine Beweise wurden gesichert. So wusste die Agentur für Arbeit durch ein Schreiben von mir, das ich ab 15.12.2016 einer Beschäftigung nachgehe. … Schwere Ermittlungsfehler und ein selten ‚dämlicher‘ Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann. Auf Grund des Strafbefehls hätte ich gar nicht erst verurteilt werden dürfen …“

Verfahrensgang

Wegen dieser Mail wurde gegen den Angeklagten Strafbefehl erlassen wegen Beleidigung des ihm unbekannten Staatsanwalts – eine Staatsanwältin – gem. § 185 StGB. Nach Verurteilung durch das AG und das LG, erfolgreicher Revision und Zurückverweisung kam es zur erneuten Verurteilung durch das LG Landshut. Laut dem LG sei der persönliche Angriff auf den ermittelnden Staatsanwalt unzulässig. Die Äußerung „selten dämlicher Staatsanwalt, der nicht lesen und schreiben kann“, beziehe sich nicht mehr auf die Tätigkeit des ermittelnden Staatsanwalts, sondern auf dessen Person (Stichwort: bloße Schmähkritik ohne Sachbezug). Die Äußerung des Angeklagten sei auch nicht unter dem Aspekt des „Kampfes um das Recht“ gedeckt, weil der Angeklagte seine Verurteilung in dem vorangehenden Verfahren habe rechtskräftig werden lassen. Der Vorgang sei abgeschlossen, so dass insoweit die Kritik nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt und keine legitime Äußerung im Rahmen des Kampfes um das Recht sei. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die Äußerung nicht spontan gefallen sei, sondern im Rahmen einer schriftlichen Äußerung an den Dienstvorgesetzten. Die (erneute) Revision des Angeklagten verwarf das BayObLG als unbegründet. Das LG sei rechtsfehlerfrei vom Vorliegen einer ehrverletzenden Äußerung ausgegangen. Eine Staatsanwältin als „dämlich“ und des Lesens und Schreibens nicht mächtig zu bezeichnen, stelle diese als intellektuell minderbemittelt dar. Diese Äußerungen bezögen sich, wenn auch vor dem Hintergrund der kritisierten Sachentscheidungen, auf die sachbearbeitende Staatsanwältin als Person.

Verfassungsbeschwerde hat Erfolg

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG hat das Urteil des LG und den Beschluss des BayObLG wegen Verletzung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

II. Entscheidung

Gesichtspunkt der Machtkritik unzureichend berücksichtigt

Das BVerfG führt im Wesentlichen aus: Verfassungsrechtlich unzureichend berücksichtigt habe das LG den Gesichtspunkt der Machtkritik. Selbst wenn der Aspekt des „Kampfs ums Recht“ nicht vorläge, weil das Betrugsstrafverfahren gegen den ehemaligen Angeklagten rechtskräftig beschlossen war, so bliebe eine kritische Äußerung unter dem Gesichtspunkt der Machtkritik zulässig. Denn die Meinungsfreiheit enthalte das Recht der Bürger, die von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen zu können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden. Angesichts des Kontextes der Äußerung sei es fernliegend, dass der Angeklagte den zuständigen, ihm weder namentlich noch persönlich bekannten Staatsanwalt in seiner Person und nicht ausschließlich dessen Amtsführung, konkret in Form der Führung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens, angreifen wollte. Sowohl das LG als auch das BayObLG unterliefen den von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährten Meinungsschutz in verfassungsrechtlich erheblicher Weise, wenn sie die Äußerung des Angeklagten in seinem Schreiben an den Dienstvorgesetzten vom Kontext ihrer offensichtlichen Machtkritik entkleidet als persönlichen Angriff auf den zuständigen Staatsanwalt ansehen. Dem Angeklagten sei es unter Berücksichtigung des Kampfes ums Recht und der Machtkritik gestattet gewesen, den konkreten Amtsträger, dessen Strafverfolgungsgewalt er unterworfen ist oder war, in anklagender und personalisierter Weise für sein dienstliches Verhalten zu kritisieren, ohne dass der Äußerung grundsätzlich eine unmittelbar in die Privatsphäre reichende Bedeutung zugewiesen werden dürfte.

Konkrete Verbreitung und Wirkung der Äußerung überschaubar

Abwägungsrelevant sei weiter, dass die konkrete Verbreitung und Wirkung der Äußerung überschaubar war. Sie fiel einmalig und dies in einem Schreiben an den Dienstvorgesetzten. Der Kreis der Personen, die von der Äußerung in dienstlichem, also nichtöffentlichem Zusammenhang Kenntnis genommen haben, ist als überschaubar anzusehen. Für eine Verurteilung hätten die Entscheidungen daher im Einzelnen darlegen müssen, weshalb und inwiefern die Äußerung die betroffene Person über ihre Amtsführung hinaus in ihrer persönlichen Sphäre derart schwerwiegend herabwürdigte, dass die Abwägung zugunsten des Persönlichkeitsrechts ausfallen konnte.

III. Bedeutung für die Praxis

Bemerkenswerte Entscheidung, weil Blaupause

Die Entscheidung, deren Gründe hier stark gekürzt sind, ist bemerkenswert. Sie verdient es allein deswegen, vollständig gelesen zu werden, weil sie dem Strafverteidiger mustergültig den Sachverhalt unter das Verfassungsrecht subsumiert. Sie ist eine Blaupause, die in jedem Strafverfahren für die materiell-rechtliche Würdigung einer Äußerung herangezogen werden kann. Absehbar ist jedoch: Die exakte Wiedergabe der Tatbestandsmerkmale und Definitionen und anschließende Subsumtion unter den eigenen Sachverhalt wird regelmäßig beim zuständigen AG/LG/OLG nicht fruchten. Warum nicht? Der Verteidiger wird es ohne verfassungsrechtliche Überprüfung niemals erfahren, zumal sich selten ein OLG die Mühe der Entscheidungsbegründung machen wird. Die Rechtsprechung – übrigens nach Auffassung des Autors innerhalb der Karlsruher Hallen selbst – ist ein unüberschaubarer Flickenteppich. Der Verfasser ist der Ansicht, dass die Anforderungen, die das BVerfG stellt, regelmäßig durch die OLG missachtet werden. Dabei wird sicher auch eingeplant, dass die Verfassungsbeschwerde in den allermeisten Fällen ausbleiben wird. Rechtssicherheit geht anders. Wer die Verfassungsbeschwerde im Auge hat, sollte zudem dringend ihre Zulässigkeitsvoraussetzungen im Blick haben.

FA StR/VerkR Heiko Urbanzyk, Coesfeld

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