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Ermittlungsmaßnahmen nach Vorlage eines Impfausweises (Altfälle)

Ermittlungsmaßnahmen nach Vorlage gefälschter Impfnachweise in Apotheken vor der Gesetzesänderung vom 24.11.2021 sind jedenfalls derzeit als zulässig anzusehen.

(Leitsatz des Gerichts)

LG Heilbronn, Beschl. v. 11.1.2022 – 1 Qs 95/21

I. Sachverhalt

Die StA führt ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte aufgrund des Verdachts der Urkundenfälschung. Sie soll am 16.11.2021 einen gefälschten Impfausweis hinsichtlich zweier tatsächlich nicht erfolgter Covid-19-Impfungen in einer Apotheke vorgezeigt haben. Den von der StA beantragten Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses hat das AG zurückgewiesen. Die von der StA eingelegte Beschwerde war erfolgreich.

II. Entscheidung

Die Kammer teile nicht die Ansicht des AG, das Verhalten sei zur Tatzeit nicht strafbar gewesen. Teilweise sei für die Rechtslage bis 23.11.2021 die Ansicht vertreten worden, dass eine Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB gegenüber der Urkundenfälschung nach § 267 StGB auch dann eingetreten sei, wenn es um Gesundheitszeugnisse ging, aber die übrigen Voraussetzungen der §§ 277 ff. StGB, also die Vorlage gegenüber einer Behörde oder Versicherung, nicht gegeben waren (LG Karlsruhe StRR 1/2022, 24b [Deutscher] hinsichtlich Corona-Tests; LG Paderborn StRR 1/2022, 26 [Deutscher]). Eine Strafbarkeit der Vorlage gefälschter Impfausweise vor anderen als den in §§ 277, 279 StGB a.F. bezeichneten Adressaten habe also nicht vorgelegen. Das sei allerdings keineswegs zwingend.

Für die Frage der Anordnung oder Nicht-Anordnung einer Durchsuchung und Beschlagnahme habe das folgende Konsequenz: Für den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses sei in prozessualer Hinsicht das Vorliegen eines Anfangsverdachts im Hinblick auf eine strafbare Handlung erforderlich. Hinsichtlich der Frage, ob deshalb aufgrund einer unklaren Rechtsauslegung, die letztlich nach obergerichtlicher Klärung dazu führen kann, dass das Verhalten als strafbar angesehen wird oder auch nicht, eine Ermittlungsmaßnahme, wie die Durchsuchung und Beschlagnahme, zulässig oder gar geboten ist, seien die Grundsätze zur Anklageerhebung heranzuziehen. § 152 StPO bestimme, dass die StA verpflichtet ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten. Hierfür müsse sich die StA an der obergerichtlichen Rechtsprechung orientieren. Daraus wiederum folge, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in dem es mehrere gangbare Wege, aber gerade noch keine obergerichtliche Rechtsprechung, erst recht keine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung gibt, eine Anklageerhebung im Interesse einer effektiven und einheitlichen Strafverfolgungspraxis sogar verpflichtend sein kann. So liege der Fall hier. Gerade weil die Fälschung von Impfpässen und deren Vorlage in Apotheken zur Erlangung digitaler Impfzertifikate im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen ungeimpfter Personen in jüngster Vergangenheit und gerade auch vor der Änderung des Gesetzes stark an Bedeutung gewonnen haben und hierzu verschiedene Rechtsmeinungen vertreten werden, sei nach hiesiger Sichtweise eine obergerichtliche Klärung dieser Fälle anzustreben. Dies könne indes nicht gelingen, wenn bereits im Rahmen der Prüfung des Anfangsverdachts zu hohe Anforderungen gestellt werden. Wenn bereits in einem frühen Stadium der Ermittlungen, die notwendigerweise einer Anklageerhebung vorausgehen müssen, die Ermittlungshandlungen der Staatsanwaltschaft beschnitten werden, könne es denklogisch nicht zu einer obergerichtlichen Klärung kommen. Der Kammer sei bei dieser Sichtweise bewusst, dass mit einer Durchsuchung und Beschlagnahme gewichtige Grundrechtseingriffe zulasten der Beschuldigten einhergehen, die, sollte sich durch die weitere Entwicklung ergeben, dass das Verhalten der Beschuldigten nicht strafbar war, auch zu Schadensersatzansprüchen führen können. Aus Sicht der Kammer seien diese Umstände in der Abwägung aber nicht so gewichtig wie eine effektive und insbesondere einheitliche Strafverfolgungspraxis, sodass diese in Kauf zu nehmen sind. Der Umstand, dass die Frage nach der Strafbarkeit des von der Beschuldigten gezeigten Verhaltens noch nicht obergerichtlich geklärt ist, stehe demnach der Bejahung des für die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung notwendigen Anfangsverdachts nicht entgegen. Sollte bis zur Vollstreckung des Beschlusses obergerichtlich eine Entscheidung dahingehend getroffen worden sein, dass die Vorlage gefälschter Impfzertifikate in Apotheken nach der bis 23.11.2021 geltenden Rechtslage kein strafbares Verhalten darstellt, darf dieser Beschluss nicht mehr vollzogen werden.

III. Bedeutung für die Praxis

Dieser Beschluss ist nicht zur Nachahmung empfohlen. Zutreffend ist zwar, dass das Verfolgungs- und Anklageverhalten der StA bei ungeklärten Rechtsfragen den Spielraum haben muss, diese einer höchst- und obergerichtlichen Klärung zuzuführen. Hier lagen im Entscheidungszeitpunkt aber nicht nur mehrere landgerichtliche Entscheidungen vor, die ohne Ausnahme von einer Straflosigkeit ausgehen. Auch die Reform zum 24.11.2021, durch welche die Strafbarkeit in diesem Bereich ausgeweitet worden ist, belegt mehr als deutlich, dass allgemein von einer Strafbarkeitslücke ausgegangen wurde. Angesichts der hier auch vom LG aufgezeigten Folgen von Ermittlungsmaßnahmen nach straflosem Verhalten konnte hier das Verdikt nur lauten: Die Rechtsfrage ist im Sinn einer Straflosigkeit von Altfällen geklärt. Anderenfalls hätte es der Reform nicht bedurft. Im Übrigen hat sich nach der vorliegenden Entscheidung das OLG Bamberg am 17.1.2022 (StRR 2/2022, 24 [Deutscher]) unmissverständlich im Sinn einer Straflosigkeit bei Altfällen geäußert. Der Beschluss des LG ist schon aus diesem Grund obsolet. Zudem dürften die Altfälle alsbald in der Praxis keine nennenswerte Rolle mehr spielen. Von Bedeutung sind allenfalls noch Mischfälle (Fälschung vor dem 24.11.2021, Vorlage danach; LG Würzburg StRR 3/2022, 26 [Deutscher]).

Ohnehin ist die Sperrwirkung für Neufälle entfallen. Durch Einführung der Subsidiaritätsklauseln in §§ 277, 279 StGB zum 24.11.2021 („wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist“) ist klargestellt, dass nunmehr eine solche Sperrwirkung nicht mehr besteht (AG Landau, Urt. v. 25.1.2022 – 2 Cs 4106 Js 15848/21).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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