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Einordnung eines Impfausweises als Gesundheitszeugnis

1. Ein Impfausweis stellt erst dann ein Gesundheitszeugnis i.S.d. §§ 277–279 StGB dar, wenn er einen konkreten individualisierbaren Menschen erkennen lässt.

2. Die §§ 277–279 StGB in der bis 23.11.2021 geltenden Fassung beinhalten eine abschließende spezialgesetzliche Regelung über die Strafbarkeit des Umgangs mit Gesundheitszeugnissen, welche den Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 267 StGB sperrt.

3. Bei § 74 Abs. 2 IfSG in der ab dem 24.11.2021 gültigen Fassung vom 22.11.2021 handelt es sich um ein Sonderdelikt für impfberechtigte Personen.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Bamberg, Beschl. v. 17.1.20221 Ws 732-733//21

I. Sachverhalt

Blankett-Impfausweis verkauft

Das AG hat Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen. Am 11.11.2021 verkaufte der Beschuldigte an einen verdeckten Ermittler der Polizei einen gelben Impfpass mit zwei selbsterklärenden SARS-COV-2- bzw. Covid-19-Impfungen („Corona-Impfungen“) und eingetragenem Stempel mit selbst angebrachter nicht leserlicher Unterschrift über dem Stempel zum Preis von 150 EUR, obwohl der Ankäufer nicht der geimpfte Inhaber des Ausweises war. Der Ankäufer musste nur noch selbst einen Namen auf der Vorderseite des Passes eintragen Der Beschuldigte vereinbarte zudem die Herstellung und Lieferung von weiteren mindestens 70 gefälschten gelben Impfpässen. Der Beschuldigte handelte mit Gewinnerzielungsabsicht. Das LG hat den Haftbefehl wegen Straflosigkeit des Verhaltens aufgehoben. Die weitere Beschwerde der StA blieb erfolglos.

II. Entscheidung

Kein Strafbarkeit nach § 277 StGB a.F.

Der Verkauf des Blankett-Impfausweises erfülle nicht den Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB in der bis 23.11.2021 geltenden Fassung. Ein Impfausweis stelle grundsätzlich ein Gesundheitszeugnis i.S.d. § 277 StGB a.F. dar. Blankett-Impfausweise seien allerdings keine Gesundheitszeugnisse. Sie enthielten keine Aussage über den Gesundheitszustand eines konkreten individualisierbaren Menschen.

Sperrwirkung gegenüber Urkundenfälschung

Das Dokumentieren einer nicht durchgeführten Schutzimpfung in einem Blankett-Impfausweis sei schon deshalb nicht als Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB strafbar, weil § 277 StGB in der bis 23.11.2021 geltenden Fassung nicht nur im Falle des Gebrauchs gefälschter Impfzeugnisse im privaten Rechtsverkehr einen Rückgriff auf § 267 StGB sperrte (LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 277 Rn 16; zweifelnd Fischer, StGB, 68. Aufl., § 277 Rn 11), sondern eine abschließende spezialgesetzliche Regelung des Echtheits- und Wahrheitsschutzes für ärztliche Gesundheitszeugnisse darstellte, welche gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 267 StGB eine Sperrwirkung entfaltet (LG Karlsruhe StRR 1/2022, 24 [Deutscher]). Ob ein manipulierter Blankett-Impfausweis nach allgemeinen Regeln überhaupt eine Urkunde darstellt und das Verhalten der Beschuldigten seit dem 24.11.2021 als (ggf. bandenmäßige) Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 4 StGB), als deren Versuch (§§ 267 Abs. 2, 22 StGB) oder als Verabredung eines Verbrechens der bandenmäßigen Urkundenfälschung (§§ 30 Abs. 2, 267 Abs. 4 StGB) strafbar wäre, könne dahinstehen, da gem. Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Systematik und Historie

Es handele sich bei §§ 277 ff. StGB nicht um eine Privilegierung der dort normierten speziellen Fallkonstellationen, welche außerhalb ihres Anwendungsbereichs einen Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften (insbesondere des § 267 StGB) zugelassen hätte. Hierfür spreche zum einen die systematische Stellung der §§ 277–279 StGB a.F., welche die Strafbarkeit des Umgangs mit unrichtigen Gesundheitszeugnissen ausführlich und ausdifferenziert regeln. Es sei kein Sinn und Zweck erkennbar, warum der Gesetzgeber in den §§ 277–279 a.F. StGB bestimmte Erscheinungsformen des Umgangs mit unrichtigen Gesundheitszeugnissen einerseits unter gegenüber § 267 StGB milde Strafe stellen, nicht den Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 277–279 StGB a.F. unterfallende Verhaltensweisen des Umgangs mit Gesundheitszeugnissen jedoch nach den allgemeinen Strafvorschriften verfolgt wissen wollte, während es umgekehrt deutliche Hinweise darauf gebe, warum hinsichtlich des Umgangs mit Gesundheitszeugnissen ein Sonderrecht geschaffen werden sollte. Die §§ 277–279 StGB a.F. befänden sich bereits seit dem Jahr 1871 im Kern unverändert im deutschen Strafgesetz. Zu dieser Zeit seien die Diagnosemöglichkeiten einer Krankheit wesentlich eingeschränkter und die sich daraus ergebenden Folgerungen für den gegenwärtigen und zukünftigen Gesundheitszustand der Person wesentlich ungewisser gewesen als zum heutigen Zeitpunkt. Dementsprechend sei der Aussagegehalt eines Gesundheitszeugnisses wesentlich vager und unsicherer als nach den heutigen Diagnosemöglichkeiten und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dies spreche dafür, dass der Gesetzgeber einem solchen nicht die gleiche Bedeutung beimessen wollte wie einer sonstigen Urkunde, dass er nur in den vom Gesetz geregelten Fällen überhaupt ein strafwürdiges Unrecht gesehen hat und deshalb die § 277–279 StGB a.F. als abschließende Sonderregelungen in Hinblick auf den Umgang mit Gesundheitszeugnissen verstanden wissen wollte. Wenn ein Gesundheitszeugnis gefälscht werden würde, um es einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft vorzulegen, es aber noch nicht zur Vorlage gekommen wäre, wäre diese Handlung nicht nach § 277 StGB a.F. strafbar. Sehr wohl läge aber eine Strafbarkeit nach § 267 StGB vor, da gemäß der Einaktigkeit dieser Strafnorm bereits das Erstellen einer unechten Urkunde den Tatbestand der Urkundenfälschung vollendete. Ohne die Sperrwirkung würde das bloße Fälschen eines Gesundheitszeugnisses schwerer bestraft als das Fälschen und die anschließende Vorlage. Dies würde einen eklatanten Wertungswiderspruch darstellen.

Vorbereitung der Fälschung

Eine Strafbarkeit der Beschuldigten wegen des Vorbereitens einer Fälschung von amtlichen Ausweisen (§ 275 StGB in der bis 23.11.2021 geltenden Fassung) scheide aus, weil die verfahrensgegenständlichen Blankett-Impfausweise keine Vordrucke für amtliche Ausweise darstellen. Impfausweise würden nicht durch Behörden ausgegeben. Eine Strafbarkeit wegen Vorbereitung der Erstellung von unrichtigen Impfausweisen nach § 275 Abs. 1a StGB in der ab 24.11.2021 geltenden Fassung scheide für die vorliegenden Tatvorwürfe gem. § 1 StGB aus.

IfSG

Eine Strafbarkeit der Beschuldigten nach §§ 74 Abs. 2, 73 Abs. 1a Nr. 8, 22 IfSG komme ebenfalls nicht in Betracht. § 74 Abs. 2 IfSG sei ein Sonderdelikt. Täter könne nur eine berechtigte Person sein, wie schon der Verweis auf § 22 IfSG zeigt, der die zur Durchführung von Schutzimpfungen berechtigte Person zur unverzüglichen Dokumentation verpflichtet (Gaede/Krüger, NJW 2021, 2159). Gleiches gelte für eine Strafbarkeit nach § 75a Abs. 3 Nr. 1 IfSG, denn die Norm stelle nur das Gebrauchmachen von solchen falschen Dokumentationen unter Strafe, die durch die strafbare Handlung einer berechtigten Person nach §§ 74 Abs. 2, 73 Abs. 1a Nr. 8, 22 IfSG erstellt wurden.

III. Bedeutung für die Praxis

Logik nicht zwingend

Die Entscheidung ist zusammen mit den Beschlüssen des LG Paderborn StRR 1/2022, 26 [Deutscher] – Impfausweis – und LG Karlsruhe StRR 1/2022, 24 [Deutscher] – Corona-Antigentest – zur Rechtslage bis zum 23.11.2021 zu sehen (a.A. dazu jetzt OLG Hamburg, Beschl. v. 27.1.2022 – 1 Ws 114/21). Schon die bei Vorliegen eines Gesundheitszeugnisses ohne die übrigen Voraussetzungen der §§ 277, 279 StGB angenommene Sperrwirkung gegenüber der Urkundenfälschung war fraglich (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 277 Abs. 1). Erst recht ist das nicht zwingend, wenn – wie hier vom OLG Bamberg angenommen – das streitgegenständliche Dokument kein Gesundheitszeugnis gem. § 277 StGB ist.

Überholt durch die neuen Subsidiaritätsklauseln

Durch Einführung der Subsidiaritätsklauseln in §§ 277, 279 StGB zum 24.11.2021 („wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist“) dürfte die vermeintliche Sperrwirkung für die Zukunft ohnehin obsolet sein.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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