Terminverlegungsanträge dürfen nicht unter pauschalem Hinweis auf die Geschäftslage des Gerichts oder den Umstand, dass kein Fall notwendiger Verteidigung vorliege, zurückgewiesen werden. Vielmehr ist über solche Anträge nach pflichtgemäßem Ermessen insbesondere unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Betroffenen/Angeklagten zu entscheiden.
(Leitsätze des Verfassers)
KG, Beschl. v. 8.2.2021 – 3 Ws (B) 26/21
LG Schwerin, Beschl. v. 24.6.2021 – 33 Qs 47/21 jug
I. Sachverhalte
1. In dem vom KG entschiedenen Fall hatte der Verteidiger in einer Bußgeldsache einen Tag vor der geplanten Hauptverhandlung aufgrund einer plötzlichen Erkrankung die Aufhebung des Termins und eine „möglichst weiträumige“ Verlegung beantragt. Eine Vertretung durch einen anderen RA sei aufgrund der Kurzfristigkeit nicht möglich. Im Termin waren weder der Verteidiger noch der Betroffene anwesend.
Das AG verwarf den Einspruch. Ein Fall der notwendigen Verteidigung habe nicht vorgelegen und der beantragten „weiträumigen“ Verlegung könne schon wegen der kurzen Verjährungsfristen im Bußgeldverfahren nicht nachgekommen werden.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das KG das Verwerfungsurteil aufgehoben und die Sache an das AG zurückverwiesen.
2. Die Entscheidung des LG Schwerin erging in einem Verfahren wegen Nötigung und Bedrohung vor dem Jugendrichter. Dort war nach Zulassung der Anklage mit einer Vorlaufzeit von etwa einem Monat Termin zur Hauptverhandlung bestimmt worden. Die Ladung wurde von der Geschäftsstelle indes verzögert bearbeitet, so dass sie erst zwölf Tage später beim Verteidiger einging. Am ersten Werktag darauf beantragte der Verteidiger, der wegen eines bereits Monate zuvor anberaumten Termins in einer anderweitigen Haftsache verhindert war, die Verlegung des Termins. Dies lehnte das AG ab, da die Geschäftslage des Gerichts eine Verlegung nicht zulasse und im Übrigen auch kein Fall notwendiger Verteidigung vorliege. Aus der Verhinderung des Verteidigers ergebe sich kein Anspruch auf Terminsverlegung.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Angeklagten wurde dem Beschwerdegericht nicht vorgelegt. Stattdessen erhielt der Verteidiger fünf Minuten (!) vor dem Verhandlungstermin per Fax die Mitteilung, dass der Terminverlegungsantrag abermals zurückgewiesen werde. Nachdem zum Termin weder der Verteidiger noch der Angeklagte erschienen war, erließ das AG gemäß § 408a StPO einen Strafbefehl, gegen den der Angeklagte Einspruch eingelegt hat.
Die gegen die Ablehnung der Terminverlegung eingelegte Beschwerde war erfolgreich.
II. Entscheidungen
1. Das KG weist darauf hin, dass der Vorsitzende über einen Terminverlegungsantrag nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe. Dabei seien das Interesse des Staates an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens und das Interesse des Betroffenen an seiner Verteidigung gegeneinander abzuwägen. Berücksichtigt werden müssten die Umstände des Einzelfalles wie die Terminplanung des Gerichts, die Auslastung des Spruchkörpers, das Beschleunigungsgebot, die Bedeutung und die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache, die Persönlichkeit des Betroffenen, die Prozesssituation, die Veranlassung der Verhinderung, die Dauer der Verzögerung und das Verhalten des Betroffenen und seines Verteidigers. Diesen Anforderungen werde das Verwerfungsurteil nicht gerecht, das AG habe seine prozessuale Fürsorgepflicht verletzt.
Den Gründen des Urteils sei eine Abwägung mit dem Interesse des Betroffenen an einer wirksamen Verteidigung nicht zu entnehmen. Stattdessen werde lediglich pauschal auf kurze Verjährungsfristen im Ordnungswidrigkeitenverfahren und die Ungewissheit über Art und Dauer der Erkrankung des Verteidigers verwiesen. Zudem lasse die Formulierung, die Erkrankung des Verteidigers entbinde den Betroffenen nicht von seiner Präsenzpflicht und es läge kein Fall der notwendigen Verteidigung vor, besorgen, dass das AG bei seiner Entscheidung den Gesichtspunkt der prozessualen Fürsorgepflicht nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Im Übrigen erkennt der Senat auch keine Verschleppungsabsicht. Es handele sich um den ersten auf eine Erkrankung des Verteidigers gestützten Antrag. Zudem sei dem Hinweis, dass der Verteidiger aufgrund der Kurzfristigkeit keinen Vertreter habe finden können, zu entnehmen, dass der Verteidiger, auch wenn er um eine „möglichst weiträumige“ Verlegung gebeten hatte, gewillt war, rechtzeitig einen Vertreter mit der Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen zu beauftragen.
2. Das LG Schwerin führt zunächst aus, dass die Beschwerde trotz ihrer prozessualen Überholung aufgrund der Durchführung des Hauptverhandlungstermins, in dem schließlich ein Strafbefehl erging, zulässig sei. Es liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, weshalb Beschwerde auch gegen eine tatsächlich erledigte richterliche Entscheidung erhoben werden könne.
In der Sache vermisst die Beschwerdekammer eine ausreichende Ermessensabwägung insbesondere im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang mit der Terminierung und der Bescheidung des Verlegungsantrags. Zwar ergebe sich schon aufgrund § 228 Abs. 2 StPO aus der Verhinderung des Verteidigers für sich allein nicht ohne weiteres ein Anspruch auf Terminverlegung. Dies gelte auch, wenn der gewählte Verteidiger in anderen Strafverfahren unabkömmliche Termine habe. Die Entscheidung des AG enthalte aber keinerlei Anhaltspunkte für eine vorgenommene Abwägung, der pauschale Hinweis auf die Geschäftslage des Gerichts und dass kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege genüge insoweit nicht. Insbesondere hätte der Vorsitzende auch in den Blick nehmen müssen, dass der verzögerte Zugang der Ladung beim Verteidiger allein im Geschäftsbereich des AG lag. Hierdurch seien der Verteidiger sowie der Angeklagte in ihren Möglichkeiten, auf die verfahrensleitenden Anordnungen des Gerichts reagieren zu können, übermäßig eingeschränkt worden.
Zu keiner anderen Bewertung führe der Umstand, dass es sich nicht um einen Fall der notwendigen Verteidigung gehandelt hat. Auch insoweit bestehe regelmäßig das Recht, sich eines Verteidigers seiner Wahl zu begehen. Eine wesentliche Verzögerung des Verfahrens drohte nicht, zumal es sich um die erste Terminierung handelte und zwischen der mutmaßlichen Tat und der Erhebung der Anklage bereits sieben Monate vergangen waren.
III. Bedeutung für die Praxis
Die beiden Entscheidungen sind zwingend, waren doch die angefochtenen erstinstanzlichen Ablehnungen der Verlegungsanträge jeweils offensichtlich rechtswidrig. Die im Umgang mit missliebigen Verlegungsanträgen gerne zitierte Terminshoheit des Gerichts gewährt eben nicht die Freiheit, mit derartigen Anträgen nach Belieben zu verfahren. Vielmehr sind die berechtigten Belange des Betroffenen/Angeklagten stets angemessen zu berücksichtigen, und zwar in allen Verfahren und nicht etwa lediglich in Haftsachen oder in Fällen notwendiger Verteidigung. Dass dies vorliegend von beiden AG rundheraus ignoriert wurde erstaunt umso mehr, als dass es sich jeweils um den ersten Verlegungsantrag handelte und eine besondere Eilbedürftigkeit schon angesichts dessen, dass es sich um eine Bußgeldsache bzw. um ein Verfahren vor dem Jugendrichter handelte, nicht ansatzweise ersichtlich war.
Richter am LG Thomas Hillenbrand, Stuttgart