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Pflichtverteidiger im Haft(prüfungs)termin

Auch der Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch angesichts der zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nicht in Betracht.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Magdeburg, Beschl. v. 16.7.2021 – 21 Qs 53/21 und 54/21

I. Sachverhalt

Der Verteidiger G des Beschuldigten konnte in dem auf seinen Antrag anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung über den Erlass eines von der Staatsanwaltschaft beantragten Haftbefehls wegen Quarantäne nicht erscheinen. Das AG Wernigerode fasste daher im Rahmen des Termins, an dem ein Rechtsanwalt W teilnahm, einen Beschluss des folgenden Inhalts: „Rechtsanwalt W wird dem Beschuldigten für den heutigen Termin als Pflichtverteidiger beigeordnet.“ Das AG hat gegen den Beschuldigten dann den Haftbefehl erlassen.

Rechtsanwalt W hat die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren beantragt. Er hat u.a. Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr geltend gemacht. Das AG hat nur die Terminsgebühr festgesetzt. Die dagegen gerichtete Erinnerung hatte beim AG Erfolg. Das AG hat die Pflichtverteidigergebühren antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Landeskasse hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des LG war die auf den Termin, in dem der Haftbefehl erlassen worden ist, beschränkte Beiordnung zwar – nach dem seit 13.12.2019 geltenden neuen Recht der Pflichtverteidigung – rechtswidrig, weil § 140 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. §§ 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 143 StPO eine Pflichtverteidigerbestellung für das gesamte Verfahren vorsehen, die mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens oder durch Aufhebung mit gesondertem Beschluss ende. Dabei sehe § 143 Abs. 2 S. 4 StPO ausdrücklich für die Fälle des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor, dass eine Aufhebung erfolgen solle, falls der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt werde, was hier nicht der Fall gewesen sei. Auch sei Rechtsanwalt W nicht lediglich Terminsvertreter des verhinderten Rechtsanwalts G gewesen, was eine zeitlich befristete Bestellung gerechtfertigt hätte. Denn Rechtsanwalt G sei in der Sache noch nicht tätig und auch nicht beigeordnet worden, so dass der Beschuldigte bei dem Verhandlungstermin am 23.3.2021 noch keinen Verteidiger hatte. Jedoch sei der in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Beiordnung rechtswidrige Beschluss nicht mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 142 Abs. 7 StPO angefochten worden, so dass er mit seinem rechtswidrigen Inhalt Bestand hatte.

Dies ändert nach Auffassung des LG jedoch nichts daran, dass Rechtsanwalt W die Gebühren eines Pflichtverteidigers vollumfänglich geltend machen könne. Denn auch der Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt sei, sei für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher komme auch angesichts der zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV RVG nicht in Betracht (vgl. LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20 m.w.N. für den Terminsvertreter).

III. Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist zutreffend. Das LG setzt mit der Entscheidung seine Rechtsprechung zum alten Recht der Pflichtverteidigung fort (LG Magdeburg RVGreport 2018, 257 = StRR 5/2018, 24 = StraFo 2018, 314 = AGS 2018, 341). Das LG hat schon zum Rechtszustand vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ vom 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) die zutreffende Auffassung vertreten, dass der für einen Haftprüfungstermin gemäß § 141 Abs. 3 S. 4 StPO a.F. anstelle des Pflichtverteidigers beigeordnete Rechtsanwalt nicht nur Terminsvertreter i.e.S. ist, sondern Vollverteidiger und ihm daher nicht nur die Terminsgebühr, sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr zustehen (unzutreffend a.A. OLG Celle RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534 = JurBüro 2018, 580; LG Leipzig RVGreport 2019, 338 = StraFo 2019, 439). Das gilt für das neue Recht nach wie vor bzw. erst recht. Denn nach § 141 Abs. 1 StPO wird dem Beschuldigten ein „Pflichtverteidiger bestellt“. Daher ist schon nach dem Wortlaut der Regelung keine Anwendung für Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG – Einzeltätigkeit (s.a. Burhoff, in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A). Das hat so auch das LG Aachen (a.a.O.) entschieden. Denn dort ist der Rechtsanwalt ebenfalls als Pflichtverteidiger bestellt worden und war – anders als das LG Magdeburg meint – nicht nur „Terminsvertreter“ (zu den Gebühren des Terminsvertreters Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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