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StRR-Kompakt 2021-11

Pflichtverteidiger: Entbindung mit Wiederauflebensklausel

Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung mit der einschränkenden Maßgabe zu deren Wiederaufleben im Falle der Niederlegung des Wahlmandats durch einen neu mandatierten Rechtsanwalt ist unzulässig. In diesem Fall steht dem entbundenen Pflichtverteidiger ein Beschwerderecht zu.

OLG Dresden, Beschl. v. 3.9.2021 – 3 Ws 78/21

Sachverständiger: Besorgnis der Befangenheit

Die von einem Sachverständigen in seinem Gutachten offenbarte unvollständige Tatsachengrundlage rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit. Der Vorwurf mangelnder Sorgfalt bei der Gutachtenerstellung gibt – auch in der Gesamtschau – grundsätzlich keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit des (medizinischen) Sachverständigen.

OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.8.2021 – 17 W 12/21

Pflichtverteidiger: Absehen von der Bestellung

Die Möglichkeit, von einer Bestellung in denjenigen Fällen abzusehen, in denen beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen (§ 141 Abs. 2 S. 3 StPO), gilt nicht für Fälle einer beantragten Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 141 Abs. 1 S. 1 StPO, sondern nur für die antragsunabhängige Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 141 Abs. 2 StPO.

LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.9.2021 – 5/31 Qs 22/21

Pflichtverteidiger: nachträgliche Bestellung

Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat auch noch nach Beendigung des Verfahrens zu erfolgen, wenn der Beiordnungsantrag bereits vor Verfahrensbeendigung gestellt worden ist, die Voraussetzungen für eine Beiordnung zum damaligen Zeitpunkt vorlagen und eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag vor Verfahrensbeendigung unterblieben ist, weil die Beschlussfassung aufgrund justizinterner Vorgänge wesentlich verzögert wurde.

LG Kiel, Beschl. v. 16.9.2021 – 1 Qs 72/21

Dolmetscher: gestellter Zeuge

Entscheidet sich das Tatgericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht dafür, einen von dem Betroffenen mitgebrachten („sistierten“) Zeugen zu vernehmen, so muss es bei Auftreten erheblicher Verständigungsprobleme einen Dolmetscher hinzuziehen. Bricht es hingegen die Vernehmung aufgrund der Verständigungsprobleme ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers ab, so ist der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO erfüllt.

OLG Celle, Beschl. v. 21.9.2021 – 3 Ss (OWi) 220/21

Sicherungsverfahren: Rechtsmittel des Nebenklägers

Ein Rechtsmittel durch Nebenkläger ist zwar auch im Sicherungsverfahren zulässig, dies aber nur, wenn damit eine unterbliebene Maßregelanordnung ermöglicht werden soll.

BGH, Beschl. v. 31.8.2021 – 2 StR 129/21

Pflichtverteidiger: Zustellung

Eine Zustellung ist grundsätzlich nicht ordnungsgemäß bewirkt, wenn anstelle des Pflichtverteidigers eine andere Person das Empfangsbekenntnis unterschreibt.

BGH, Beschl. v. 11.8.2021 – 3 StR 118/21

Berufungsverwerfung: ausgebliebener, aber vertretener Angeklagter

Erachtet es das Berufungsgericht nach § 329 Abs. 4 S. 1 StPO für erforderlich, die Berufungshauptverhandlung in Anwesenheit des ausgebliebenen, jedoch durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertretenen Angeklagten in einem weiteren Termin fortzuführen, kann es bei Ausbleiben des Angeklagten im Fortsetzungstermin und weiterer Anwesenheit des vorgenannten Verteidigers die Berufung des Angeklagten nur dann nach § 329 Abs. 4 S. 2 StPO verwerfen, wenn die Ladungsfrist des Angeklagten von einer Woche (§ 217 Abs. 1 StPO) zum Fortsetzungstermin gewahrt wurde.

OLG Bamberg, Beschl. v. 15.9.2021 – 1 Ws 561/21

Haftfortdauer: Beschleunigungsgebot nach Urteilserlass

Zwar gilt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen nach dem Urteilserlass in nur noch abgeschwächter Form, so dass Verfahrensverzögerungen nach dem erstinstanzlichen Urteil grundsätzlich geringer ins Gewicht fallen und das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs sich durch den erfolgten Schuldspruch vergrößert hat. Dies rechtfertigt aber nicht eine um mehrere Monate verzögerte Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls.

OLG Schleswig, Beschl. v. 21.9.2021 – 1 Ws 160/21

Bewährung: Beurteilungsspielraum des Tatrichters

Dem Tatrichter kommt bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ein weiter Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Dies gilt sowohl für die Prognoseentscheidung des LG i.S.d. § 56 Abs. 1 StGB als auch für die Prüfung, ob besondere Umstände i.S.v. § 56 Abs. 2 StGB vorliegen. In beiden Fällen hat der Tatrichter unter Einbeziehung aller dafür bedeutsamen Umstände im Sinne einer Gesamtwürdigung zu entscheiden.

OLG Dresden, Beschl. v. 6.9.2021 – 1 OLG 22 Ss 368/21

Bewährungswiderruf: neue Straftat zwischen Bewährungszeitende und Verlängerung

Eine Straftat, die der Verurteilte nach Ablauf der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit begeht, kann auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten jedenfalls dann einen Widerruf der Strafaussetzung rechtfertigen, wenn die Bewährungszeit durch eine nach diesem Zeitpunkt ergangene Entscheidung verlängert wurde und der Verurteilte bei Begehung der neuen Tat aufgrund einer vorherigen gerichtlichen Mitteilung mit einer bewährungsverlängernden Maßnahme rechnen musste (u.a. Anschluss an KG, Beschl. v. 18.7.2018 – 5 Ws 78/18; OLG Bremen, Beschl. v. 20.9.2019 – 1 Ws 67/19).

OLG Bamberg, Beschl. v. 12.8.2021 – 1 Ws 477/21

Cum-Ex-Geschäfte: Strafbarkeit

Die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer zur Steueranrechnung bzw. Steuererstattung gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage von Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften stellt eine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar; sie führt im Fall ihrer positiven Bescheidung zu ungerechtfertigten Steuervorteilen i.S.d. § 370 Abs. 4 S. 2 AO. § 73e Abs. 1 S. 2 StGB in der Fassung durch das Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 ermöglicht in Verbindung mit Art. 316j Nr. 1 EGStGB die Einziehung von Taterträgen trotz eingetretener Zahlungsverjährung aus steuerlichen Gründen.

BGH, Urt. v. 28.7.2021 – 1 StR 519/20

Brandstiftung: bereits zerstörtes Gebäude

Ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, kann durch eine Brandlegung auch dann teilweise zerstört werden, wenn die betroffene Wohnung bereits wegen einer vorangegangenen Brandstiftung nicht nutzbar war.

BGH, Beschl. v. 24.8.2021 – 3 StR 247/21

(Subventions-)Betrug: Corona-Soforthilfe

Die formelhafte Wendung, dass „Tatsachen, die für die Bewilligung, Gewährung, Rückforderung, Weitergewährung oder das Belassen der Zuwendung von Bedeutung sind, subventionserheblich i.S.v. § 264 des Strafgesetzbuchs und § 2 des Subventionsgesetzes in Verbindung mit § 1 des Landessubventionsgesetzes (Berlin) sind“, reicht für die nach § 264 Abs. 9 Nr. 1 Alt. 2 StGB erforderliche hinreichend konkrete Bezeichnung der subventionserheblichen Tatsachen nicht aus

KG, Urt. v. 10.9.2021 – (4) 121 Ss 91/21 (134/21)

Dienstgeheimnis: „als Amtsträger“ bekannt geworden

Ein Dienstgeheimnis ist einem Amtsträger dann „als Amtsträger“ bekannt geworden, wenn das Geheimnis dem Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekannt geworden ist.

OLG Dresden, Beschl. v. 29.9.2021 – 6 OLG 22 Ss 355/21

Anfertigung vertonter Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen: Strafbarkeit

Die Anfertigung vertonter Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen im frei zugänglichen öffentlichen Raum erfüllt regelmäßig nicht den Straftatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB, auch wenn die Äußerungen der eingesetzten Beamten aufgenommen werden. Für die Frage der Herstellung einer „faktischen Öffentlichkeit“ ist entscheidend, ob die Kommunikation während des Polizeieinsatzes von einem frei zugänglichen öffentlichen Bereich aus hätte wahrgenommen werden können; nicht entscheidend ist, ob eine oder mehrere Personen diese tatsächlich wahrgenommen haben.

LG Osnabrück, Beschl. v. 24.9.2021 – 10 Qs 49/21

Geschwindigkeitsüberschreitung: Messung mit Leivtex XV3

Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit einem Messgerät vom Typ Leivtec XV3 handelt es sich angesichts der von der PTB bestätigten unzulässigen Messwertabweichungen in speziellen Konstellationen insgesamt nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

OLG Hamm, Beschl. v. 16.9.2021 – 1 RBs 115/21

Gesamtstrafenverfahren: Verteidiger des Erkenntnisverfahrens

Im Gesamtstrafenverfahren nach § 460 StPO entsteht für den Verteidiger, der den Angeklagten bereits im Erkenntnisverfahren vertreten hat, nicht die Gebühr Nr. 4204 VV (zutreffend a.A. OLG Bamberg RVGreport 2020, 63 = StRR 2/2020, 30 = JurBüro 2020, 23; OLG Brandenburg, Beschl. v. 5.7.2018 – 2 Ws 106/18, AGS 2018, 494 = RVGreport 2018, 385 = StRR 11/2018, 26 = JurBüro 2019, 23; LG Cottbus StRR 11/2018, 18; LG Osnabrück, Beschl. v. 2.6. 2020 – 2 Qs 26/20, AGS 2020, 509 = RVGreport 2020, 346).

LG Bonn, Beschl. v. 31.8.2021 – 29 Qs 6/21

Zusätzliche Verfahrensgebühr: Einziehungsantrag in der Anklageschrift

Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG entsteht bereits bei Tätigkeiten des Rechtsanwalts, wenn eine Einziehung möglicherweise droht, was bei einer Ankündigung der Einziehung in der Anklageschrift gegeben ist.

AG Stralsund, Beschl. v. 3.9.2021 – 34 Ls 5/21

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