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Besorgnis der Befangenheit oder: Was muss ein Gericht denn noch alles tun?

Mit Beschluss vom 30.10.2020 (1 Ws 362/20) hat das OLG Oldenburg zur Besorgnis der Befangenheit Stellung genommen. Es geht um die Bedeutung der schriftlichen und mündlichen Urteilsbegründung im Rahmen einer Vorbefassung sowie der Anordnung einer Schweigeminute im Vorprozess für die Besorgnis der Befangenheit des jetzigen Angeschuldigten. Der Beschluss ist in mehrfacher Weise bemerkenswert, was Anlass ist, ihn näher zu untersuchen. Dass das Thema „Befangenheit“ auch bei eingefleischten „Frontverteidigern“ regelmäßig zu Kopfschütteln führt, zeigt immer wieder, dass die erfolgreiche Absetzung des Richters eher die Ausnahme als die Regel ist. Der Beschluss des OLG irritiert die Wahrnehmung der Voreingenommenheit noch mehr, denn es wird die Frage zu stellen sein: „Was muss man denn noch alles tun, um als befangen zu gelten?“

I.Exkurs: Grundsätze zur Besorgnis der Befangenheit

Für alle, die nicht tagtäglich mit dem Thema der Befangenheit zu tun haben, will ich mit einem kleinen Exkurs beginnen, um den Beschluss des OLG Oldenburg besser (nicht) verstehen zu können (zu allem eingehend auch Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 1 ff. oder Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 9 ff.).

Die Grundnorm des Befangenheitsrechts ist § 24 StPO. Danach kann ein Richter sowohl in den gesetzlichen Fällen – §§ 22, 23 StPO – als eben auch wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Nach § 24 Abs. 2 StPO liegt die Besorgnis der Befangenheit vor, wenn der Anlassgrund geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grundsätzlich vom Standpunkt eines vernünftigen bzw. verständigen Ablehnenden aus zu beurteilen. Ob der Richter tatsächlich parteiisch, befangen ist und/oder sich dafür hält, ist also irrelevant. Es kommt auf die Sicht des Ablehnenden an und somit auf das objektive Verhalten des Abgelehnten. Die Rechtsprechung formuliert: Misstrauen liegt demnach gegen die Unparteilichkeit vor, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der Abgelehnte ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (BVerfGE 32, 288, 290; BGHSt 1, 34, 39, 24, 336, 338; BGH, Beschl. v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17).

Es kommt auf den Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten (BGHSt 1, 34, 37, 21, 334, 341) an und auf die Vorstellung, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (BGH NJW 1968, 2297). Die Besorgnis kann sich sowohl aus der Gesamtschau verschiedener Aspekt ergeben als auch im Einzelfall und ist stets auf die konkrete Person, nicht an das erkennenden Gericht zu wenden. Es müssen daher Gründe vorgebracht werden, die jedem unbeteiligten Dritten einleuchten (BGH JR 1957, 68).

Im Verfahren müssen alle Gründe, die vor der Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse nach § 243 Abs. 2 S. 2 StPO vorlagen, auch vorher vorgetragen werden, da sie ansonsten verwirkt sind. Alle anderen – späteren – Gründe sind dann unverzüglich mitzuteilen. Das heißt, dass die Ablehnung ohne unnötige, nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung geltend gemacht werden muss. Maßgebend ist die Kenntnis des Angeklagten, nicht die des Verteidigers.

Hinweis

Dem Verteidiger muss aber Zeit zum Abfassen des Ablehnungsantrags zugebilligt werden (u.a. BGH NStZ 2018, 610). Er kann aber – bei Außerachtlassung der §§ 26a Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO – auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen werden.

Ablehnungsgesuche sind formfrei bei demjenigen zu stellen, der abgelehnt wird. Der Antragsteller hat die Wahl, ob er das Gesuch schriftlich oder mündlich einreichen möchte. § 257a StPO gilt nicht, es kann aber die schriftliche Begründung innerhalb angemessener Frist angeordnet werden. Bei Antragstellung in mündlicher Form gilt die wörtliche Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1 StPO. Protokolliert wird aber nur der Antrag, nicht auch die Begründung.

Das Ablehnungsgesuch muss die Individualisierung des Abgelehnten und die Gründe enthalten und diese müssen glaubhaft gemacht werden. Glaubhaftmachen bedeutet, dass dem Gericht die Gründe bewiesen werden müssen, ohne dass verzögernde Ermittlungen vorgenommen werden müssen.

Der Abgelehnte hat sich zwingend wegen § 27 StPO über das Gesuch zu äußern, außer bei absoluter Eindeutigkeit. Die Äußerung muss gegenüber dem zur Entscheidung berufenen Spruchkörper schriftlich abgegeben werden und darf nicht in das Sitzungsprotokoll diktiert werden.

Eine unzulässiges Ablehnungsgesuch wird nach § 26a StPO verworfen. Über einen zulässigen Antrag entscheidet nach § 27 StPO das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, nicht der abgelehnte Richter.

II.Sachverhalt von OLG Oldenburg – 1 Ws 362/20

Ein Vorsitzender des LG befasste sich in einem vorangegangenen Verfahren 2015 mit dem Vorwurf des versuchten Mordes gegen F. F wurde vorgeworfen, als Krankenpfleger durch Injektionen verschiedener Medikamente, insbesondere Kalium, mehrere Patienten eines Krankenhauses getötet und dies bei etlichen versucht zu haben. A, B, C, D und E waren damals Zeugen.

Der Vorsitzende Richter am LG bat nach Aufruf der Sache in dem gegen F gerichteten Verfahren in der öffentlichen Hauptverhandlung alle Anwesenden, zu einer Gedenkminute aufzustehen. Er erklärte hierzu an die Angehörigen der (möglicherweise) von F getöteten Patienten gerichtet, dass alle ihre Angehörigen es verdient hätten, dass man ihrer in Ehren gedenke, unabhängig davon, ob F etwas mit ihrem Tod zu tun habe oder nicht. Anschließend erhoben sich die Prozessbeteiligten und die anwesenden Zuhörer zu einer Schweigeminute.

Der Vorsitzende hatte zudem in seiner mündlichen Urteilsbegründung in dem Vorverfahren gegen F, der wegen Mordes verurteilt worden ist, in Bezug auf die Zeugenaussage der D geäußert, man müsse „mit dem Klammerbeutel gepudert sein“, wenn man der Aussage der D in der gerichtlichen Vernehmung glaube.

Fünf Jahre später wird gegen A, B, C, D und E ein Verfahren geführt, in dem ihnen vorgeworfen wird, jeweils durch Unterlassen Morde sowie versuchte Morde durch F ermöglicht zu haben, indem sie es billigend in Kauf nahmen und nichts dagegen unternahmen, dass F Patienten durch Injektion verschiedener Medikamente, insbesondere Kalium, tötete. A, B, C, D und E waren im Verfahren gegen F selbst Zeugen. Die Bewertung ihrer Aussagen ist im Urteil F erfolgt.

Die Angeschuldigten A, D und C haben geltend gemacht, dass der Vorsitzende Richter am LG sowie die Richter am LG aufgrund ihrer Vortätigkeit in dem Verfahren gegen F von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes entsprechend § 22 StPO ausgeschlossen seien. Mit der Ablehnung beanstanden sie insbesondere das Verhalten des Vorsitzenden im Laufe der vorangegangenen Verfahren gegen F, etwa dessen Auftreten gegenüber Zeugen und der Öffentlichkeit sowie dessen Vorgehen in dem vorliegenden Verfahren; ihm wird ein Mangel an gebotener Neutralität vorgeworfen. Hinsichtlich der weiteren abgelehnten Richter wird im Wesentlichen auf deren Vortätigkeit verwiesen, welche einer unvoreingenommenen Beweiswürdigung in dem vorliegenden Verfahren schon per se entgegenstehe. Die wesentlichen Gründe für die Besorgnis der Befangenheit sollten sich daraus ergeben, dass (1) der Vorsitzende Richter mit dem Strafverfahren gegen F vorbefasst war, (2) dieser in den mündlichen Urteilsgründen äußerte, man müsse „mit dem Klammerbeutel gepudert sein“, wenn man der Aussage der D in der gerichtlichen Vernehmung glaube, (3) der Vorsitzende eine Gedenkminute für die Opfer in der Hauptverhandlung abgehalten hat und (4) eine Pressmitteilung veranlasst hat.

III.Entscheidung

1. Vorbefassung des Gerichts

Dem Vorsitzenden wurde vorgeworfen, nicht mehr unparteiisch sein zu können, da er mit dem Urteil gegen F befasst war und die Ablehnenden im Vorverfahren Zeugen waren. Das OLG hat den Grund nicht gelten lassen und führt dazu, was nicht neu ist, aus:

Ein Grund für die Besorgnis der Befangenheit ergebe sich nicht aus der Vorbefassung insbesondere des Vorsitzenden Richters am LG im Zusammenhang mit den gegen F gerichteten Strafverfahren. Nach ständiger Rechtsprechung könne die Vortätigkeit eines Richters in einem oder mehreren denselben Tatsachenkomplex betreffenden Verfahren als solche die Besorgnis der Befangenheit regelmäßig nicht begründen. Andernfalls würde die Vortätigkeit entgegen der in den §§ 22 bis 24 StPO klar zum Ausdruck kommenden Gesetzeskonzeption faktisch regelmäßig zum Ausschließungsgrund erhoben, obwohl nach dem normativen Leitbild des Gesetzes von der Unvoreingenommenheit eines Richters auszugehen sei. Dem liege die Erwägung zugrunde, dass es für einen Richter selbstverständlich sei, die eigenen früheren Erwägungen kritisch zu überprüfen und sich in einer neuen Sache ausschließlich auf Erkenntnisse aus der neuen Verhandlung zu stützen (vgl. BGH, Urt. v. 15.5.1997 – 1 StR 233/96). Dass die Vortätigkeit allein die Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertige, treffe ebenfalls für die Konstellation der Befassung eines erkennenden Richters in Verfahren gegen andere Beteiligte derselben Tat zu und zwar selbst dann, wenn Verfahren gegen einzelne Angeklagte zur Verfahrensbeschleunigung abgetrennt werden und anschließend ein Schuldspruch wegen Beteiligung an später abzuurteilenden Taten erfolge. Habe sich ein Richter im früheren Verfahren sachlich verhalten, so würden selbst Prozessverstöße oder Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts grundsätzlich nicht die Annahme seiner Voreingenommenheit gegenüber dem Angeklagten rechtfertigen. Anders verhalte es sich allerdings beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies könne etwa der Fall sein, wenn Äußerungen in früheren Entscheidungen unnötige oder unbegründete Werturteile über einen jetzt Angeklagten enthalten oder sich ein Richter in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil eines Angeklagten geäußert habe oder wenn die früheren Entscheidungen aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Annahme rechtfertigen, dass der abgelehnte Richter bereits im Vorfeld eine endgültige Überzeugung von dessen Schuld gewonnen oder sich sonst eine abschließende Meinung über ihn gebildet habe.

2. „MIt dem Klammerbeutel gepudert”

Der abgelehnte Vorsitzende hatte im Vorverfahren in seiner mündlichen Urteilsbegründung zudem die oben dargestellte „Klammerbeuteläußerung“ getätigt. In seiner dienstlichen Stellungnahme ist der Vorsitzende dem Vorbringen nicht entgegengetreten. Er hat hierzu erklärt, dass er die Feststellungen im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung auch mit „starken, sinnfälligen Ausdrücken“ belegt habe, etwa um zum Ausdruck zu bringen, wenn den Mitgliedern der Kammer eine Aussage in keiner Weise nachvollziehbar war. Dies sei in keinem Fall zum Zwecke der Herabwürdigung einer Person geschehen.

Dazu das OLG: Die in diesem Kontext allein in den Fokus zu nehmende Äußerung des Vorsitzenden, man müsse „mit dem Klammerbeutel gepudert“ sein, rechtfertige das geltend gemachte Misstrauen nicht. Zwar verkenne der Senat nicht, dass nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine „mit dem Klammerbeutel gepuderte“ Person als „nicht bei Trost seiend“ oder als „Spinner“ erscheint – eine herabsetzende Ausdrucksweise, die nicht unbedingt mit der besonderen Behutsamkeit und Zurückhaltung eines vorbefassten Richters in Bezug auf öffentliche Äußerungen in Einklang zu bringen sei. Diese Äußerung stelle auch nicht eine – die Besorgnis der Befangenheit regelmäßig nicht auslösende – spontane Reaktion auf das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten dar. Gleichwohl sei mit dieser Bemerkung aus Sicht eines verständigen Angeschuldigten (noch) nicht die Annahme gerechtfertigt, dass der Vorsitzende Richter insbesondere der Angeschuldigten D gegenüber eine Haltung einnehme, welche seine erforderliche Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit störend beeinflussen könne: Zum einen beziehe sich diese Ausdrucksweise – was auch durch die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden noch einmal unterstrichen und bereits vom LG in der angefochtenen Entscheidung herausgestellt wurde – ersichtlich nicht auf die Person und die Wertigkeit der Angeschuldigten D, sondern auf ihr – aus Sicht der Kammer abwegiges – Aussageverhalten.

Zum anderen bleibe es einem Richter unbenommen, situationsangemessen und auf das Naturell des jeweiligen Verfahrensbeteiligten eingehend entsprechende Erklärungen mit Nachdruck und in klarer, sicher verständlicher Sprache zu formulieren, wobei er im Sinne einer „individuelle Ansprache“ auch Worte wählen dürfe, mit denen ein gewisser Unmut verbunden sei. Und in eben diesem Rahmen bewege sich die nämliche Äußerung: Auch wenn in ihr ein gewisser Unmut über die Abwegigkeit des Aussageverhaltens bzw. die Unwahrheit der Aussage der Angeschuldigten D zum Ausdruck komme, erreiche diese – zumal in eine volkstümliche Redewendung gekleidete – Einschätzung im Tonfall bei weitem nicht dieselbe Schärfe wie etwa der (verletzende) Vorwurf an einen Verfahrensbeteiligten, „unverschämt zu lügen“.

3. Gedenkminute

Ob ein bestimmtes Verhalten des Richters im Verfahren – mag es auch prozessual fehlerhaft gewesen sein – die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, ist in besonderem Maße von den Umständen und dem Gesamtzusammenhang des Einzelfalls abhängig. Dies gilt auch für im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden liegende Maßnahmen der Sachleitung nach § 238 Abs. 1 StPO. Rechtfertigen können die Ablehnung daher nur grobe, insbesondere objektiv willkürliche oder auf Missachtung grundlegender Verfahrensrechte von Prozessbeteiligten beruhende Verstöße gegen Verfahrensrecht.

Nach diesen Maßstäben konnte nach Auffassung des OLG auch die Anordnung einer Schweigeminute die Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertigen. In diesem Zusammenhang hat es das OLG dahingestellt sein lassen, ob und inwiefern eine solche Maßnahme von der Sachleitungsbefugnis des § 238 StPO gedeckt ist. Denn ein solches Vorgehen sei hier jedenfalls nicht völlig unvertretbar oder gar willkürlich gewesen. Zudem habe der Vorsitzende sowohl seinerzeit in der Hauptverhandlung als auch in der Stellungnahme deutlich unterstrichen, dass sich das Gedenken „an sämtliche exhumierten Toten“ richten sollte, „deren Umstände ihres Versterbens Gegenstand des Verfahrens“ waren, und zwar ausdrücklich unabhängig davon, ob der „Angeklagte etwas mit ihrem Tod zu tun hatte oder nicht“. Vor diesem Hintergrund liege eine Verletzung der Unschuldsvermutung fern und es treffe gerade nicht zu, dass ein „Gedenken für Geschädigte“ stets impliziere, diese seien Opfer einer Straftat geworden.

4. Pressmitteilung

Zur Pressemitteilung meint das OLG: Der Umgang mit der Presse begründe für sich genommen nicht die Besorgnis der Befangenheit. Maßstab für die Besorgnis der Befangenheit sei vielmehr, ob der Richter den Eindruck erwecke, er habe sich in der Schuld- und Straffrage bereits festgelegt, wenn das Verhalten des Richters persönlich motiviert oder sogar unüberlegt war. Das sei etwa in solchen Konstellationen der Fall, wenn der Richter nicht die gebotene Zurückhaltung gegenüber der Öffentlichkeit übe und die einem Angeschuldigten zur Last gelegten Vorgänge der Presse als feststehende Tatsachen mitteile. Dem Interesse der Öffentlichkeit an frühzeitiger Unterrichtung sei insoweit über Einrichtung einer Pressestelle zu begegnen, da Mitteilungen des Pressedezernenten weniger in Gefahr stehen, missdeutet zu werden.

IV.Fazit

Der Volltext des Beschlusses des OLG ist lesens-, aber – aus Sicht der Verteidigung – für andere Gerichte nicht nachahmenswert. Zum einen hält der Beschluss eine lange Reise durch die Gründe der Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit bereit. Zum anderen hält er fest, wie weit man offenbar als Vorsitzender gehen kann, ohne als befangen zu gelten. Hervorzuheben ist die „Klammerbeuteläußerung“ gegen die damalige Zeugin und nun Angeklagte. Aus Sicht der Verteidigung erscheint es wenig nachvollziehbar, dass ein Richter einem jetzt Angeklagten in seiner vorherigen Rolle als Zeuge eindeutig zu erkennen gibt, ihm nicht zu glauben, und nun aber selbstkritisch objektiv an die Sache herangehen soll. Das gleiche prozessuale Phänomen gibt es bei der Eröffnung des Hauptverfahrens – nämlich dann, wenn eine Verurteilung eher wahrscheinlich ist als ein Freispruch. Der Richter, der stets objektive. Es bleibt zu fragen: Welche prozessualen Ungeschicktheiten muss man sich eigentlich (noch) leisten, bevor man erfolgreich abgelehnt werden kann?

Rechtsanwalt und FAStR Harald Stehr, Göppingen

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