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Wohnungseinbruchdiebstahl mit einem „vergessenen“ Schlüssel

Ein bei dem Berechtigten in Vergessenheit geratener Schlüssel ist kein falscher Schlüssel i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 18.11.2020 – 4 StR 35/20

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Wohnungseinbruchdiebstahls verurteilt. Dazu hat das LG festgestellt, dass der Angeklagte im August 2018 aus dem Schlüsselkasten seiner Lebensgefährtin einen Schlüssel für die Wohnung der Eltern des früheren Ehemanns der Lebensgefährtin genommen hat. Diesen Schlüssel hatte die Lebensgefährtin des Angeklagten entweder von den ehemaligen Schwiegereltern oder von ihrem geschiedenen Ehemann erhalten, von dem sie sich im Juni 2015 trennte. Die ehemaligen Schwiegereltern hatten vergessen, dass die ehemalige Schwiegertochter den Schlüssel noch besaß. Mit diesem Schlüssel fuhr der Angeklagte gegen 4 Uhr zur Wohnung der früheren Schwiegereltern seiner Lebensgefährtin, die sich – wie der Angeklagte wusste – im Urlaub befanden. Seinem Plan entsprechend öffnete er mit dem gefundenen Schlüssel die Haustür des Mehrfamilienhauses und die Wohnungstür. Aus der Wohnung entwendete er Gegenstände und Bargeld. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH die Verurteilung wegen Wohnungseinbruchdiebstahls aufgehoben, da der vom Angeklagten verwendete Schlüssel nicht falsch im Sinne von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB gewesen sei.

II. Entscheidung

Falsch i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB sei ein Schlüssel nur dann, wenn ihm die Widmung des Berechtigten fehle, dass er zur Öffnung des Schlosses dienen soll. Maßgeblich für die Frage, ob ein Schlüssel i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB falsch sei, sei allein der Wille des zur Verfügung über die Wohnung Berechtigten, ob er den Schlüssel nicht, noch nicht oder nicht mehr zur Öffnung des Wohnungsschlosses bestimmt sehen möchte (vgl. BGHSt 14, 291). Die Frage, ob allein das Vergessen der Existenz eines Schlüssels zur Entwidmung führe, sei – soweit ersichtlich – vom BGH noch nicht entschieden worden. Ein bloßes Vergessen könne jedoch – so der BGH – die Annahme der Entwidmung eines Schlüssels nicht begründen. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des Wohnungseinbruchdiebstahls bzw. des Nachschlüsseldiebstahls auf Fälle des bloßen Vergessens hätte zur Folge, dass die Qualifikation des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bzw. die verschärfte Strafdrohung des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB entgegen der gefestigten Rechtsprechung gänzlich unabhängig vom Willen des Berechtigten zur Anwendung kommen würden. Denn dem Vergessen sei immanent, dass eine Willensbildung des Berechtigten in Bezug auf die Gebrauchsbestimmung eines Schlüssels gerade nicht stattfinde. Ihm könne daher kein Erklärungswert dahin beigemessen werden, der Berechtigte gehe von einem endgültigen Verlust eines Schlüssels aus (a.A. – Entwidmung durch endgültiges Vergessen – MüKo-StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 243 Rn 28; SSW-StGB/Kudlich, 4. Aufl., § 243 Rn 14 ohne weitere Begründung).

Ein vergessener Schlüssel könne daher erst dann die rechtlichen Anforderungen an einen falschen Schlüssel i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllen, wenn er wieder in das Bewusstsein des Berechtigten rücke und von diesem sodann ausdrücklich oder durch konkludentes Verhalten oder – vergleichbar mit einem abhanden gekommenen Schlüssel – zumindest subjektiv als endgültig verloren betrachtet und so seiner Bestimmung zur ordnungsgemäßen Öffnung der Haus- bzw. Wohnungstür entzogen werde.

Gemessen hieran war der Schlüssel, mit dem sich der Angeklagte Zutritt zu der Wohnung verschaffte, nach Auffassung des BGH nicht falsch im Sinne von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Nach den Feststellungen hätten die früheren Schwiegereltern der späteren Lebensgefährtin des Angeklagten den Schlüssel überlassen und ihn später vergessen. Der unterbliebenen Rückforderung des Schlüssels nach der Trennung des Sohnes der Tatopfer von der Lebensgefährtin des Angeklagten könne daher – anders als in den Fällen einer Vertragsbeendigung mit einer Rückgabeverpflichtung der überlassenen Schlüssel – kein konkludenter Erklärungswert mit Blick auf eine Entwidmung des einmal überlassenen Schlüssels beigemessen werden.

III. Bedeutung für die Praxis

1. Der BGH hat den Schuldspruch des landgerichtlichen Urteils auf Diebstahl „umgestellt“. Er hat ausgeschlossen, dass zur Frage der Nichtrückforderung des Schlüssels weitere Feststellungen getroffen werden können. Auch § 265 StPO stand nach Auffassung des BGH nicht entgegen, da er außerdem ausgeschlossen hat, dass sich der geständige Angeklagte anders als geschehen verteidigt hätte. Der Rechtsfolgenausspruch ist dann allerdings aufgehoben worden.

2. In vergleichbaren Fällen kommt es darauf an, die Umstände des Einzelfalls durch Befragung des Berechtigten in der Hauptverhandlung genau aufzuklären, um auf der ermittelten Tatsachengrundlage dann entscheiden zu können, ob der Berechtigte den Schlüssel nur vergessen hatte, insbesondere vergessen hatte, ihn zurückzufordern, oder ob er bewusst den Schlüssel nicht zurückverlangt hatte. Im letzteren Fall wird man dann zur Entwidmung kommen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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