Die Kommunikation über EncroChat ist in der letzten Zeit in die Diskussion geraten. Dabei geht es vornehmlich um die Verwertbarkeit der Informationen aus EncroChat im Strafverfahren. Dazu liegen auch erste OLG-Entscheidungen vor, die die nachfolgenden Ausführungen vorstellen und bewerten.
I.Einführung/Vorangestelltes
Zum Thema EncroChat braucht man heutzutage in Fachkreisen nicht mehr viel zu sagen. Die Auswertungen von nicht abhörbar geglaubten Chat-Verläufen führen zu unzähligen Ermittlungsverfahren, die die Dimensionen an erlangten Chat-Informationen nach bisher gekannten Maßstäben durchbrechen. Die Frage, um die Justiz und Verteidigung kämpfen, ist maßgeblich für den Ausgang aller Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Tatvorwürfen, die einzig auf der Auswertung dieser EncroChat-Verläufe beruhen. Nämlich: Ist die Erlangung der Chat-Verläufe und die Auswertung der Informationen rechtmäßig oder unterliegen die Informationen aufgrund der Unrechtmäßigkeit ihrer Erlangung und von Verstößen gegen höherrangiges (Verfahrens-)Recht einem Verwertungsverbot?
Dabei stehen sich zwei Interessenlagen gegenüber: Der Beschuldigte und seine Verteidigung greifen in der frühen Phase der Ermittlungen – insbesondere bei Untersuchungshaft – die künftige Verwertbarkeit an und kommen bei ihren Recherchen dem chronologischen Verlauf der EncroChat-Affäre immer näher. Die Justiz, interessiert an einer Strafverfolgung, versucht die Frage der Verwertbarkeit für sich zu entscheiden. Dieses Spannungsverhältnis verdeutlichen auch die Beschlüsse des OLG Bremen bzw. des OLG Hamburg.
II.OLG Hamburg 1 Ws 2/21 und OLG Bremen 1 Ws 166/20
Nach dem OLG Bremen (vgl. Beschl. v. 18.12.2020 – 1 Ws 166/20) hat sich auch das OLG Hamburg zu der Verwertbarkeit der EncroChats im Rahmen der weiteren Beschwerde gegen einen Haftbefehl geäußert (vgl. Beschl. v. 29.1.2021 – 1 Ws 2/21). Auch hier ging voraus, dass sich der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 StPO), der zu dem erlassenen Haftbefehl führte, aus der Auswertung der dem Beschuldigten zugeordneten Kommunikation, die über das verschlüsselte Nachrichtensystem EncroChat geführt worden sein soll, ergeben sollte. Der Beschuldigte hatte gegen die Beschwerdeentscheidung des LG im Wesentlichen eingewandt, die Kommunikationsdaten seien nicht verwertbar, weil sie auf einer rechtswidrigen Europäischen Ermittlungsanordnung beruhen würden. Die Grundlage für eine Europäische Ermittlungsanordnung sei aufgrund der unspezifischen Ermittlungen gegen nicht konkretisierte Verdächtige nicht gegeben. Die Maßnahme habe sich am Maßstab inländischen Rechts zu messen, sodass es bereits an einem richterlichen Beschluss für die mit der Europäischen Ermittlungsanordnung begehrten Maßnahmen fehle. Zudem fehle es an dem erforderlichen Anfangsverdacht einer Katalogtat.
Das OLG Hamburg befasst sich in seinem Beschluss mit den Fragen, ob die Erlangung und die Auswertung des Nachrichtensystems rechtmäßig sei und ob bereits im Rahmen der Haftfrage ein Verwertungsverbot zu berücksichtigen ist.
Hierzu hatte sich bereits das OLG Bremen in seinem Beschluss vom 18.12.2020 (1 Ws 166/20) positioniert und nach gegenwärtiger Auffassung die Verwertbarkeit bejaht. Nach seiner Ansicht hat – nach den bis zum 18.12.2020 dem OLG Bremen vorliegenden Informationen – der Datenaustausch „offenbar spontan stattgefunden“, und zwar im Rahmen des internationalen polizeilichen Nachrichtenaustauschs. Die Verwendung der so übermittelten Daten regele § 92b IRG. Danach bedarf es zu ihrer Verwendung als Beweismittel in einem Strafverfahren der Zustimmung des übermittelnden Staates. Diese habe die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main eingeholt. Gem. § 77h IRG hätten diese Daten auch unter der datenschutzrechtlichen Perspektive im deutschen Verfahren Verwendung finden dürfen. Aus dem „einschlägigen Rechtshilferecht“ ergäbe sich mithin kein Verbot, die über EncroChat ausgetauschte Kommunikation im Verfahren zu verwerten. Es handele sich um eine Überwachungsmaßnahme auf deutschem Hoheitsgebiet, die von Frankreich aus durchgeführt worden ist. Angeordnet bzw. erlaubt worden sei sie durch die französischen Gerichte nach französischem Recht und „ggf. im Rahmen des Mitteilungsverfahrens gem. Art. 31 Abs. 2 RL-EEA durch das AG Stuttgart nach deutschem Verfahrensrecht“. Das AG hatte sodann innerhalb der nicht verlängerbaren Frist von 96 Stunden zu entscheiden. Binnen dieser Frist hätten die Behörden der Erhebung der erlangten Daten nicht widersprochen. Das OLG Bremen ist davon ausgegangen, dass selbst wenn die Entscheidung des AG nach diesem eingeschränkten Bewertungsmaßstab fehlerhaft sei oder gar ganz fehlen sollte, sich nach vorläufiger Bewertung kein Beweisverwertungsverbot ergäbe.
Das OLG Hamburg kommt nun in Erweiterung des Beschlusses des OLG Bremen zu dem – nicht überraschenden – Entschluss, dass die über das verschlüsselte Kommunikationssystem EncroChat gewonnenen Inhalte nach derzeitigem Sachstand für die Beweisführung verwertbar sein sollen (Beschl. v. 29.1.2021 – 1 Ws 2/21). Die Verwendung der Nachrichten gegen den Beschuldigten stelle zwar einen Grundrechtseingriff in Art. 10 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, dar, der einer gesetzlichen Grundlage bedürfe (vgl. BVerfG, Urt. v. 3.3.2004 – 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 375). Diese befinde sich aber in § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO. Nach § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO dürfen durch Maßnahmen nach § 100b StPO (Online-Durchsuchung) erlangte und verwertbare personenbezogene Daten in anderen Strafverfahren als denjenigen, für die sie erhoben wurden, ohne Einwilligung der insoweit überwachten Personen nur zur Aufklärung einer Straftat, aufgrund derer Maßnahmen nach § 100b StPO oder § 100c StPO angeordnet werden könnten, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Die Voraussetzungen der Norm lägen vor.
Im Einzelnen:
Die primär für den Datenaustausch zwischen verschiedenen innerstaatlichen Strafverfahren konzipierte Vorschrift des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO gelte auch als Rechtsgrundlage für den grenzüberschreitenden Datenverkehr. Die Norm gestatte auch die Verwendung von Informationen aus ausländischen Strafverfahren. Ihr Regelungsbereich betreffe die Verwendung und Verwertung von Zufallsfunden aus anderen Strafverfahren. In Bezug auf grenzüberschreitenden Informationsaustausch sei insoweit anerkannt, dass sich Fragen der Verwendung und Verwertung nach dem Recht des ersuchenden Staates richten (BGH, Beschl. v. 21.12.2012 – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32; Rn 21), also desjenigen Staates, der das Strafverfahren führe und hierbei die aus dem ausländischen Verfahren stammenden Informationen verwenden wolle. Dementsprechend seien nationale Vorschriften – hier in Gestalt des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO – auch darauf ausgerichtet, grenzüberschreitende Sachverhalte zu erfassen. Anhaltspunkte dafür, dass dies im Hinblick auf § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO nicht der Fall sein sollte, bestünden nicht. Demzufolge sei die Norm dahingehend auszulegen, dass sie auch Daten erfasse, die in ausländischen Strafverfahren durch Maßnahmen erhoben wurden, die Maßnahmen nach § 100b StPO entsprechen.
Bei der Prüfung der Verdachtslage seien auch diejenigen Informationen einzustellen, um deren Verwendung es im Rahmen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO geht (vgl. BGH, Urt. v. 16.6.1983 – 2 StR 837/82, BGHSt 32, 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 479 Rn 3; KK-StPO/Bruns, 8. Aufl. 2020, § 100a Rn 54; offen gelassen von BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32 Rn 46). Der Sinn der aus der Norm folgenden Verwendungsbeschränkung läge nicht darin, einen Datentransfer nur dann zuzulassen, wenn auch ohne den Zufallsfund in dem Ausgangsverfahren das Zweitverfahren mit den entsprechenden Eingriffen (aufgrund der Verdachtslage ohne den Zufallsfund) hätte geführt werden können. Andernfalls wären auch auf schwerste Straftaten hindeutende Zufallsfunde für sich alleine nicht geeignet, eine Verfolgung auszulösen. Ein solches Ergebnis widerspräche dem in § 108 Abs. 1 S. 2 StPO zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, wonach ein Zufallsfund für sich genommen Anlass für die Einleitung eines Strafverfahrens sein kann und müsse. Hiernach stände die Anwendung des § 100e Abs. 6 StPO nicht unter der Voraussetzung eines hypothetischen Ersatzeingriffes in dem Sinne, dass die Anordnung der Überwachungsmaßnahmen seinerzeit ebenso hätte in dem Zweitverfahren erfolgen können. Die Norm regele lediglich eine Begrenzung der Verwendung auf die Aufklärung qualifizierter Taten. Letztlich zeige dies bereits der Wortlaut auf, der andernfalls voraussetzen müsste, dass die erlangten Daten aus einer Maßnahme stammen, die zur Aufklärung der anderen Tat „hätte angeordnet werden können“.
Die hypothetisch im Rahmen des § 100b Abs. 3 StPO zu prüfende Maßnahme richtet sich nach Auffassung des OLG gegen den Beschuldigten. Soweit eine Schadsoftware auf die Mobiltelefone des Beschuldigten aufgespielt worden sei, wäre diese gemäß § 100b Abs. 3 S. 1 StPO zulässig gewesen. Soweit die Chat-Nachrichten durch Umleitung der Datenströme aus dem Server gewonnen wurden, wäre dies in einem Verfahren gegen den Beschuldigten gemäß § 100b Abs. 3 S. 2 StPO zulässig gewesen, da der Beschuldigte das informationstechnische System der Betreiber von EncroChat nutzte und ein Zugriff auf die Mobiltelefone des Beschuldigten allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts geführt hätte.
Das OLG Hamburg (a.a.O.) geht weiter davon aus, dass bei der grenzüberschreitenden Übernahme von Daten aus anderen Verfahren im Hinblick auf Verwertungsverbote jedenfalls im Ansatz die gleichen Regeln gelten wie bei rein innerstaatlichen Vorgängen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.12.2012 – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32; Beschl. v. 9.4.2014 – 1 StR 39/14, NStZ 2014, 608; Radtke, NStZ 2017, 109). Dem Strafverfahrensrecht sei hierbei ein allgemein geltender Grundsatz fremd, demzufolge jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehen würde. Vielmehr sei die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.7.2008 – 2 BvR 784/08, NJW 2008, 3053; BGH, Beschl. v. 27.2.1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 f.; Urt. v. 11.11.1998 – 3 StR 181/98, BGHSt 44, 243, 249; Urt. v. 18.4.2007– 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 289 f.; vgl. auch KK-StPO/Greven, a.a.O., vor § 94 Rn 10). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet sei, schränke die Annahme eines Verwertungsverbotes eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Das Rechtsstaatsprinzip gestatte und verlange die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.7.1972 – 2 BvL 7/71, BVerfGE 33, 367, 383; Beschl. v. 20.10.1977 – 2 BvR 631/77, BVerfGE 46, 214, 222; Beschl. v. 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248, 272). Ein Beweisverwertungsverbot stelle damit eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGH, Urt. v. 21.7.1994 – 1 StR 83/94, BGHSt 40, 211, 217; Urt. v. 11.11.1998 – 3 StR 181/98, BGHSt 44, 243, 249; Urt. v. 18.4.2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 290).
Jedenfalls soweit eine gerichtliche Entscheidung des anderen Staates von der Rechtmäßigkeit der Datenerhebung ausgeht, dürfen die deutschen Behörden dies grundsätzlich nicht in Frage stellen, da eine hier vorgenommene Überprüfung und Korrektur der auswärtigen Entscheidung die Souveränität des anderen Staates missachten würde bzw. im innereuropäischen Bereich dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 AEUV) zuwiderliefe (BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32 Rn 33 ff.).
Rechtsfehler im Hinblick auf den Datentransfer können sich vornehmlich aus der Missachtung der einschlägigen Normen des Rechtshilfeverkehrs ergeben. Diesen komme grundsätzlich aber nur dann die potentielle Eignung zu, ein Verwertungsverbot zu begründen, wenn sie zumindest als Rechtsreflex auch die Interessen des Beschuldigten schützen sollen (vgl. BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32). Auf der Basis der derzeit bekannten Tatsachen sei davon auszugehen, dass die Datenerhebung in Frankreich den dortigen Vorschriften entsprach und damit rechtmäßig war. Ihr lagen mehrere Entscheidungen französischer Gerichte zugrunde, u.a. aus Dezember 2018 und vom 30.1.2020 (Gericht in Lille). Anhaltspunkte dafür, dass die betreffenden Entscheidungen im Rechtsmittelverfahren korrigiert worden sein könnten, lägen – so das OLG – nicht vor und seien auch vom Beschuldigten nicht vorgetragen.
Bei der entsprechenden Prüfung sei zu berücksichtigen, dass jedenfalls im innereuropäischen Rechtshilfeverkehr der Vertrauensgrundsatz gilt. Im Regelfall sei die Rechtsstaatlichkeit ersuchender Staaten nicht in Frage zu stellen. Der das europäische Recht prägende Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhe auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Grundrechtecharta anerkannten Grundrechte zu bieten (EuGH, Urt. v. 5.4.2016 – C404/15 und C-659/15 PPU). Grundsätzlich sei deswegen ohne nähere Untersuchung davon auszugehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Bei der Prüfung konkreter Anhaltspunkte für Verstöße gegen Kerngewährleistungen des Rechtsstaatsprinzips habe man – so das OLG – bedacht, dass bei der Durchsuchung von Datenträgern bzw. größerer Datenmengen aufgrund des das Rechtsstaatsprinzip essentiell prägenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen des Vertretbaren unbedingt dafür Sorge zu tragen sei, dass kein überschießender Zugriff auf unbedeutende Informationen erfolge. Von einer solchen Fallgestaltung ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht auszugehen. Auf Basis der bekannten Tatsachen erscheint der Umfang der französischen Ermittlungen vielmehr plausibel und erforderlich.
Indiziell wurde die Annahme rechtsstaatskonformen Vorgehens durch eine Bewertung des Sachverhalts nach deutschem Strafverfahrensrecht gestützt: Die in Frankreich durchgeführten Maßnahmen hätten bei Vorliegen eines entsprechenden Inlandssachverhalts auch in Deutschland nach §§ 100a, 100b StPO angeordnet werden können. Der sowohl nach § 100a Abs. 1 Nr. 1 StPO als auch nach § 100b Abs. 1 Nr. 1 StPO erforderliche auf bestimmten Tatsachen beruhende Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in § 100a Abs. 2 StPO bzw. § 100b Abs. 2 StPO bezeichnete schwere Straftat begangen hat, sei bereits bei der ersten Ermittlungsmaßnahme nach § 100b StPO, der Kopie der Serverdaten im Dezember 2018, gegeben gewesen.
Hiervon unabhängig würden nach Auffassung des OLG Hamburg die Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot auch dann nicht vorliegen, wenn das Vorgehen der französischen Behörden teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidrig begriffen werden würde. Denn im Kern sei angesichts der bekannten Fakten davon auszugehen, dass der Zugriff auf die Daten von EncroChat grundsätzlich geboten und damit rechtmäßig gewesen sei. Das konkrete Vorgehen könnte allenfalls insoweit in Frage gestellt werden, als an gewisse Eingrenzungen der Datenerhebung – etwa durch eine möglichst frühzeitige Ausrichtung auf schwere Straftaten unter Ausklammerung der übrigen Kommunikation – zu denken gewesen wäre. Sollte es bei diesen oder anderen Nuancen des Vorgehens der französischen Ermittlungsbehörden zu Rechtsverstößen gekommen sein, könnten diese aber jedenfalls im Rahmen der den vorliegenden Fall betreffenden Abwägung nicht zu einem Verwertungsverbot führen. Denn bei den dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten handele es sich gerade um solche, die besonders schwer wiegen und überragend gewichtige Rechtsgüter gefährdeten bzw. geschädigt haben. Welche Schranken oder Grenzen auch immer hätten greifen müssen: Jedenfalls hätten Straftaten wie diejenigen, die der Beschuldigte hochwahrscheinlich begangen hat, zielgerichtet erforscht werden müssen.
Schließlich liegen nach Auffassung des OLG Rechtsverstöße bei der Übertragung der Informationen aus dem französischen Verfahren in das hiesige Strafverfahren nicht vor. Soweit die Daten bereits im Vorfeld der Europäischen Ermittlungsanordnung an das BKA übermittelt worden seien, handele es sich um einen spontanen Austausch von Informationen und Erkenntnissen i.S.d. Art. 7 Abs. 1 S. 1 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18.12.2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (RBDatA). Hiernach stellen die zuständigen Strafverfolgungsbehörden anderer Mitgliedstaaten unaufgefordert Informationen und Erkenntnisse in Fällen zur Verfügung, in denen konkrete Gründe für die Annahme bestehen, dass diese Informationen und Erkenntnisse dazu beitragen können, Straftaten nach Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI (RBEuHb) aufzudecken, zu verhüten oder aufzuklären.
III.Bewertung der Entscheidungen
Die Fronten sind klar. Während die Verteidigung mit nachvollziehbaren Argumenten die Unrechtmäßigkeit der Erlangung der EncroChat-Daten sieht und der Verwertbarkeit der erlangten Informationen widerspricht, positionieren sich als erste die OLG Bremen und Hamburg und gehen von der Verwertbarkeit aus. Das kommt natürlich nicht überraschend. Überraschend dürfte allerdings die Aussage des OLG Hamburg sein: „Hiervon unabhängig würden die Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot auch dann nicht vorliegen, wenn das Vorgehen der französischen Behörden teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidrig begriffen werden würde.“ Man erkennt hierbei deutlich, zu welchen Schritten man bereit ist, um die Informationen verwerten zu können. Selbst eine „nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidrig“ erlangte Information will man verwerten.
Die Verteidigung ist daher nun zur Wahrung der Verfahrensrechte von Beschuldigten mehr als jemals zuvor in den letzten Jahren oder Jahrzehnten gefordert. Der Verwertung der Erkenntnisse ist zu widersprechen, und zwar schon im Ermittlungsverfahren.
IV.Update/Nachtrag: OLG Rostock
Nach Fertigstellung des Beitrags erging am 23.3.2021 ein Beschluss des OLG Rostock. Wieder ging es im Rahmen einer Haftprüfung um die Frage der Verwertbarkeit. Wieder wurde durch die Verteidigung ein umfangreicher, substantiierter Antrag gestellt. Und nun kam es wie vorhergesagt: Die Rechtsauffassung der norddeutschen OLG über die Verwertbarkeit ist in Stein gemeißelt.
Haben sich die OLG Bremen und Hamburg noch Mühe gegeben, sich gedanklich mit dem Thema auseinanderzusetzen, so scheint nun nur noch ein kognitiver Copy-and-paste-Modus angeworfen zu werden. Umfasste die ablehnende Begründung des OLG Hamburg noch 26 Seiten, auf denen sich u.a. mit dem ordre public auseinandergesetzt und viele Möglichkeiten der (Nicht)-Verwertung geprüfte wurden, so hat sich das OLG Rostock zur selben Problematik in einem ganz anderen Verfahren mit drei (!!!) Seiten begnügt, wobei noch eine Seite dem Rubrum zufällt. Dennoch enthalten diese zwei übrig gebliebenen Seiten zwei bemerkenswerte Aussagen:
„Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Beschlussgründe des OLG Bremen (a.a.O.) und des Hanseatischen OLG Hamburg vom 29.1.2021 – 1 Ws 2/21 – Bezug genommen. Den dort vertretenen Auffassungen schließt sich der Senat an.“
Soviel zur gedanklichen Auseinandersetzung.
Die zweite Aussage ist jedoch wesentlich bedenklicher:
„Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 StPO) folgt aus den bislang gewonnen, verwertbaren Beweismitteln. Schon die Verwendung eines Krypto-Handys der Fa. EncroChat deutet auf ein konspiratives Verhalten zur Begehung und Verdeckung von Straftaten hin“ (OLG Bremen, Beschl. v. 18.12.2020 – 1 Ws 166/20, juris). Allein der Besitz eines Krypto-Handys erfüllt also den für die Untersuchungshaft benötigten dringenden Tatverdacht.
Es bestehen überhaupt keine Zweifel mehr, dass die letzten Worte in den Verfahren um EncroChat in Karlsruhe und Luxemburg gesprochen werden.
RA/FAStR Harald Stehr, Göppingen, und RA/FAStR Maximilian Rakow, Rostock