Zur Entscheidung über den Pflichtverteidigerwechsel ist nach Anklageerhebung ausschließlich der Vorsitzende des erkennenden Gerichts zuständig; nicht erledigte Beschwerden gegen insoweit ergangene Beschlüsse des Ermittlungsrichters sind ihm deshalb zur weiteren Entscheidung vorzulegen. (Leitsatz des Gerichts)
BGH, Beschl. v. 12.11.2020 – StB 34/20
I. Sachverhalt
Der Angeschuldigte befindet sich in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des BGH. Bei diesem hatte er beantragt, die Bestellung seines Pflichtverteidigers wegen eines endgültig zerrütteten Vertrauensverhältnisses aufzuheben und ihm stattdessen seinen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen. Der Ermittlungsrichter beim BGH hat den Pflichtverteidigerwechsel abgelehnt. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeschuldigte mit der sofortigen Beschwerde.
Zwischenzeitlich hat der Generalbundesanwalt Anklage zum OLG Stuttgart erhoben.
II. Entscheidung
Der BGH führt aus: Der Senat sei zu einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten nicht mehr berufen. Sie sei in einen (erneuten) Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel umzudeuten und dem Vorsitzenden des nunmehr mit der Sache befassten Strafsenats des OLG Stuttgart vorzulegen.
Voraussetzung für die Beschwerdezuständigkeit des BGH gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters des BGH über Pflichtverteidigerbestellungen sei dessen fortbestehende Zuständigkeit. Mit Erhebung der Anklage sei die ausschließliche Befugnis für Bestellungen von Pflichtverteidigern jedoch gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO auf den Vorsitzenden des mit dem Erkenntnisverfahren befassten Gerichts übergegangen. Die Vorschrift knüpfe an § 141 Abs. 4 StPO a.F. an und umfasse – wie bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128 ff.) anerkannt war – Entscheidungen über einen Pflichtverteidigerwechsel (BGH, Beschl. v. 26.2.2020 – StB 4/20, v. 5.3.2020 – StB 6/20, NJW 2020, 1534). Für Beschwerden gegen insoweit ergangene Beschlüsse des Ermittlungsrichters habe dies zur Folge, dass sie nur bis zur Anklageerhebung in die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts fallen. Danach entfalle dessen Entscheidungskompetenz und die Sache sei dem erkennenden Gericht vorzulegen (vgl. zur alten Rechtslage OLG Celle NStZ-RR 2010, 381; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 141 Rn 6a; zur neuen Rechtslage Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 142 Rn 18; vgl. auch OLG Stuttgart NStZ-RR 2008, 21 zum Zuständigkeitswechsel nach Vorlage an die Berufungskammer).
§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO stehe – so der BGH – im Einklang mit dem u.a. in § 162 Abs. 3 Satz 1 StPO und § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO festgelegten Grundsatz, dass die Erhebung der öffentlichen Klage einen Verfahrenseinschnitt bilde, mit dem die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters ende und auf das erkennende Gericht übergehe (vgl. generell BGHSt 53, 1 Rn 11; OLG Hamburg, Beschl. v. 11.1.2011 – 2 Ws 184/10). Eine noch nicht erledigte Beschwerde gegen einen Beschluss des Ermittlungsrichters werde deshalb nach Anklageerhebung regelmäßig umgedeutet in einen (neuen) Antrag auf Erlass der begehrten oder Aufhebung der beanstandeten Maßnahme und sei als solche dem Gericht der Hauptsache vorzulegen. Eine Haftbeschwerde etwa verwandele sich zu einem Antrag auf Haftprüfung vor dem Tatgericht (statt aller OLG Hamm, Beschl. v. 19.3.2013 – III-2 Ws 93/13). Beschwerden über Haftbeschränkungen gemäß § 119 Abs. 1 StPO und gegen nicht in Vollzug gesetzte Haftbefehle seien in Anträge auf Aufhebung der Entscheidungen umzudeuten (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2014, 217, 218 m.w.N.). Die Anordnung, das Unterbleiben oder im Fall der Erledigung die nachträgliche Kontrolle (§ 101 Abs. 7 Satz 4 StPO) von gerichtlichen Ermittlungsmaßnahmen obliegen mit Anklageerhebung ebenfalls uneingeschränkt dem erkennenden Spruchkörper. Seien insoweit nicht erledigte Rechtsmittel anhängig, entscheide über diese das Tat- und nicht das Beschwerdegericht (BGHSt 27, 253; 53, 1).
Es sei auch sachdienlich, dass nach Anklageerhebung allein der Vorsitzende des erkennenden Gerichts über die Pflichtverteidigerbestellung bestimme. Ihm obliege nach § 213 Abs. 1 StPO die Terminierung der Hauptverhandlung. Dementsprechend könne nur er gewährleisten, dass ein Verteidiger ausgewählt wird, der an den geplanten Verhandlungstagen zur Verfügung stehe (§ 142 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO). Ebenso könne es der Vorsitzende des Tatgerichts am besten beurteilen, ob zur zügigen Durchführung des Verfahrens ein zusätzlicher Verteidiger erforderlich ist (§ 144 StPO). Bei laufender Hauptverhandlung könne er sich einen persönlichen Eindruck über das Fortbestehen des Vertrauensverhältnisses zwischen Verteidiger und Angeklagtem verschaffen (§ 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO).
Hinzu komme, dass eine parallele Entscheidungsbefugnis von Beschwerde- und Tatgericht über die Bestellung sowie Auswechselung von Pflichtverteidigern die Gefahr einander widersprechender Beschlüsse in sich bergen würde.
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung bewegt sich konsequent auf dem Boden der Rechtsprechung des BGH und der OLG in dieser Frage zum früheren Recht. Die Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 sollte an den insoweit bestehenden Grundsätzen auch nichts ändern. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung betont, es gehe bei der Überführung des Regelungsinhalts von § 141 Abs. 4 StPO a.F. in § 142 Abs. 3 und 4 StPO n.F. im Wesentlichen um eine „Verbesserung der Übersichtlichkeit“ (BT-Drucks 19/13829, S. 40). Die Entscheidung hat natürlich nicht nur für den Pflichtverteidigerwechsel Bedeutung, sondern für alle nicht vor einem Zuständigkeitsübergang erledigten Beschwerden.
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg