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Entpflichtung des Pflichtverteidigers wegen Störung des Vertrauensverhältnisses

1. Wird ein Antrag auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers auf ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis gestützt, sind die Gründe hierfür substantiiert darzulegen.

2. Bloße Differenzen über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen eine Entpflichtung nicht. Der Pflichtverteidiger ist gegenüber dem Angeklagten nicht weisungsgebunden. (Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 15.6.2021 – StB 24/21

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.6.2021 – 3 Ws 200/21

I. Sachverhalte

1. In dem vom BGH entschiedenen Beschwerdeverfahren begehrte der Angeklagte, der sich vor dem Staatsschutzsenat des OLG verantworten muss, die Auswechslung seiner Pflichtverteidiger. Einer der Verteidiger (der indes erst nach Anklageerhebung beigeordnet worden war) habe die Anklageschrift nicht mit ihm besprochen und ihn nur zwei Mal anlässlich von Hauptverhandlungsterminen in der Haftzelle des Gerichts aufgesucht. Der zweite Verteidiger wiederum habe wiederholt der Entlassung von Zeugen zugestimmt, ohne ihnen zuvor von ihm, dem Angeklagten, gewünschte Fragen gestellt zu haben. Auch habe dieser Verteidiger ihm den Entwurf einer Einlassung übergeben, die er, der Angeklagte, aufgrund enthaltener Unrichtigkeiten nicht unterzeichnen könne. Das Vertrauensverhältnis zu beiden Verteidigern sei daher endgültig zerstört.

Der Vorsitzende des Senats lehnte den Antrag ab. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hatte keinen Erfolg.

2. Das OLG Karlsruhe hatte ebenfalls über einen Antrag auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers wegen eines vermeintlich zerstörten Vertrauensverhältnisses zu entscheiden. Die vom AG erstinstanzlich verurteilte Angeklagte hatte dem Pflichtverteidiger nach Berufungseinlegung u.a. vorgeworfen, er habe nicht ausreichend Kontakt zu ihr gehalten und in der Hauptverhandlung überdies nicht die von ihr für notwendig erachteten prozessrelevanten Anträge gestellt. Die Angeklagte verfolgte deshalb mit laut Senat „unzähligen“ Anträgen, Beschwerden und sonstigen Eingaben die Entbindung des Pflichtverteidigers. Auch stellte sie gegen ihn wegen diverser angeblicher Straftaten Strafanzeige. Diese wurde von der zuständigen StA nach § 152 Abs. 2 StPO behandelt.

In einer Stellungnahme erklärte der Verteidiger, er erlaube sich, von der Angeklagten gewünschte Anträge, denen er keinerlei Relevanz oder Erfolgsaussicht beimesse, nicht aktiv weiterzuverfolgen. Gleichwohl sei er bereit, einer Entpflichtung zuzustimmen; er beantrage sie sogar. Der Vorsitzende der Berufungskammer lehnte den Entpflichtungsantrag jedoch ab.

Gegen diese Entscheidung erhob die Angeklagte sofortige Beschwerde. Diese hat das OLG als unbegründet verworfen.

II. Entscheidungen

1. Der BGH weist zunächst darauf hin, dass die Gründe für einen behaupteten Vertrauensverlust substantiiert darzulegen seien. Sodann führt der Senat aus, dass aus der insoweit relevanten Sicht eines verständigen Angeklagten keine Störung des Vertrauensverhältnisses vorliege, die hinsichtlich der Kontakthaltung des Pflichtverteidigers zum Angeklagten unverzichtbaren Mindeststandards seien gewahrt. Der erst nach der Erhebung der Anklage beigeordnete Verteidiger stehe in intensivem Austausch mit dem Mitverteidiger, einem Bürokollegen. Auch sei er während mehrerer Telefonate des Mitverteidigers mit dem Angeklagten zugegen gewesen.

Darüber hinaus begründeten, so der BGH weiter, auch die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Angeklagten und dem zweiten Pflichtverteidiger hinsichtlich der Befragung und Entlassung von Zeugen die Annahme eines endgültigen Vertrauensverlustes nicht. Bloße Differenzen über die Verteidigungsstrategie reichten insoweit nicht aus. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung sachgemäß zu führen. Derartiges sei vorliegend jedoch nicht dargetan. Abgesehen davon habe der Angeklagte ein eigenes Fragerecht, welches er eigenverantwortlich und unabhängig von der Zustimmung des Pflichtverteidigers ausüben könne.

Schlussendlich liege auch keine Pflichtverletzung der beiden Pflichtverteidiger vor. Zwar könne eine solche in der Abgabe einer mit dem Angeklagten nicht abgesprochenen Sachdarstellung gegenüber dem Gericht liegen. Hier habe jedoch der Verteidiger dem Angeklagten seinen Einlassungsentwurf vor dessen Einreichung bei Gericht zur Durchsicht und Unterschrift vorgelegt und damit den Fortgang hinsichtlich dieser schriftlichen Erklärung der Entscheidung des Angeklagten überantwortet. Durch diese Vorgehensweise werde eine Pflichtverletzung gerade vermieden.

2. Das OLG Karlsruhe betont ebenfalls, dass bloße Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und der Angeklagten über die Verteidigungsstrategie eine Entpflichtung grundsätzlich nicht rechtfertigten. Ein Rechtsanwalt, der in eigenverantwortlicher Einschätzung der Sach- und Rechtslage von ihm als aussichtslos oder sachfremd erachtete Anträge und Rechtsbehelfe nicht stellt bzw. einlegt und entsprechende Eingaben der Angeklagten nicht unterstützt, werde damit seinen Pflichten als bestellter Verteidiger gerecht. Er sei Beistand, nicht Vertreter der Angeklagten und an deren Weisungen nicht gebunden.

Zum Vorwurf der Angeklagten, der Verteidiger habe nicht hinreichend Kontakt gehalten, erklärt der Senat, es gehöre nicht zu dessen Aufgaben, ständig für eine Beschuldigte/Angeklagte telefonisch erreichbar zu sein. Der Pflichtverteidiger entscheide vielmehr unabhängig und nach pflichtgemäßem Ermessen, in welchem Umfang und auf welche Weise er Kontakt zur Mandantschaft hält.

Darüber hinaus sei eine Entpflichtung auch nicht aufgrund der von der Angeklagten gegen ihren Verteidiger gestellten Strafanzeige geboten. Die in der Anzeige aufgestellten Behauptungen seien gänzlich unsubstantiiert. Es könne auch nicht in der Hand der Angeklagten liegen, durch Strafanzeigen und Verunglimpfungen einen objektiv nicht gerechtfertigten Verteidigerwechsel zu erzwingen, denn sonst könnte sie ohne sachlichen Grund ein Verfahren nahezu beliebig verzögern und blockieren.

Abschließend merkt der Senat noch an, dass auch der Umstand, dass der Verteidiger seine Entpflichtung selbst beantragt hat, nicht den Schluss auf eine endgültige Zerstörung der Vertrauensbasis zulasse.

III. Bedeutung für die Praxis

Sowohl der BGH als auch das OLG Karlsruhe stellen an einen Entpflichtungsantrag wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses die Anforderung, die Gründe substantiiert darzulegen. Dies entspricht der h.M. in der Rechtsprechung. Pauschale Vorwürfe sind unzureichend.

Nicht neu ist auch, dass bloße Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die richtige Verteidigungsstrategie eine Entpflichtung noch nicht rechtfertigen. Der Pflichtverteidiger ist nicht gehalten, sich seine Verteidigungstaktik von seinem Mandanten diktieren zu lassen; er ist Beistand und nicht weisungsgebundener Vertreter des Angeklagten. Dies berechtigt ihn, wie sowohl der BGH als auch das OLG zutreffend hervorheben, insbesondere dazu, unabhängig von anderslautenden Wünschen des Mandanten offensichtlich sachfremde Fragen oder Anträge nicht zu stellen. Auch schuldet der Pflichtverteidiger seinem Mandanten, solange die erforderlichen Standards für eine ordnungsgemäße und sachgerechte Verteidigung eingehalten sind, keine „Vorzugsbehandlung“, etwa durch eine jederzeitige Erreichbarkeit.

RiLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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