Beitrag

Einziehung des Wertes von Taterträgen im Jugendstrafrecht

Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c S. 1 StGB) steht auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht nicht im Ermessen des Tatgerichts. (Leitsatz des Gerichts)

BGH GrS, Beschl. v. 20.1.2021 – GSSt 2/20

I. Sachverhalt

Da der 1. Senat des BGH die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen im Jugendstrafverfahren ins Ermessen des Tatgerichts stellen wollte, der 2. und 5. Senat aber von einer zwingenden Anordnung ausgingen (BGH NStZ 2019, 221, 222; NStZ-RR 2018, 240), hatte der 1. Senat dem Großen Senat diese Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt (StraFo 2020, 425). Der hat nun wie im Leitsatz ersichtlich geantwortet.

II. Entscheidung

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die neue Gesetzeslage keiner bewussten gesetzgeberischen Entscheidung entsprungen ist, seien nicht vorhanden. Die neuen Bestimmungen würden auch keine derart gewichtigen jugendspezifischen Probleme aufwerfen, dass eine sich in den Gesetzesmaterialien widerspiegelnde Diskussion zwingend zu erwarten gewesen wäre, mangels derer von einer planwidrigen Gesetzeslücke ausgegangen werden müsste, die durch richterliche Rechtsfortbildung im Sinne des Vorlegungsbeschlusses gefüllt werden könnte. Die Reform mache im Blick auf hergebrachte Prinzipien des Jugendstrafrechts keine Neubewertung der Rechtslage durch die Rechtsprechung notwendig oder auch nur möglich. Die Neuregelung stehe mit jugendstrafrechtlichen Maximen nicht in einem unverträglichen Spannungsverhältnis. Aus § 2 Abs. 1 JGG ergebe sich kein die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB überlagernder Rechtssatz, der die zwingende Anwendung dieser Einziehungsregelungen mit im Vollstreckungsverfahren nachfolgender Härtefallprüfung ausschließt. Zwar habe die Auslegung des Jugendgerichtsgesetzes dem primären Ziel des Jugendstrafrechts zu folgen, dass sich Jugendliche und Heranwachsende künftig gesetzestreu verhalten und nicht erneut straffällig werden (Spezialprävention, § 2 Abs. 1 S. 1 JGG). Dies rechtfertige es aber nicht, § 2 Abs. 1 JGG als eine Art „Auffang-Unzulässigkeitsklausel“ zu begreifen. Der Gesetzgeber verfolge mit §§ 73 ff. StGB das auch im Jugendstrafrecht legitime Ziel, möglichen Beeinträchtigungen des Vertrauens der Rechtsgemeinschaft in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung zu begegnen, die sich ergeben können, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögenswerte dauerhaft behalten dürften. Dem entspreche die Lage im Zivilrecht. Auch dort würden dem (beschränkt geschäftsfähigen) Minderjährigen bei einer Entreicherung die Folgen der verschärften Haftung des § 819 BGB nicht erspart, wenn und soweit er sich Vorteile durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung verschafft hat und er analog § 828 Abs. 3 BGB die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte. Der Reformgesetzgeber habe die Härtefallprüfung nicht etwa „abgeschafft“. Vielmehr habe er sie aus den bereits genannten Gründen in das Vollstreckungsverfahren verlagert. Das gesetzgeberische Konzept fügt sich ohne wesentliche Brüche in die Systematik des Jugendstrafrechts ein. Es existiere keine jugendstrafrechtliche Maxime des Inhalts, dass Rechtsfolgen durchgängig oder nahezu durchgängig im Zeitpunkt der Urteilsverkündung festzulegen sind. Aus der Unzulässigkeit der Geldstrafe im Jugendstrafrecht könne nicht auf die Unzulässigkeit der (obligatorischen) Wertersatzeinziehung geschlossen werden. Der in § 81 JGG angeordnete Ausschluss der Adhäsion im Verfahren (nur) gegen Jugendliche trete nicht in Spannung mit dem zwingenden Charakter der Einziehungsanordnung.

Sofern spezialpräventive Gründe im Einzelfall gegen die Einziehung des Wertes von Taterträgen sprechen, könne die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung nach der in der Wortfassung an die „Härtefallregelung“ des § 73c StGB a.F. angelehnten Vorschrift des § 459g Abs. 5 S. 1 StPO unterbleiben. Die Vorschrift sei im Jugendstrafverfahren anwendbar (BGH StRR 9/2019, 20 [Deutscher]). Dass im Rahmen von § 459g Abs. 5 StPO Umstände maßgeblich sein können, die bereits im Erkenntnisverfahren vorlagen, widerstreite den Prinzipien des Jugendverfahrens nicht. Durch § 459g Abs. 5 S. 1 StPO sei der Einziehungsbetroffene ebenso wirkungsvoll vor übermäßigen Eingriffen geschützt wie durch § 73c StGB a.F. Dies gelte auch für Jugendliche und Heranwachsende, soweit Jugendstrafrecht Anwendung findet. Bei einer Entreicherung oder sonstigen Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung stelle sich die Neuregelung für den Angeklagten sogar günstiger dar, weil nach § 459g Abs. 5 S. 1 StPO gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Vollstreckung der Einziehungsanordnung zwingend zu unterbleiben hat (BGH NStZ-RR 2019, 22, 23). Dabei ermögliche es die allgemeine Verhältnismäßigkeitsklausel, eine „erdrückende Wirkung“ (vgl. BT-Drucks 18/9525, S. 94) der Einziehungsentscheidung auch jenseits der Entreicherung auf der Vollstreckungsebene zu vermeiden (BGH NStZ-RR 2018, 241). Die durch das Gericht (§ 459g Abs. 5 S. 1 StPO) vorzunehmende Härtefallprüfung sei bei Jugendlichen und Heranwachsenden dem Jugendrichter als Vollstreckungsleiter übertragen (§ 82 Abs. 1 JGG). Im Hinblick darauf, dass die Zielbestimmung des § 2 Abs. 1 JGG auch für das Vollstreckungsverfahren Geltung beansprucht, sei gewährleistet, dass außer dem Umstand der Entreicherung und sonstigen für die Verhältnismäßigkeit maßgeblichen Gesichtspunkten dem Leitprinzip der Erziehung sowie dem Gedanken der Resozialisierung Rechnung getragen wird. Die Möglichkeit der Wiederaufnahme nach § 459g Abs. 5 S. 2 StPO für den Fall, dass nachträglich Umstände bekannt werden oder eingetreten sind, die der Absehensentscheidung den Boden entziehen, mache keine andere Beurteilung notwendig.

Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 S. 1 JGG bietet keine Handhabe, nach § 73c S. 1 StGB obligatorisch ausgestaltete Einziehungsentscheidungen bei Anwendung von Jugendstrafrecht dem Ermessen des Jugendgerichts anheimzugeben. Allerdings betreffe die Norm über ihren Wortlaut hinaus nicht nur Nebenfolgen und Nebenstrafen, sondern auch Maßnahmen im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB und schließe die Einziehung des Wertes von Taterträgen ein. Auch würde ihr Wortlaut, isoliert betrachtet, der vom vorlegenden Senat vertretenen Auffassung nicht zwingend entgegenstehen (BVerfG NStZ-RR 2020, 156, 157). Es entspreche indessen ständiger Rechtsprechung des BGH, dass der Regelungsgehalt von § 8 Abs. 3 S. 1 JGG, wofür auch die amtliche Überschrift streitet, auf die Frage der Kumulation von Rechtsfolgen beschränkt ist. Die Norm gestatte eine Verbindung der dort bezeichneten jugendstrafrechtlichen Sanktionen mit den Maßnahmen, Nebenfolgen und Nebenstrafen des allgemeinen Strafrechts (BGH, Beschl. v. 17.6.2019 – 4 StR 62/19 Rn 11, juris). Ob die genannten Sanktionen im Jugendgerichtsverfahren überhaupt verhängt werden dürfen, werde hingegen nicht von § 8 Abs. 3 S. 1 JGG, sondern von § 6 JGG beantwortet. Danach seien lediglich die dort genannten Nebenfolgen im Jugendstrafrecht ausgeschlossen, nicht jedoch § 73c S. 1 StGB. Die Vorschrift habe aufgrund der Reform der Vermögensabschöpfung keinen Bedeutungswandel im Sinne des Vorlegungsbeschlusses erfahren.

III. Bedeutung für die Praxis

Der Große Senat des BGH hat die für die jugendstrafrechtliche Praxis bedeutsame Rechtsfrage in dem Sinne abschließend geklärt, dass die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen auch im Jugendstrafverfahren obligatorisch ist. Härtefälle, wie sie gerade bei Angeklagten in solchen Verfahren gehäuft auftreten, können ausschließlich im Vollstreckungsverfahren über § 459g Abs. 5 StPO abgefedert werden (Rechtsprechungsübersicht zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zuletzt bei Deutscher, StRR 12/2020, 6). Interessant noch der letzte Satz des Beschlusses: Ob der vom Gesetzgeber beschrittene Weg die zweckmäßigste aller denkbaren Lösungen darstellt, hat der Große Senat nicht zu entscheiden.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…