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Mieterschutz bei Umwandlung in Wohnungseigentum

BGH, Urt. v. 22.6.2022VIII ZR 356/20

I. Der Fall

Die Parteien streiten um die Räumung und Herausgabe von vermietetem Wohnraum. Die Schwester der Beklagten mietete 1985 von der seinerzeitigen Grundstückseigentümerin eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus an. Im Mietvertrag wurde die Beklagte, die die Räumlichkeiten bewohnte als Untermieterin bezeichnet. Die Grundstückseigentümerin übertrug 1990 einen 1/5 Miteigentumsanteil auf B. Die verbliebenen 4/5 gingen im Wege des Erbgangs auf A über. Das Grundstück wurde 1996 in Wohnungseigentum mit insgesamt 11 Einheiten aufgeteilt. 1997 übertrug B seinen 1/5 Miteigentumsanteil auf A. Dieser schloss 2014 einen Mietvertrag mit der Beklagten. Am 10.6.2015 verstarb deren Schwester. Am 17.6.2015 wurde die M.O. GmbH kraft Auflassung vom 26.2.2015 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Diese verkaufte die von der Beklagten innegehaltene Wohnung an die Kläger, die das Mietverhältnis mit Schreiben vom 21.12.2018 wegen Eigenbedarfs kündigten. Die erstinstanzlich erfolgreiche Räumungsklage wurde zweitinstanzlich abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision.

II. Die Entscheidung

Das Rechtsmittel hatte einstweilen Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Zehnjährige Kündigungs­sperrfrist

Allerdings ist dieses zutreffend davon ausgegangen, dass in vorliegendem Fall die zehnjährige Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB i.V.m der Kündigungsschutzklauselverordnung Berlin gilt. Diese ist formell und materiell nicht zu beanstanden. Die Ermächtigung in § 577a Abs. 2 BGB ist hinreichend bestimmt. Sie stellt eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dar. Denn ihr Anwendungsbereich ist eng, auf Eigenbedarf und Verwertungskündigung beschränkt. Auch zeitlich ist sie auf eine maximale Kündigungsfrist von zehn Jahren beschränkt. Von dieser Ermächtigung hat das Land Berlin zulässigen Gebrauch gemacht. Dem steht nicht entgegen, dass dort ganz Berlin zum Gebiet erklärt wird, in dem die ausreichende Versorgung der Bevölkerung zu angemessenen Bedingungen gefährdet ist. Denn die Ermächtigung hat den Landesverordnungsgebern bei der Bestimmung dieser Gebiete einen weiten, der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Beurteilungsspielraum gelassen.

Kündigungsschutzklausel­verordnung Berlin

Die nach der Kündigungsschutzklauselverordnung Berlin geltende, zehnjährige Kündigungssperrfrist ist noch nicht abgelaufen. Denn diese beginnt mit der erstmaligen Veräußerung des zuvor gebildeten Wohnungseigentums an einen Erwerber. Diese lag hier nicht schon mit der Veräußerung des 1/5 Miteigentumsanteils an A vor. Denn dieser war nicht „Erwerber“ gemäß § 577a Abs. 1 BGB. Diese Vorschrift bezweckt nämlich den Schutz des Mieters vor der Gefahr einer Kündigung wegen Eigenbedarfs bzw. angemessener Verwertung, die erst durch die Veräußerung des neu geschaffenen Wohnungseigentums begründet wird. Dies erfordert einen tatsächlichen Wechsel in der Person des Wohnungseigentümers. Denn die Möglichkeit des bisherigen Mitvermieters A, wegen Eigenbedarfs oder zum Zwecke der angemessenen Verwertung zu kündigen, hat sich durch den Hinzuerwerb eines 1/5 Miteigentumsanteils nicht verändert. Diese Gefahr erhöhte sich erst durch den Eigentumserwerb der M.O. GmbH im Jahr 2015. Diese hätte zwar keinen Eigenbedarf geltend machen, aber eine Verwertungskündigung aussprechen können.

Mietvertrag

Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht aber an, die Wohnung sei der Beklagten bereits bei Begründung von Wohnungseigentum 1997 gemäß § 577a Abs. 1 BGB „überlassen“ gewesen. Dies setzt einen Mietvertrag mit dem Vermieter voraus, während die Beklagte zu dieser Zeit nur Untermieterin war. Das Berufungsgericht hat aber nicht geprüft, ob die Beklagte nach dem Tod ihrer Schwester gemäß § 563a Abs. 1 BGB in das Mietverhältnis eingetreten ist. Dann käme der Beklagten der Schutz des § 577a Abs. 1 BGB zugute, da dieser die Wohnung bereits 1985 überlassen war. Dies setzt allerdings einen gemeinsamen Haushalt der Beklagten und ihrer Schwester voraus, was ein gewissermaßen arbeitsteiliges Zusammenwirken bei der Lebensführung erfordert. Hierzu fehlen tragfähige Feststellungen, so dass die Sache an das Berufungsgericht zurückzugeben war.

III. Der Praxistipp

Der BGH geht über den Wortlaut des § 563a BGB hinaus, wenn er als zusätzliche Voraussetzung einen gemeinsamen Haushalt fordert. Hingegen nimmt er im Zusammenhang mit § 577a BGB sowohl die zeitliche Reihenfolge (zuerst Überlassung von Wohnraum, dann Begründung von Wohnungseigentum, schließlich Veräußerung) ernst. Davon kann man auch nicht in analoger Anwendung der Norm abweichen, weil es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt.

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