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Folgen von Betriebsschließungen wegen Corona auf Gewerberaummietverhältnisse

Folgen von Betriebsschließungen wegen Corona auf Gewerberaummietverhältnisse

BGH, Urt. v. 12.1.2022 – XII ZR 8/21

I. Der Fall

Die Mietvertragsparteien streiten um die Zahlung von Miete. Die Beklagte mietete mit Vertrag vom September 2013 Verkaufs- und Lagerräume zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes für Textilien an. Die monatliche Bruttomiete beträgt seit 1.1.2019 7.854 EUR. Aufgrund einer Allgemeinverfügung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt vom 18.3.2020 musste die Mieterin ihr Geschäft bis zum 19.4.2020 schließen. Sie zahlte die Miete für April nicht, wobei sie gegen ihre Zahlungspflicht vom 20.4.–30.4.2020 mit der ihrer Auffassung zufolge überzahlten Miete für die Zeit vom 19.3.–31.3.2020 aufrechnete. Die Klage auf Zahlung der Miete hatte in erster Instanz vollständig, vor dem Berufungsgericht in Höhe von 3.720,09 EUR Erfolg. Hiergegen richten sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revisionen beider Seiten.

II. Die Entscheidung

Beide Rechtsmittel hatten einstweilen Erfolg. Allerdings ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften nicht durch Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen ist. Entgegen bisweilen vertretener Auffassung (s. etwa Jung, BB 2021, 329, 331 f.; Klimesch/Walther, ZMR 2020, 556, 557) stellt diese Vorschrift keine abschließende Sonderregelung dar. Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB will nur die Kündigung wegen Zahlungsrückständen aufgrund der Corona-Krise ausschließen und bestimmt in diesem Zusammenhang, dass die Pflicht zur Mietzahlung grundsätzlich fortbesteht. Damit ist aber nichts über ihre Höhe gesagt. Die Vorschrift will auch nicht weitere Erleichterungen zugunsten des Mieters vereiteln.

Die Schließung des Ladengeschäftes kraft hoheitlicher Allgemeinverfügung stellt aber keinen Mangel der Mietsache dar. Behördliche Nutzungsverbote stellen nur dann einen Sachmangel gemäß §§ 536 ff. BGB dar, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen. Andere gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg bei der Vermietung beeinträchtigen, fallen in den Risikobereich des Mieters. Dies gilt auch angesichts der faktischen Zugangsbeschränkung durch die Allgemeinverfügung. Denn sie steht nicht mit der Lage oder Beschaffenheit des Mietobjekts in Verbindung. Aus denselben Gründen ist die Überlassung der Mietsache auch nicht unmöglich geworden, selbst wenn man von einer Anwendbarkeit der §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB ausgehen wollte. Denn der Klägerin war es nicht unmöglich, die Mietsache zum vereinbarten Zweck zur Verfügung zu stellen.

Es kommt aber eine Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Denn die Erwartung der Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des Vertrages nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder (Natur-)katastrophen ändern, stellen die so genannte große Geschäftsgrundlage dar. Hierfür spricht auch Art. 240 § 7 EGBGB. Die Änderung dieser Rahmenbedingungen fällt nicht alleine in den Risikobereich des Mieters. Allerdings muss zu der Änderung der Geschäftsgrundlage hinzukommen, dass dem Vertragspartner das Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann. Dem wird eine pauschale Betrachtungsweise etwa in Form einer hälftigen Kürzung der Miete nicht gerecht. Vielmehr kommt es darauf an, welche Nachteile der Mieter aufgrund der behördlichen Maßnahmen erleidet. Dabei ist nicht auf den Konzernumsatz, sondern auf das konkrete Mietobjekt abzustellen. Umgekehrt sind Vorteile aufgrund staatlicher Hilfen zu berücksichtigen, allerdings nicht die Gewährleistung von Darlehen, da sie keine endgültige Kompensation darstellen. Die wirtschaftliche Existenz des Mieters muss allerdings nicht gefährdet sein. Dabei hat der Mieter nachzuweisen, dass ihm ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist, wobei er auch darzulegen hat, dass er sich vergeblich um staatliche Hilfen bemüht hat. Anderenfalls muss er sich so stellen lassen, als hätte er staatliche Hilfen erhalten. Umgekehrt muss der Vermieter darlegen und beweisen, dass Verluste innerhalb des maßgeblichen Zeitraums nicht auf der Corona – Krise beruhen. Zur Aufklärung dieser Umstände ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

III. Der Praxistipp

Die lang erwartete Entscheidung schafft Klarheit, wie Auswirkungen behördlicher Allgemeinverfügungen auf Gewerberaummietverhältnisse rechtlich zu behandeln sind. Die Ablehnung pauschaler Lösungen wird freilich für Parteien und Gerichte zu einem erheblichen Begründungsaufwand führen. Unklar bleibt, wie weit die Anpassung des Vertrages reichen kann. Die auch vom Berufungsgericht ins Auge gefasste Marke von 50 % Mietnachlass dürfte keine absolute Grenze darstellen.

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