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Keine dauerhafte Stilllegung von Gemeinschaftseigentum

Keine dauerhafte Stilllegung von Gemeinschaftseigentum

BGH, Urt. v. 15.10.2021 – V ZR 225/20

I. Der Fall

Die Parteien, die übrigen Wohnungseigentümer und die Eigentümerin einer Einheit, stritten um die Gültigkeit von Beschlüssen. Das in Teileigentum aufgeteilte Parkhaus besteht aus elf Ebenen, von denen der Klägerin die ersten drei als Teileigentumseinheit Nr. 1 gehören. Die anderen Ebenen werden seit 2013 nicht mehr genutzt. Nach der Aufforderung der Bauordnungsbehörde, die Einhaltung der brandschutztechnischen Mindeststandards nachzuweisen, beschlossen die Teileigentümer am 25.10.2016, dass auch die Ebenen 1 bis 3 nicht mehr genutzt werden dürften und beauftragten den Verwalter, deren unverzügliche Schließung zu erwirken. Eine Sanierung des Parkhauses wurde angelehnt, die Nutzung der Ebenen 1 bis 3 aber für den Fall gestattet, dass ein Sachverständiger bestätigt, dass die Erfordernisse des Brandschutzes erfüllt sind. Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage blieb in den Tatsacheninstanzen ohne Erfolg, wobei das Berufungsgericht von einem nur an Dritte gerichteten Nutzungsverbot und einer Zerstörung des Gebäudes gemäß § 22 Abs. 4 WEG a.F. infolge mangelnder Instandhaltung ausging. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision.

II. Die Entscheidung

Das Rechtsmittel hatte Erfolg, wobei sowohl hinsichtlich des Verfahrens als auch hinsichtlich der Beschlussfassung das alte Recht maßgeblich ist. Das Berufungsgericht geht zunächst zu Unrecht davon aus, dass sich das Nutzungsverbot nur an Dritte richtet. Der Wortlaut ist eindeutig und richtet sich entgegen der Annahme des Berufungsgerichtes auch an die Teileigentümer. Eine abweichende Auslegung kann nicht damit begründet werden, dass der Beschluss anderenfalls rechtswidrig wäre. Denn die Vermutung, dass die Wohnungseigentümer rechtmäßige Beschlüsse fassen wollen, gilt nur bei Zweifeln, nicht aber bei eindeutig rechtswidrigen Beschlüssen.

Das Nutzungsverbot gegenüber den Eigentümern ist auch rechtswidrig. Insbesondere handelt es sich nicht um eine Ausübung des Hausrechtes (gegenüber Dritten), wenn die Nutzung des Gemeinschaftseigentums zur Gefahrenabwehr untersagt wird. Solche Maßnahmen können allenfalls befristet, aber nicht auf Dauer beschlossen werden. Vielmehr haben die Wohnungseigentümer das gemeinschaftliche Eigentum jedenfalls in einem solchen Zustand zu erhalten, dass das Sondereigentum zu dem in der Gemeinschaftsordnung vorgesehenen Zweck genutzt werden kann (BGH v. 4.5.2018 – V ZR 203/17, WuM 2018, 532 = ZfIR 2018, 553). Hiergegen können sich die Wohnungseigentümer nicht darauf berufen, die mit der Erhaltung einhergehenden Kosten seien ihnen nicht zuzumuten (BGH v. 17.10.2014 – V ZR 9/14, ZWE 2015, 88 = ZMR 2015, 241). Erst recht können sie die Erhaltung des Gemeinschaftseigentums nicht, wie hier geschehen, auf einzelne Wohnungseigentümer abwälzen.

Die Sanierungspflicht war auch nicht gemäß § 22 Abs. 4 WEG a.F. ausgeschlossen. Ob der langsame Verfall aufgrund unterbliebener Instandsetzung als „Zerstörung“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann, ist umstritten (hierfür etwa Bärmann/Merle, WEG, 14. Aufl. § 22 Rn 371; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. § 22 Rn 7; a.A. Jennißen/Hogenschurz, WEG, 7. Aufl. § 22 Rn 4; Dötsch, ZfIR 2018, 577, 585). Nach richtiger Auffassung ist dies nicht der Fall; die Zerstörung setzt ein punktuelles Ereignis wie Brand, Überflutung oder Explosion voraus. Dies zeigt schon der Zusammenhang mit Versicherungsleistungen, der nur bei versicherbaren Schäden, nicht aber bei einem Sanierungsstau Sinn hat. Auch eine analoge Anwendung der Norm scheidet aus, da es sich um eine eng begrenzte Ausnahmevorschrift handelt. Dies umso mehr, als der Gesetzgeber im WEMoG eine erleichterte Aufhebung der Gemeinschaft bei „Problemimmobilien“ in Kenntnis des Diskussionsstandes nicht vorgesehen hat.

III. Der Praxistipp

Nach neuem Recht wäre die Entscheidung vermutlich nicht anders ausgefallen. Denkbar ist allenfalls die Änderung des Kostenverteilungsschlüssels nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG. Allerdings dürfte auch in diesem Rahmen für das „Ob“ und das „Wie“ einer Änderung ein triftiger Grund zu fordern sein.

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