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Fortgeltung alten Rechts

Fortgeltung alten Rechts

BGH

, Urt. v. 7.5.2021 – V ZR 299/19

I. Der Fall

Die Parteien, ein Miteigentümer einer in Wohnungseigentum aufgeteilten Liegenschaft und deren Nachbar, streiten um die Beseitigung, hilfsweise den Rückschnitt von Zypressen. Die Klage hatte in den Tatsacheninstanzen Erfolg. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision.

II. Die Entscheidung

Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg. Die Klage ist zulässig.

Zwar würde dem Kläger nach Inkrafttreten des WEMoG die Prozessführungsbefugnis fehlen, da nach § 9a Abs. 2 WEG nur noch die Wohnungseigentümergemeinschaft die aus dem Gemeinschaftseigentum resultierenden Rechte geltend machen kann. Entgegen der fast einhelligen Auffassung (s. etwa LG Frankfurt/M., WuM 2021, 125, Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn 2034; Abramenko, Das neue Wohnungseigentumsrecht, § 9 Rn 24; Lübke, ZMR 2021, 101; a.A. nur AG Heidelberg v. 5.1.2021 – 45 C 108/19) ist aus dem Fehlen einer Übergangsvorschrift nicht zu folgern, dass auch in Altprozessen ohne weiteres neues Recht anzuwenden ist und ursprünglich zulässige Klagen einzelner Wohnungseigentümer auf Beseitigung oder Unterlassung mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig werden.

Denn dem Fehlen einer Übergangslücke liegt eine planwidrige Regelungslücke zugrunde. Nach der Begründung zu § 48 Abs. 5 WEG sollen nämlich die Änderungen des Verfahrensrechtes bereits anhängige Verfahren unberührt lassen. Verfahrensrechtliche Bedeutung kommt aber auch § 9a Abs. 2 WEG zu, der die Ausübungsbefugnis der sich aus dem Gemeinschaftseigentum ergebenden Rechte alleine der Wohnungseigentümergemeinschaft zuweist. Ein zur Unzulässigkeit der Klage führender Wegfall der Prozessführungsbefugnis hätte zudem zur Folge, dass selbst über mehrere Jahre geführte Prozesse für beide Parteien nutzlos wären und nur Kosten verursachten. Gegen die Annahme, dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht, spricht das Fehlen jeder Erläuterung, die bei einem Eingriff dieses Ausmaßes zu erwarten wäre. Hierfür lässt sich nicht anführen, dass der einzelne Wohnungseigentümer schon bisher seine Prozessführungsbefugnis verlor, wenn der geltend gemachte Anspruch vergemeinschaftet wurde. Denn dies eröffnete gerade die Rechtsverfolgung durch die Gemeinschaft, während es mit Inkrafttreten des § 9a Abs. 2 WEG gerade an einer solchen Willensbildung der Gemeinschaft fehlt. Schließlich käme einer Geltung von § 9a Abs. 2 WEG in Altverfahren unechte Rückwirkung zu, die zwar verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig, aber aus Gründen der Rechtssicherheit besonders zu begründen wäre. Für die Planmäßigkeit der fehlenden Übergangsregelung spricht auch nicht, dass der Gesetzgeber ausdrücklich vom Außerkrafttreten der Vergemeinschaftungsbeschlüsse ausging, die vor Inkrafttreten des WEMoG gefasst wurden. Denn daraus lässt sich nicht folgern, dass sich der Gesetzgeber der umgekehrten Folge des Wegfalls der Prozessführungsbefugnis bewusst war. Diese Regelungslücke ist nach dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 5 WEG zu schließen, wonach die Prozessführungsbefugnis des einzelnen Wohnungseigentümers zunächst fortbesteht. Allerdings würde eine unbeschränkte analoge Anwendung von § 48 Abs. 5 WEG auch für eine Übergangszeit dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, der mit § 9a Abs. 2 WEG die konzeptionelle Unklarheit bei der Ausübung gemeinschaftsbezogener Rechte beseitigen wollte. Dem läuft ein auch nur zeitweises Nebeneinander von Ausübungs- und Prozessführungsbefugnissen nach altem und neuem Recht zuwider. Deshalb hätte der Gesetzgeber, hätte er das Problem erkannt, der Wohnungseigentümergemeinschaft das Recht zuerkannt, das bereits anhängige Verfahren als Partei zu übernehmen oder den Streit auf anderem Wege beizulegen. Solange dem Gericht ein solcher entgegenstehender Wille der Gemeinschaft nicht zur Kenntnis gebracht wird, ist vom Fortbestand der Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers nach altem Recht auszugehen.

III. Der Praxistipp

Die Entscheidung wäre als Gesetz sicherlich respektabel. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob der BGH mit der Schaffung einer Übergangsvorschrift und zugleich einer Ausnahme hiervon nicht die Rolle des Gesetzgebers übernimmt. Wenn der Gesetzgeber die Folgen der Neuerungen auf Vergemeinschaftungsbeschlüsse ausdrücklich bedenkt, erscheint es wenig überzeugend, ihm für den umgekehrten Fall des Fehlens solcher Beschlüsse einfaches Nichtwissen zu unterstellen. Näher hätte es gelegen, einfach von einem schlechten Gesetz auszugehen. Im Übrigen schafft die neue Widerrufsmöglichkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft gerade in kleinen Liegenschaften ohne Verwalter neue Probleme. Denn dort wird sie gemäß § 9b Abs. 1 S. 2 WEG von allen Wohnungseigentümern vertreten. Der Kläger wird aber schwerlich bei der Beseitigung seiner Prozessführungsbefugnis mitwirken.

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