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Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Entgegennahme und Weiterleitung der Rechtsmittelschrift

§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG

Die bloße Erklärung, worum es sich bei einer Rechtsmittelschrift handelt und wie das Verfahren in der zweiten Instanz abläuft, gehört bei sachnaher Betrachtung zu dem in § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG geregelten Tatbestand und führt nicht zur Entstehung einer Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV.

VG Wiesbaden, Beschl. v. 28.4.20257 K 5355/17.WI.A
I.

Sachverhalt

Nach Rücknahme der Berufung hatte der Berufungsbeklagte die Festsetzung einer 1,1-Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3210 VV beantragt und diese damit begründet, sein Anwalt habe die Berufung entgegengenommen und weitergeleitet sowie deren Inhalt dargelegt und über das weitere Verfahrensprozedere in der zweiten Instanz informiert. Das VG hatte zunächst antragsgemäß festgesetzt. Auf die Erinnerung hat das Gericht die Festsetzung aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen.

II.

Keine Vergütung im Berufungsverfahren

Die Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV fällt nur dann an, wenn ein unbedingter Verfahrensauftrag für das Berufungsverfahren erteilt worden ist und dieser vorzeitig geendet hat. Das ist hier – wie die Rechtspflegerin richtig dargelegt hat – nicht der Fall. Dem Anwalt war noch gar kein Verfahrensauftrag für die zweite Instanz erteilt worden. Nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG zählen die Zustellung und Empfangnahme von Entscheidungen oder Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber zur jeweiligen Instanz und werden von der dort erhobenen Verfahrensgebühr mit abgegolten. Es ist zwar zutreffend, dass jede Tätigkeit des Anwalts in der Rechtsmittelinstanz dort grds. wenigstens die reduzierte Verfahrensgebühr auszulösen geeignet ist; wie sich jedoch aus § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG ergibt, zählt der Gesetzgeber die Entgegennahme und Weiterleitung der Rechtsmittelschrift aber noch zur jeweiligen Instanz. Der Vertreter des Erinnerungsgegners hat in keiner Weise substantiiert dargelegt, dass er mehr getan hat, als die Rechtsmittelschrift weiterzuleiten und deren Inhalt und den Ablauf der zweiten Instanz darzulegen. Er hat auch nicht dargelegt, dass er das Rechtsmittel in irgendeiner Weise geprüft habe oder irgendwelche über die Übermittlung der Rechtsmittelschrift an den Erinnerungsgegner hinausgehenden Handlungen vorgenommen habe, die im Zusammenhang mit einem Tätigwerden in der Berufungsinstanz stehen. Soweit er behauptet hat, er habe den Erinnerungsgegner „notwendigerweise über das weitere Verfahrensprozedere in der zweiten Instanz informiert“, legt er nicht substantiiert und nachprüfbar dar, was er wann getan hat. Die bloße Erklärung, worum es sich bei dem Schreiben handelt und wie das Verfahren in der Berufungsinstanz abläuft, gehört bei sachnaher Betrachtung noch zu dem in § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG geregelten Tatbestand. Denn dass der Anwalt wortlos das Schreiben an den rechtsunkundigen, des (Juristen-)Deutsch oftmals nicht mächtigen Mandanten weiterleitet, ist kaum anzunehmen. Vielmehr gehört auch das bloß informatorische Gespräch über Inhalt und Sinn der entgegen genommenen Rechtsmittelschrift bei lebensnahem Verständnis zu den sozialadäquaten Begleitumständen der Weitergabe der Rechtsmittelschrift. Würde man selbst die abstrakte Erläuterung, um was es sich handelt und was die Berufungsinstanz ist, bereits als Geschäft ansehen, das die Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV auslösen würde, liefe § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG i.Ü. leer.

III.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist zutreffend. Die Verfahrensgebühr der Nr. 3200 VV und damit auch die ermäßigte Verfahrensgebühr der Nr. 3201 VV setzen einen unbedingten Auftrag für das Berufungsverfahren voraus. Damit ein solcher Auftrag erteilt werden kann, muss der Mandant erst einmal über den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils und den generellen Ablauf eines Berufungsverfahren, einschließlich der Kosten, belehrt werden. Anderenfalls kann er keine verlässliche Entscheidung treffen, ob er den Auftrag zur Berufung erteilt.

Möglich ist allerdings, dass vor dem Auftrag zur Durchführung der Berufung zunächst der Auftrag erteilt wird, die Erfolgsaussicht der Berufung zu prüfen. Insoweit würde es sich gegenüber der ersten Instanz um eine gesonderte Angelegenheit handeln, die allerdings auch nicht die Gebühr der Nr. 3200 VV auslösen würde, sondern lediglich die Gebühr der Nr. 2100 VV.

https://www.juris.de/perma?d=jzs-AGS-2025-6-010-264

Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen

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