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Befangenheitsablehnung bei nicht veranlasster Kostenentscheidung unter Verstoß rechtlichen Gehörs

§§ 42 ff., 696 Abs. 4 ZPO

Gibt die Richterin einem Kläger einen unzulässigen Kostenantrag des Beklagten nicht zur Kenntnis und erlässt sie ohne rechtliches Gehör einen unzulässigen Kostenbeschluss zu Lasten des Klägers, den sie nicht einmal unterzeichnet, rechtfertigt dies die Besorgnis ihrer Befangenheit.

AG Frankfurt, Beschl. v. 1.4.202232 C 4570/20 (69)
I.

Sachverhalt

Die Klägerin hatte wegen offener Honorarforderungen einen Mahnbescheid erwirkt, gegen den die Antragsgegnerin und spätere Beklagte Widerspruch einlegte. Daraufhin begründete die Klägerin ihre Ansprüche, nahm ihren Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens jedoch später wieder zurück. Hiernach beantragte die Beklagte „vorab per Telefax“ und mit anschließendem Schriftsatz per beA, der Klägerin „die Kosten des Rechtsstreits nach Klagerücknahme“ aufzuerlegen. Die Richterin gab diesen Antrag der Klägerin nicht zur Stellungnahme, sondern erließ sofort einen Beschluss, wonach sie der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegte, „nachdem die Klage zurückgenommen wurde (§ 269 Abs. 3 S. 2 ZPO)“. Gleichzeitig übersandte sie als Anlage den per Telefax eingereichten Kostenantrag der Beklagten an die Klägerin zur Kenntnis. Der Beschluss wurde – wie sich später herausstellte – von der Richterin nicht unterschrieben, gleichwohl aber von der Geschäftsstelle ausgefertigt. Gegen den Kostenbeschluss erhob die Klägerin daraufhin sofortige Beschwerde und lehnte die Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Die Richterin räumte in der dienstlichen Äußerung ihren Fehler ein, erklärte aber, nicht befangen zu sein. Die über den Befangenheitsantrag berufene Richterin hat dem Antrag stattgegeben.

II.

Besorgnis reicht aus

Die Besorgnis der Befangenheit einer Richterin setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an ihrer Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es kommt weder darauf an, ob die Richterin tatsächlich „parteilich“ oder „befangen“ ist, noch darauf, ob sie sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob ein am Rechtsstreit Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu zweifeln (BVerfG NJW 1993, 2230). Von einer tatsächlichen Befangenheit der abgelehnten Richterin ist hier ungeachtet der Verfahrensfehler nicht auszugehen. Auf eine solche kommt es vorliegend aber auch nicht an. Vielmehr wird der objektive Anschein erweckt, die Richterin könnte voreingenommen und zugunsten der Beklagtenseite gehandelt haben. Dies ist ausreichend und genügend, um das Ablehnungsgesuch für begründet zu erklären. Zwar ist ein von der Klägerseite angeführter Verstoß auf Beklagtenseite gegen § 130d ZPO n.F. bei Antragstellung tatsächlich nicht feststellbar, da die Beklagtenseite den Kostenantrag jedenfalls auch per beA eingereicht hat (auch wenn der Klägerseite lediglich der per Fax eingegangene Antrag übermittelt wurde). Dass die Richterin jedoch ohne vorherige Anhörung der Klägerseite über den Kostenantrag nach § 269 Abs. 3 ZPO zugunsten der Beklagtenseite entschieden hat, dabei fehlerhafterweise von einer Klagerücknahme ausgegangen ist und dann den Beschluss gar nicht unterschrieben hat, rechtfertigt auf Grund der äußeren, objektiv feststellbaren Umstände den Eindruck der Klägerseite, an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richterin zu zweifeln. Das Ablehnungsgesuch war nach alledem für begründet zu erklären.

III.

Bedeutung für die Praxis

1.Keine Kostenentscheidung nach Rücknahme des Streitantrags

Zunächst einmal ist klarzustellen, dass die Rücknahme des Antrags auf Durchführung des streitigen Verfahrens nach § 696 Abs. 4 ZPO – im Gegensatz zur Klagerücknahme – nicht zum Wegfall der Anhängigkeit führt. Die Sache bleibt vielmehr im Mahnverfahren anhängig, sodass keine Kostenentscheidung ergehen darf (BGH AGS 2005, 570 = RVGreport 2005, 395). Der Streitantrag kann jederzeit wieder neu gestellt werden.

2.Auch in Kostensachen ist rechtliches Gehör zu gewähren

Auch in Kostensachen ist rechtliches Gehör zu gewähren, selbst wenn die Praxis dies – wie hier – häufig ignoriert. Die Vorschriften der § 12a RVG, § 69a GKG, § 61 FamGKG oder § 84 GNotKG oder auch die Möglichkeit der Befangenheitsablehnung geben dem Anwalt Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren.

https://www.juris.de/perma?d=jzs-AGS-2022-04-018-191

Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen

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