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Lediglich in Ausnahmefällen kann aus Gründen der Billigkeit über die Vollendung des 3. Lebensjahres des jüngsten Kindes hinaus der Anspruch auf Betreuungsunterhalt der Kindesmutter verlängert werden.

1. Die Verlängerung des Betreuungsunterhalts kann lediglich in Ausnahmefällen aus Gründen der Billigkeit über die Vollendung des 3. Lebensjahres hinaus erfolgen, was wegen dieses Ausnahmecharakters vom Unterhaltsberechtigten in vollem Umfange darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen ist.

2. Der Erwerbstätigenbonus von 1/10 ist vor Verminderung der Einkünfte um Kindesunterhalt und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten zu kürzen, d. h. letztendlich auf die beruflich bereinigten Einkünfte, anzuwenden.

3. Ein ehebedingter Nachteil äußert sich in der Regel darin, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich nicht die Einkünfte erzielt, die er ohne Ehe und Kinderbetreuung erzielen könnte.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 2.3.20229 UF 179/21

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten um einen nachehelichen Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin gegen den Antragsteller. Aus der im Jahre 2010 geschlossenen Ehe stammt das im Jahre 2015 geborene und seit Trennung der Beteiligten bei der Antragsgegnerin lebende Kind. Ihre Ehe ist seit dem 27.12.2021 rechtskräftig geschieden. Die Beteiligten sind beiderseits vollschichtig erwerbstätig, die Antragsgegnerin bei einer Arbeitszeit von 38 Wochenarbeitsstunden. Der Kindesunterhalt ist durch Jugendamtsurkunde tituliert. Die Antragsgegnerin war vor der Geburt des Kindes vollschichtig erwerbstätig. Nach Ableistung des Elternjahres nahm sie zu 09/2016 ihre vorherige Erwerbstätigkeit wieder auf. Seither besuchte das gemeinsame Kind eine Kindertageseinrichtung mit einer Betreuungszeit von 8–10 Stunden; mittlerweile ist es eingeschult und geht nach Ende der schulischen Unterrichtszeit in den Hort. Seit 02/2018 leistete der Antragsteller Trennungsunterhalt. Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, ihr sei lediglich eine Erwerbsobliegenheit mit 30 Wochenarbeitsstunden zumutbar, weshalb sie teilweise überobligatorisch tätig sei. Sie hat zudem die Auffassung vertreten, als Erwerbstätigenbonus sei 1/10, statt 1/7 anzusetzen. Sie hat erstinstanzlich einen Nachscheidungsunterhalt in Höhe von monatlich 484,87 EUR geltend gemacht. Das Amtsgericht hat den Antragsteller verpflichtet, an die Antragsgegnerin einen nachehelichen Unterhalt i.H.v. 219 EUR bis einschließlich 31.1.2022 zu zahlen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.

II. Die Entscheidung

Verlängerung des Betreuungsunterhalts in Ausnahmefällen aus Gründen der Billigkeit

Das OLG Brandenburg ist der Auffassung, dass die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin teilweise begründet sei, da ein Anspruch aus Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB ausscheide. Nach der gesetzlichen Regelung setze mit Vollendung des 3. Lebensjahres des gemeinsamen Kindes grundsätzlich eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils ein. Dabei sei stets zu beachten, dass die gesetzliche Regel nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden dürfe. Die Verlängerung des Betreuungsunterhalts könne also lediglich in Ausnahmefällen aus Gründen der Billigkeit über die Vollendung des 3. Lebensjahres hinaus erfolgen, was wegen dieses Ausnahmecharakters vom Unterhaltsberechtigten in vollem Umfange darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen sei. Eine ausgeübte Erwerbstätigkeit könne als überobligatorisch bewertet werden, wenn der betreuende Ehegatte kindes- oder elternbezogene Gründe ausreichend darlegt, die einen fortdauernden Unterhaltsanspruch rechtfertigen. Da der verlängerte Unterhalt nur wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes (§ 1570 Abs. 1 BGB) gewährt werde, müsse die übernommene Kindesbetreuung dafür ursächlich sein, dass der betreuende Ehegatte einer Erwerbstätigkeit nicht oder nur teilweise nachgehen könne. Kindbezogene Gründe in Gestalt einer erheblichen körperlichen/gesundheitlichen Beeinträchtigung des Kindes, die eine entsprechend erhöhte Betreuungsbedürftigkeit bedingen würden (z.B. dauerhafte Erkrankung oder Behinderung des Kindes), seien nicht vorgetragen. Zudem bestehe eine ausreichende tatsächliche Betreuungsmöglichkeit.

Ehe- bzw. elternbezogene Gründe nach § 1570 Abs. 2 BGB

Ehe- bzw. elternbezogene Gründe nach § 1570 Abs. 2 BGB lägen ebenfalls nicht vor. Hierbei handele es sich um einen aus der ehelichen Solidarität folgenden Ausnahmefall; einem Ehegatten, der im Interesse der Kindererziehung seine Erwerbstätigkeit dauerhaft aufgegeben oder zurückgestellt habe, solle ein längerer Betreuungsunterhalt eingeräumt werden als einem Ehegatten, der – wie hier – von vornherein alsbald wieder in den Beruf zurückkehren wollte. Im Rahmen der Ermittlung des bestehenden Aufstockungsunterhaltsanspruchs (§ 1573 Abs. 2 BGB) sei der Erwerbstätigenbonus lediglich mit 1/10 anzusetzen (Ziff. 15.2 LL). Der Erwerbstätigenbonus sei vor Verminderung der Einkünfte um Kindesunterhalt und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten zu kürzen (Ziff. 15.2 LL), d. h. letztendlich auf die beruflich bereinigten Einkünfte, anzuwenden. Der Unterhaltsanspruch von monatlich 208 EUR sei in zeitlicher Hinsicht nach § 1578b Abs. 2 S. 1 BGB zu befristen. Insbesondere wegen der sich aus der Betreuung des Kindes ergebenden Mehrbelastung erscheine eine Befristung der gesamten (Trennungs- wie nachehelichen) Unterhaltsansprüche der Antragsgegnerin auf eine Gesamtdauer von fünf Jahren bis zum 31.1.2023 angemessen.

III. Der Praxistipp

Die vorliegende Entscheidung ist für den Praktiker lesenswert, da das OLG Brandenburg die ständigen Rechtspflichten des BGH zur Verlängerung des Betreuungsunterhalts ausführlich und systematisch darstellt und somit ein Argumentationsschema an die Hand gibt.

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