Beitrag

Unterhaltsleistungen als beitragspflichtige Einnahmen im Rahmen der Krankenversicherung

1. Zu den Grundlagen einer Beitragspflicht zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung gemäß §§ 223, 240 SGB V, wenn das freiwillige Mitglied neben Einkünften aus Gewerbebetrieb sowie aus Vermietung und Verpachtung Einnahmen aus Unterhaltsleistungen erzielt, zugleich aber Werbungskosten geltend macht, die Einnahme aus Gewerbebetrieb sowie Vermietung und Verpachtung übersteigen.

2. Unterhaltsleistungen gehören zu den beitragspflichtigen Einnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 BeitrVfGrsSz. Dies gilt unabhängig davon, dass diese im Rahmen des begrenzten Realsplittings der Steuerpflicht unterliegen. Die Beitragspflicht ist deshalb auch nicht von der Zustimmung des Unterhaltsgläubigers abhängig.

3. Wird in einem familiengerichtlichen Unterhaltsvergleich gesondert ein Versicherungsbeitrag zur Krankenversicherung als Vorsorgeunterhalt nach § 1578 Abs. 2 BGB ausgewiesen, ist dieser nicht einnahmemindernd bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.

4. Von den Unterhaltsleistungen sind die Werbungskosten Einnahme mindern abzusetzen. Aus dem Gleichheitsgrundsatz folgt, dass der Werbekosten Abzug nicht nur für freiwillig Versicherte mit Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen gilt, sondern auch für Versicherte, die Einnahmen aus Unterhaltsleistungen beziehen. Dies folgt aus dem Gebot der Belastungsgleichheit, das sich auf alle staatlichen Abgaben erstreckt.

Bundessozialgericht, Urt. v. 28.6.2022B 12 KR 11/20 R

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten (noch) über die Beitragsfestsetzung zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für den Zeitraum von 06/2016 bis 12/2017 oberhalb des Mindestbeitrags. Die Klägerin ist freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse. In 05/2014 schloss sie in einem familiengerichtlichen Verfahren einen Vergleich über den an sie zu zahlenden nachehelichen Unterhalt. Danach ist ab 04/2013 ein Betrag von monatlich 1.000 EUR zu zahlen, in dem ein „Versicherungsbeitrag von monatlich 419,19 EUR enthalten“ ist. Auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2014 berücksichtigte die Beklagte bei der Festsetzung der Beiträge zur GKV von 195,39 EUR monatlich für die Zeit ab 1.6.2016 die monatlichen Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb in Höhe von (iHv) 34,08 EUR, aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 101 EUR sowie die Einnahmen aus Unterhaltsleistungen i.H.v. 1.150,42 EUR (13.805 EUR jährlich); die im Einkommensteuerbescheid 2014 ausgewiesenen Werbungskosten für Unterhaltsleistungen i.H.v. 5.836 EUR (486,34 EUR monatlich) wurden nicht in Abzug gebracht. Während des Klageverfahrens setzte die Beklagte die Beiträge zur GKV unter Berücksichtigung der im Einkommensteuerbescheid vom 2.1.2017 für das Jahr 2015 ausgewiesenen Unterhaltsleistungen i.H.v. 12.000 EUR (1.000 EUR monatlich) erneut ohne Abzug der Werbungs- kosten i.H.v. 724 EUR (60,33 EUR monatlich) für die Zeit ab 1.2.2017 i.H.v. 168,55 EUR neu fest. Mit Bescheid vom 19.12.2017 stellte die Beklagte nach Auswertung einer aktuellen Einkommensanfrage fest, dass der Beitrag unverändert bleibe. Für die Zeit ab 1.1.2018 wurden die Beiträge neu festgesetzt.

II. Die Entscheidung

Das Bundessozialgericht hält die zulässige Revision der Klägerin ist teilweise begründet. In den Gründen führt es folgendes aus:

Das LSG hat zu Unrecht in vollem Umfang die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid vom 19.12.2017 abgewiesen, da die angegriffenen Bescheide im Umfang ihrer Aufhebung rechtswidrig sind und die Klägerin insoweit in ihren Rechten verletzen.

Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der GKV

I. Unterhaltsleistungen sind bei der Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der GKV grundsätzlich als Einnahmen zu berücksichtigen. Nach § 240 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der GKV vom 21.7.2014 (BGBl I 1133) wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder der GKV einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpVBdKK) geregelt; dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind.

Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 BeitrVerfGrsSz werden die Beiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds bemessen, wobei die Beitragsbemessung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zu berücksichtigen hat. Als beitragspflichtige Einnahmen sind das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BeitrVerfGrsSz). Danach gehören die Unterhaltsleistungen zu den beitragspflichtigen Einnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 BeitrVerfGrsSz. Denn sie stehen der Klägerin grundsätzlich zum Verbrauch für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung und prägen daher wesentlich ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Dieser Zweck ergibt sich ungeachtet des tatsächlichen Verbrauchs aus den Vorschriften des Familienrechts.

Steuerpflicht von Unterhaltsleistungen im Rahmen des begrenzten Realsplittings

II. Auf die Steuerpflicht von Unterhaltsleistungen im Rahmen des begrenzten Realsplittings kommt es für die beitragsrechtliche Qualifizierung als Einnahme nicht an (dazu 2.).

1. Unterhaltsleistungen unterliegen nach § 22 Nr. 1a Einkommensteuergesetz als sonstige Überschusseinkünfte bis zu einem Höchstbetrag von grundsätzlich 13.805 EUR nur dann der Einkommensteuer, wenn und soweit die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug beim Unterhaltspflichtigen erfüllt sind (Korrespondenzprinzip). Dafür ist insbesondere erforderlich, dass der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt. Die vom Unterhaltsberechtigten zu zahlende Einkommensteuer hat der Unterhaltsleistende in der Regel zivilrechtlich auszugleichen. Solche Ausgleichszahlungen sind wiederum Unterhaltsleistungen iS der genannten Vorschriften, die der Empfänger gegebenenfalls zu versteuern hat. Fehlt die Zustimmung des Empfängers, kann der Unterhaltspflichtige die Unterhaltsleistungen nur als außergewöhnliche Belastungen nach § 33a EStG geltend machen, beim Empfänger bleiben sie steuerfrei. Es obliegt somit der gemeinsamen Entscheidung der Unterhaltsbeteiligten, ob die Unterhaltsleistungen beim Unterhaltsberechtigten versteuert werden. Die einvernehmliche Besteuerung von Unterhaltsleistungen führt insgesamt betrachtet zumeist zu einer Minderung der Steuerlast. Wirtschaftlich wird so das bis zum Kalenderjahr der Trennung in Betracht kommende Ehegattensplitting nach § 32a Abs. 5 EStG in begrenztem Umfang fortgesetzt.

2. Die Qualifizierung einer Unterhaltsleistung als Einnahme i.S.d. § 240 SGB V ist nicht davon abhängig, ob und inwieweit diese auch steuerpflichtig ist. Anders als § 10 SGB V stellen weder § 240 SGB V noch die BeitrVerfGrsSz ausdrücklich auf den Begriff des Gesamteinkommens ab. Vielmehr ist in § 3 Abs. 1 Satz 1 BeitrVerfGrsSz geregelt, dass beitragspflichtige Einnahmen „ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung“ zugrunde zu legen sind. Dadurch wird zwar nicht die Außerachtlassung des Steuerrechts an sich angeordnet, sondern lediglich klargestellt, dass im Beitragsrecht der GKV eine strikte Bindung weder an die steuerrechtlichen Einkunftsarten noch deren jeweilige Besteuerung besteht. Für die Beitragspflicht kommt es nicht auf die Zustimmung des Unterhaltsempfängers zum Sonderausgabenabzug des Unterhaltsverpflichteten an. Vielmehr muss nach einer Ehescheidung der unterhalts- und versicherungspflichtige Ehegatte seinen Beitragsanteil nach dem Bruttoprinzip gegebenenfalls aus seinem Arbeitsentgelt tragen, während sein früherer, nicht mehr familienversicherter Ehegatte Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung aus dem Unterhalt zahlen muss, und zwar unabhängig davon, ob sich die geschiedenen Ehegatten für ein begrenztes Realsplitting entschieden haben oder nicht. Dass der unterhaltspflichtige Ehegatte sein Einkommen für die Unterhaltszahlung verwenden muss, ist für ihn und auch die Unterhaltsberechtigte, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch die Unterhaltszahlungen zunimmt, beitragsrechtlich unerheblich.

Für die Beitragspflicht der Unterhaltsleistungen ist daher auch grundsätzlich nicht der steuerrechtliche Höchstbeitrag des § 10 Abs. 1a Nr. 1 Satz 1 EStG i.H.v. 13.805 EUR maßgeblich. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird durch die tatsächlich erbrachten Leistungen bestimmt, die gegebenenfalls höher sein können als der in Anspruch genommene Sonderausgabenabzug im Fall der Steuerpflicht.

Versicherungsbeitrag nicht einnahmemindernd

III. Der im familiengerichtlichen Vergleich gesondert ausgewiesene Versicherungsbeitrag ist nicht aufgrund einer besonderen Stellung in der Rechtsordnung einnahmemindernd zu berücksichtigen. Die familienrechtliche Vorschrift des § 1578 BGB stellt klar, dass die Kosten einer angemessenen Versicherung für den Fall der Krankheit und Pflegebedürftigkeit (Abs. 2) sowie – bei einem Unterhaltsanspruch wegen Erwerbslosigkeit – auch für den Fall des Alters sowie der verminderten Erwerbsfähigkeit (Abs. 3) zum Lebensbedarf gehören. Entsprechend wird auch aus dem vor dem OLG abgeschlossenen Vergleich deutlich, dass der Versicherungsbeitrag Bestandteil des nachehelichen Unterhalts sein soll („In den … Unterhaltsbeträgen … enthalten“), der monatlich in einer Summe ausgezahlt wird. Die Klägerin ist als Unterhaltsberechtigte rein faktisch in der tatsächlichen Verwendung der für den Lebensunterhalt gewährten Unterhaltsleistungen frei. Unterhaltsrechtliche Konsequenzen hat eine zweckwidrige Verwendung der Versicherungsbeiträge erst in einem späteren Versicherungsfall, wenn sich der Berechtigte gegebenenfalls nach § 1579 Nr. 4 BGB so behandeln lassen muss, als hätten die Zahlungen zu einem entsprechenden Versicherungsanspruch geführt.

IV. [Zur einkommensmindernden Berücksichtigung von Werbungskosten bei Unterhaltsleistungen]

Werbungskosten

Von den Unterhaltsleistungen sind die Werbungskosten, also solche die nach Abzug von weiteren einkommensteuerrechtlichen Einkünften wie aus Kapital und/oder Vermietung und Verpachtung „übrig bleiben“, einnahmemindernd abzusetzen. Werbungskosten sind nach § 3 Abs. 1b Satz 1 BeitrVerfGrsSz ausdrücklich zwar nur von den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen abzuziehen. Dieser Abzug ist im Hinblick auf die regelmäßig zu wahrende Belastungsgleichheit freiwillig Versicherter aber grundsätzlich auch bei Unterhaltsleistungen geboten.

V. [Ermittlung der für die Beitragsbemessung relevanten Einkünfte]

III. Der Praxistipp

Anhand der vorliegenden Entscheidung soll eine Problematik dargestellt werden, welche bei Abschluss eines Unterhaltsvergleichs in dem Fall zu berücksichtigen ist, dass der Unterhaltsgläubiger keine Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung erzielt.

Der Praktiker muss seinen unterhaltsberechtigten Mandanten bei Abschluss eines Unterhaltsvergleichs in dieser Konstellation darauf hinweisen, dass der im Vergleich geregelte monatliche Unterhaltszahlbetrag bei der Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich als Einnahmen berücksichtigt und somit zur Ermittlung des monatlichen Beitrags herangezogen wird. Im Zeitpunkt des Abschlusses eines Vergleichs hat der Unterhaltsgläubiger regelmäßig den durch den Unterhaltsschuldner zu leistenden monatlichen Zahlbetrag vor Augen, also den Betrag, welcher monatlich bei ihm „ankommt“. Der Betrag der tatsächlich beim Unterhaltsgläubiger ankommt, reduziert sich jedoch um den – höheren – zu leistenden Beitrag zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung.

Diese Problematik kann auch nicht dadurch umschifft werden, dass neben der zu leistenden Unterhaltszahlung eine weitere monatliche Zahlung als „Vorsorgeunterhalt“ zwischen den Beteiligten vereinbart wird. Auch bei einer solchen Gestaltung wird der gesamte monatliche Unterhaltszahlbetrag zur Bemessung des monatlich zu leistenden Beitrags zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen werden.

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…