Beitrag

Aufgabe der Erwerbstätigkeit wegen Kinderbetreuung

1. Bei Aufgabe seines Arbeitsplatzes oder sonstigen beruflichen Veränderungen, die sich nachteilig auf die Einkünfte auswirken, ist stets zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige eine sich daraus ergebende Leistungsunfähigkeit oder Leistungsminderung selbst schuldhaft herbeigeführt hat.

2. Eine unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit ist dem Unterhaltspflichtigen nicht vorzuwerfen, wenn er sich ausschließlich aus Gründen der persönlichen Lebensführung zur Aufgabe seiner Erwerbstätigkeit entschlossen hat, um die Betreuung seines Kindes aus zweiter Ehe zu übernehmen und damit seiner Ehefrau die Fortsetzung und Beendigung ihrer Ausbildung zu ermöglichen.

3. Ist die Rollenverteilung in der neuen Familie nicht zu beanstanden, dann stehen sich mit den Kindern aus unterschiedlichen Partnerschaften gleichberechtigte unterhaltsbedürftige Personen gegenüber, weswegen es nicht vorwerfbar ist, dass der Unterhaltspflichtige bei Betreuung eines Säuglings bzw. Kleinkindes keiner Berufstätigkeit, etwa in Form einer Nebenbeschäftigung, nachgeht.

OLG Celle, Beschl. v. 17.1.202215 UF 111/21

I. Der Fall

Die Beteiligten streiten um die Abänderung eines Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses, welcher den Antragsteller zur Zahlung des Mindestkindesunterhalts an die Antragsgegnerin verpflichtet.

Der Antragsteller ist der Vater der am 23.1.2011 geborenen Antragsgegnerin, die im Haushalt ihrer Mutter lebt. Aus der nichtehelichen Beziehung des Antragstellers mit der Kindesmutter ist zudem der am 8.3.2009 geborene Sohn T. hervorgegangen. Mit Unterhaltsfestsetzungsbeschluss wurde der Antragsteller verpflichtet, an die Antragsgegnerin monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergeldes zu zahlen.

Der Antragsteller ist gelernter Landschaftsgärtner und erzielte ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von rund 2.100 EUR. In 01/2020 heiratete der Antragsteller seine jetzige Ehefrau. In 01/2020 wurde der weitere Sohn des Antragstellers geboren. Bereits im Jahr 2018 hatte die Ehefrau des Antragstellers ein Studium beim Marburger Bibelseminar aufgenommen, das eine Kombination aus einer theologischen Ausbildung sowie einer Qualifikation zur Erzieherin bietet. Um seiner Ehefrau zu ermöglichen, auch nach der Geburt des Kindes ihr Studium fortzusetzen, zog der Antragsteller mit ihr und dem Kind nach Marburg. In der Zeit von 03/2020 bis 03/2021 nahm der Antragsteller Erziehungsurlaub. In dieser Zeit erhielt er ein monatliches Erziehungsgeld in Höhe von 1.294 EUR. Außerdem schloss er mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag und vereinbarte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ende 02/2021. Außerdem einigte er sich mit seinem ehemaligen Arbeitgeber auf eine Abfindungszahlung in Höhe von 5.700 EUR abzüglich vorliegender Forderungen aus Unterhaltsaufwendungen für die Antragsgegnerin über 1.438 EUR zzgl. 171,50 EUR. Zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau bestand Einigkeit darüber, dass diese ihr Studium fortsetzt und der Antragssteller die Betreuung des gemeinsamen Sohnes übernimmt. Die Ehefrau des Antragstellers erhält BAföG-Leistungen (965 EUR). Sie hat für das Studium monatlich 145 EUR zu zahlen. Der Antragsteller ist nicht erwerbstätig, sondern kümmert sich um den Sohn. Die Ausbildung der Ehefrau des Antragstellers wird voraussichtlich Ende 07/2022 beendet sein.

Er begehrt in Abänderung des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses, dass er ab 04/2021 keinen Unterhalt mehr an die Antragsgegnerin zu zahlen hat.

II. Die Entscheidung

Das OLG Celle ist der Auffassung, dass der Antragsteller ab 04/2021 nicht leistungsfähig ist, um Kindesunterhalt für die Antragsgegnerin zu bezahlen.

In den Gründen des Beschlusses führt es aus:

Antragsteller verfügt über kein Einkommen, das ihm die Zahlung von Kindesunterhalt ermöglicht

Seit Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses zum 28.2.2021 und Auslaufen des Bezugs von Erziehungsgeld zum 22.3.2021 verfügt der Antragsteller über kein Einkommen, das ihm die Zahlung von Kindesunterhalt ermöglicht. Der Senat teilt die Auffassung der Antragsgegnerin nicht, dass die Aufgabe seines Arbeitsverhältnisses als unterhaltsrechtlich leichtfertig anzusehen ist.

Im Einzelnen führt der Senat aus:

Unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit

Wer seine Leistungsunfähigkeit freiwillig herbeigeführt hat, kann sich nur dann darauf berufen, wenn er dabei nicht unterhaltsbezogen leichtfertig gehandelt und somit nicht gegen Treu und Glauben verstoßen hat. Bei Aufgabe seines Arbeitsplatzes oder sonstiger beruflicher Veränderung, die sich nachteilig auf die Einkünfte auswirken, ist daher stets zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige eine sich daraus ergebende Leistungsunfähigkeit oder Leistungsminderung selbst schuldhaft herbeigeführt hat. Erforderlich ist insoweit ein leichtfertiges, vom üblichen sozialen Standard abweichendes Verhalten, bei dem sich die zugrunde liegenden Vorstellungen und Antriebe auch auf die Bedürftigkeit als Folge dieses Verhaltens erstrecken müssen (sog. unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit). Leichtfertig handelt derjenige, der die unterhaltsrechtlichen Auswirkungen seines Verhaltens kennt und sich unter Nichtbeachtung dessen, was jedem einleuchten muss (bzw. in Verantwortungslosigkeit oder Rücksichtslosigkeit) über die erkannten Folgen seines Handelns hinwegsetzt.

Ein verantwortungsloses oder zumindest leichtfertiges Verhalten – gerade auch im Hinblick auf seine der Antragsgegnerin gegenüber bestehende Unterhaltspflicht – ist dem Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht vorzuwerfen. Der Antragsteller hat sich ausschließlich aus Gründen der persönlichen Lebensführung zu dem Umzug nach Marburg entschlossen, um die Betreuung seines Sohnes zu übernehmen und damit seiner Ehefrau die Fortsetzung und Beendigung ihrer theologisch-sozialpädagogischen Ausbildung zu ermöglichen. Maßgeblich ist in dieser Konstellation, ob die gewählte Rollenverteilung in der neuen Partnerschaft unterhaltsrechtlich zu beanstanden ist. Davon ist hier nicht auszugehen.

Zwar verdiente der Antragsteller durch seine Tätigkeit als Landschaftsgärtner deutlich mehr als seine sich in der Ausbildung befindende Ehefrau, die lediglich über BAföG-Leistungen verfügt. Aus diesem Grund hätte es grundsätzlich nahegelegen, dass der besser verdienende Elternteil seiner Berufstätigkeit nachgeht und sich der andere Elternteil um die Kinderbetreuung kümmert. Dennoch ist die Entscheidung der Eheleute, der Ehefrau den Abschluss ihrer bereits zur Hälfte absolvierten Ausbildung zu ermöglichen, vorliegend nicht zu beanstanden. Denn der Abschluss des vierjährigen doppelqualifizierenden Ausbildungsgangs ist geeignet, zukünftig erheblich zum Familieneinkommen beizutragen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Ehefrau des Antragstellers ihre Ausbildung bereits zur Hälfte absolviert hatte, als die Eheleute die Entscheidung getroffen haben. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber sowohl Müttern als auch Vätern das Recht einräumt, in Elternzeit zu gehen, um sich der Erziehung und Betreuung ihres neugeborenen Kindes widmen zu können. Dass der Antragsteller, von diesem Recht Gebrauch gemacht hat, kann ihm unterhaltsrechtlich nicht vorgeworfen werden, zumal er für die Zeit des Elterngeldbezuges vom 23.3.2020 bis zum 22.3.2021 keine Abänderung des Unterhaltstitels begehrt, sondern erst für die Zeit ab 04/2021.

Rollenverteilung in der neuen Familie

Ist – wie vorliegend – die Rollenverteilung in der neuen Familie nicht zu beanstanden, dann stehen sich mit den Kindern aus unterschiedlichen Partnerschaften gleichberechtigte unterhaltsbedürftige Personen gegenüber: Das barunterhaltsberechtigte Kind und das Kind, für das der Vater die Betreuung und damit den Betreuungsunterhalt sicherstellt. Es ist daher auch nicht vorwerfbar, dass der Antragsteller bei Betreuung eines Säuglings bzw. Kleinkindes keiner Berufstätigkeit, etwa in Form einer Nebenbeschäftigung, nachgeht. Hier wirkt sich der Gleichrang der Kinder aus. Der im 01/2020 geborene Sohn hat ebenso ein Recht darauf, von seinem Vater betreut zu werden, wie die Antragsgegnerin an sich ein Recht darauf hat, dass er sich an ihrem Barunterhalt beteiligt. Die Rechtsordnung geht sowohl in § 1570 BGB als auch in § 1615l BGB davon aus, dass die Betreuung eines Kindes über einen Zeitraum von drei Jahren nach dessen Geburt nicht zur Verletzung einer Unterhaltspflicht führen kann. Wenn auch § 1570 BGB und § 1615l BGB überwiegend das Unterhaltsrechtsverhältnis zwischen den Kindeseltern betrifft, sind diese Grundsätze jedoch auch hinsichtlich der Unterhaltsansprüche gegenüber minderjährigen Kindern zu berücksichtigen.

Der Senat hält es zudem nicht für angemessen, die von dem Antragsteller erhaltene Abfindungszahlung seines Arbeitgebers für Unterhaltszwecke heranzuziehen, da dieser Betrag bereits für die Kindesunterhaltszahlungen im Zeitraum seines Elterngeldbezuges verbraucht wurde.

III. Der Praxistipp

Die vorliegende Entscheidung beschäftigt sich mit dem Problem der Aufgabe der Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung eines minderjährigen Kindes unter Beurteilung dieses Verhaltens als „unterhaltsrechtlich leichtfertig“.

Die Konstellation, dass ein – geschiedener – Ehepartner sich einem neuen Partner zuwendet und dass aus dieser neuen Partnerschaft ein Kind hervorgeht, das durch den gegenüber den Kindern aus der früheren Beziehung unterhaltspflichtigen Elternteil betreut wird, ist nicht selten. Zu prüfen ist an dieser Stelle, ob insoweit ein leichtfertiges, vom üblichen sozialen Standard abweichendes Verhalten, bei dem sich die zugrunde liegenden Vorstellungen und Antriebe auch auf die Bedürftigkeit als Folge dieses Verhaltens erstrecken müssen (sog. „unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit“) vorliegt. Leichtfertig handelt derjenige, der die unterhaltsrechtlichen Auswirkungen seines Verhaltens kennt und sich unter Nichtbeachtung dessen, was jedem einleuchten muss (bzw. in Verantwortungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit) über die erkannten Folgen seines Handelns hinwegsetzt. Die Prüfung hat im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände zu erfolgen.

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…