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D. Digitaler Zivilprozess: Neues Online-Verfahren wird erprobt

Dr. Wolfram Viefhues weitere Aufsicht führender Richter am Amtsgericht a.D., Gelsenkirchen

Das Bundeskabinett hat den Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit beschlossen.

Erfasst werden bürgerliche Rechtsstreitigkeiten vor den Amtsgerichten, die auf Zahlung einer Geldsumme (nach der aktuellen Streitwertgrenze bis 5.000 EUR) gerichtet sind. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Amtsgerichte zu bestimmen, die das Online-Verfahren im Echtbetrieb erproben. Die Erprobung erstreckt sich nicht auf die Zuständigkeit der Amtsgerichte für Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 1122 Abs. 2 Satz 2 ZPO-E in Verbindung mit § 23a GVG).

Derzeit sind bereits neun Länder mit dreizehn Pilotgerichten an dem Pilotprojekt beteiligt, ein Zeichen für den justizpolitischen Ernst des Vorhabens. Erklärtes Ziel ist das vollständig digitale Gerichtsverfahren mit einer digitalen Klageeinreichung, digitaler Strukturierung des Streitstoffs und der generellen Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videoverhandlung.

In dem Gesetz wird erstmalig ein Reallabor für die Justiz geschaffen. Reallabore sind Testräume, um innovative Technologien und Ansätze zeitlich befristet und unter möglichst realen Bedingungen vor Ort zu erproben. Damit sollen Erkenntnisse für eine dauerhafte Regulierung gewonnen werden. Mit dem nun beschlossenen Reallabor für ein Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit soll es rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht werden, Zahlungsansprüche vor den pilotierenden Amtsgerichten in einem einfachen, nutzerfreundlichen, barrierefreien und digital geführten Gerichtsverfahren geltend zu machen. Zugleich kann durch die strukturierte Erfassung des Prozessstoffs und eine weitergehende Digitalisierung der Verfahrensabläufe auch die Arbeit an den Gerichten noch effizienter gestaltet werden. Ziel ist eine einfache und zeitgemäße Verfahrenskommunikation durch die bundeseinheitliche Bereitstellung von digitalen Eingabesystemen und Plattformlösungen.

Für das Reallabor zur Erprobung und Evaluierung des Online-Verfahrens wird die Zivilprozessordnung (ZPO) um ein weiteres Buch ergänzt. Mit dem dann 12. Buch der ZPO wird das Prozessrecht generell für eine Erprobungsgesetzgebung geöffnet und kann durch weitere Experimentierklauseln und Reallabore ergänzt werden. Als weiterer Anwendungsfall wird die Erprobung einer Digitalen Rechtsantragstelle erfasst.

Die Erprobung des Online-Verfahrens ist auf einen Zeitraum von zehn Jahren angelegt. Um das Online-Verfahren weiterzuentwickeln, ist nach vier sowie acht Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Evaluierung vorgesehen.

Mit der Anbindung über das besondere elektronische Anwaltspostfach wird auch eine Forderung der Anwaltschaft nach Einbeziehung in die Erprobung des neuen Verfahrens berücksichtigt.

Der Entwurf sieht im Einzelnen folgende Regelungen vor:

  • Die Eröffnung des Online-Verfahrens durch eine Klageeinreichung mittels digitaler Eingabesysteme: Die Rechtsuchenden sollen bei der Erstellung einer Klage durch Informationsangebote und Abfragedialoge unterstützt werden. Die digitalen Eingabesysteme sollen bundeseinheitlich als Bestandteil eines Bund-Länder-Justizportals für Onlinedienste bereitgestellt werden. Die Klage soll entweder über den herkömmlichen elektronischen Rechtsverkehr oder über eine Kommunikationsplattform erfolgen können.

  • Öffnungsklauseln im Verfahrensrecht der ZPO zur verstärkten Nutzung digitaler Kommunikationstechnik: Die allgemeinen Verfahrensregeln der ZPO sollen durch Erprobungsregelungen modifiziert und ergänzt werden, insbesondere durch erweiterte Möglichkeiten eines Verfahrens ohne mündliche Verhandlung, eine Ausweitung von Videoverhandlungen und durch Erleichterungen im Beweisverfahren. Die Verkündung eines Urteils im Online-Verfahren soll durch dessen digitale Zustellung ersetzt werden können.

  • Digitale Strukturierung: Der Prozessstoff soll unter Nutzung von elektronischen Dokumenten, Datensätzen und Eingabesystemen digital strukturiert werden können. Insbesondere für sogenannte Massenverfahren (z.B. im Bereich der Fluggastrechte) sollen technische Standards und Dateiformate für die Datenübermittlung und eine ressourcenschonende Bearbeitung festgelegt werden.

  • Die rechtlichen Grundlagen für eine neue Form der verfahrensbezogenen Kommunikation zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten sollen durch eine bundeseinheitliche Erprobung einer Kommunikationsplattform geschaffen werden. Anträge und Erklärungen können unmittelbar über eine Kommunikationsplattform abgegeben werden. Auch die gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten durch die Parteien und das Gericht (z.B. bei Vergleichsabsprachen) und die Zustellung von Dokumenten über die Plattform sollen ermöglicht werden. In beiden Fällen handelt es sich um Software-Entwicklung. Dadurch wird das Ministerium gewissermaßen zur Software-Schmiede – eine Novität.

Um einen Anreiz zur Nutzung des Online-Verfahrens zu setzen, wurde der Gebührensatz für das Regelverfahren von 3,0 auf 2,0 reduziert. Damit hat der Regierungsentwurf – anders als der Referentenentwurf – für die Länder haushälterische Auswirkungen.

Das Gesetzgebungsvorhaben wird durch ein Digitalisierungsprojekt des Bundesministeriums der Justiz begleitet. Dabei übernimmt der Bund in Projektpartnerschaft mit interessierten Ländern und Gerichten eine koordinierende Rolle bei der Entwicklung und Erprobung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens.

Weitere Informationen finden Sie hier:

https://www.zugang-zum-recht-projekte.de/onlineverfahren

Der Gesetzesentwurf abrufbar unter:

https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2024_Erprobungsgesetz_Zivilprozess.html?nn=110490

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