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BAG: Überstundenvergütungsprozess – Darlegungslast zur Veranlassung der Überstunden

1. Der Arbeitnehmer genügt im Überstundenvergütungsprozess seiner Darlegungslast, wenn er vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet hat. Damit behauptet er regelmäßig zugleich, während der gesamten Arbeitszeit die vertraglich geschuldete Leistung erbracht zu habe.

2. Als weitere Voraussetzung des Anspruchs auf Überstundenvergütung muss der Arbeitnehmer für die arbeitgeberseitige Veranlassung und Zurechnung darlegen, dass Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind.

3. Diese allgemeinen Grundsätze dürfen nicht gleichsam schematisch angewandt werden. Stets sind die im jeweiligen Streitfall zu verrichtende Tätigkeit und die konkreten betrieblichen Abläufe zu berücksichtigen.

4. Weder § 14 TV-Ärzte/VKA aF noch § 14 S. 2 TV-Ärzte/VKA in der seit dem 1.7.2019 geltenden Fassung bewirken eine Veränderung oder Umkehr der Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast für die Veranlassung von Überstunden, wenn der Arbeitnehmer in einer Zahlungsklage die Vergütung von Überstunden verlangt. In beiden Fassungen hat die Vorschrift allein arbeitsschutzrechtliche Bedeutung.

5. Auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zur Pflicht des Arbeitsgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit (EuGH, Urt. v. 19.12.2024 – C-531/23, NZA 2025, 97 – Loredas; Urt. v. 14.5.2019 – C-55/18, NZA 2019, 683 – CCOO) und des 1. Senats des BAG (Urt. v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21, NZA 2022, 1616) ist am Erfordernis der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden festzuhalten. Die Pflicht zur Messung der Arbeitszeit hat keine Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

[Orientierungssätze der Richter des BAG]

BAG, Urt. v. 12.2.20255 AZR 51/24

I. Der Fall

Arbeitsleistung über das vereinbarte Maß

Die Klägerin war als Ärztin in einem kommunalen Krankenhaus, das der Tarifbindung an den TV-Ärzte/VKA unterliegt, beschäftigt. Im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses leistete sie unter Verweis auf die im Zeiterfassungs- und Dienstplansystem der Beklagten erfassten Arbeitszeiten regelmäßig Arbeit, die über die vertraglich bzw. tariflich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 30 Wochenstunden hinausging.

regelmäßige Mehrarbeit

Die Klägerin begehrte die Vergütung dieser Überstunden. Zur Begründung trug sie vor, an bestimmten Tagen über die regulär vorgesehene Arbeitszeit hinaus tätig gewesen zu sein, was sie im Einzelnen anhand von Arbeitszeitaufzeichnungen belegte. Sie behauptete, ihre Überstunden seien entweder ausdrücklich angeordnet oder jedenfalls vom Arbeitgeber geduldet worden beziehungsweise zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Arbeitspflichten notwendig gewesen.

Abzug von Pausenzeiten

Der beklagte Krankenhausträger bestritt das Vorbringen insbesondere hinsichtlich der konkreten Inanspruchnahme von Pausen und bezüglich der Veranlassung der Überstunden pauschal. Er argumentierte, die aufgezeichneten Mehrarbeitszeiten seien nicht stets vergütungspflichtig, da nicht alle über die Regelarbeitszeit hinausgehenden Stunden durch betriebliche Anordnung oder Billigung zustande gekommen seien. Zudem verwies die Beklagte auf das Zeiterfassungssystem, das automatisch Pausenzeiten vom Gesamtsaldo abzieht, und stellte in Abrede, dass Pausen tatsächlich nicht gewährt oder genommen worden seien.

Verfahrensgang

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben (ArbG Saarland, Urt. v. 2.9.2021 – 7 Ca 2490/20), wohingegen das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen hat (LAG Saarland, Urt. v. 29.11.2023 – 2 Sa 82/21).

II. Die Entscheidung

Darlegung der Mehrarbeit

Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des LAG auf und verwies den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück. Anders als das Berufungsgericht geht das BAG in der Entscheidung davon aus, dass die Arbeitnehmerin ihrer Darlegungslast bezüglich der geleisteten Mehrarbeit nachgekommen ist.

kein automatischer Abzug von Pausenzeiten

Den Vortrag der Arbeitgeberin, die in dem bei ihr eingerichtete Zeiterfassungssystem automatisiert eingetragenen Pausenzeiten seien von der Klägerin in Anspruch genommen worden und den gegenteiligen Vortrag der Klägerin bestreite sie mit Nichtwissen, sah das BAG als nicht ausreichend an. Im Fall des allein technisch begründeten Abzuges von Pausenzeiten habe der Arbeitgeber, wenn er der Behauptung des Arbeitnehmers entgegentreten wolle, keine Pausen in diesen Zeiten gemacht zu haben, vorzutragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer aufgetragen habe, die aufgrund der Inanspruchnahme von Pausen nicht erbracht worden seien.

Berücksichtigung einer Teilzeittätigkeit

Soweit die auf das Beschäftigungsverhältnis Anwendung findenden Betriebsvereinbarung die Gewährung einer 30-minütigen Pause in der Zeit von 12:00–12:30 Uhr vorsehe, finde diese Regelung bereits deshalb keine Anwendung, weil darin Teilzeittätigkeit keinerlei Berücksichtigung fänden. Ausdrücklich weist das BAG für die Fortsetzung des Rechtsstreites darauf hin, dass das LAG bei seiner neuen Entscheidung zu berücksichtigen haben werde, dass die Klägerin nicht wegen vereinbarter Teilzeittätigkeit diskriminiert werde (§ 4 TzBfG).

III. Der Praxistipp

Vorsicht bei „automatischen“ Pausenzeiten

Die Entscheidung des BAG setzt auf den ersten Blick die Rechtsprechung des 5. Senates zum Umfang der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Geltendmachung von Überstundenvergütungen fort. Die Auseinandersetzung des Gerichtes mit der Frage, wie ein in einem Zeiterfassungssystem vorgesehener, automatischer Abzug von Pausenzeiten zu werten ist, geht über den Inhalt der bisherigen Entscheidungen hinaus. Dabei ist für die Praxis von erheblicher Bedeutung, dass dieser ohnehin kritisch zu betrachtende automatisierte Abzug für den Arbeitgeber keineswegs zu einer Erleichterung der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast führt.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de

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