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BAG: Entschädigungsanspruch wegen Geschlechterdiskriminierung nach § 15 Abs. 2 AGG – Einwand des Rechtsmissbrauchs

1. Das Verlangen eines erfolglosen Bewerbers auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, wenn sich aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass der Bewerber sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm darum ging, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung geltend machen zu können (Rn 24).

2. Der Begriff der unzulässigen Rechtsausübung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Die Würdigung des LAG ist deshalb in der Revisionsinstanz nur darauf überprüfbar, ob es den Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsgrundsätze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (Rn 29).

[Orientierungssätze der Richter des BAG]

BAG, Urt. v. 19.9.20248 AZR 21/24

I. Der Fall

Bürokauffrau / Sekretärin gesucht

Der Kläger, ein ausgebildeter Industriekaufmann und Wirtschaftsrechtsstudent, bewarb sich im Januar 2023 bei der ca. 170 km von seinem Wohnort entfernten, in Dortmund ansässigen Beklagten auf die von ihr auf dem Bewerbungsportal „Indeed“ ausgeschriebene Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“. Auf seine Bewerbung erhielt der Kläger keine Reaktion. Die Stellenanzeige wurde auf der Webseite von „Indeed“ wieder gelöscht, die Stelle von der Beklagten mit einer Frau besetzt.

zahlreiche Bewerbungen auf Stellen als Sekretärin

In der Vergangenheit hatte der Kläger sich mit inhaltlich übereinstimmenden Erstanschreiben in verschiedenen Bundesländern auf eine Vielzahl von auf „eBay Kleinanzeigen“ ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ beworben und anschließend Entschädigungsklagen wegen Benachteiligung des Geschlechts erhoben. Allein das ArbG Berlin zählte innerhalb eines Zeitraums von 15 Monaten elf Klagen auf Entschädigung.

Verfahrensgang

Auch seine unbeantwortet gebliebene Bewerbung bei der Beklagten nahm der Kläger zum Anlass, vor dem ArbG Dortmund eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG von mindestens 6.000 EUR zu verlangen. Die Klage blieb sowohl in erster als auch in zweiter Instanz erfolglos (ArbG Dortmund, Urt. v. 7.7.2023 – 10 Ca 640/23; LAG Hamm, Urt. v. 5.12.2023 – 6 Sa 896/23). Die vom LAG Hamm zugelassene Revision wies das BAG zurück.

II. Die Entscheidung

Einwand des Rechtsmissbrauchs steht dem Entschädigungsverlangen entgegen

Wie schon die Vorinstanzen erachtete das BAG die Klage für unbegründet. Dem Entschädigungsverlangen des Klägers nach § 15 Abs. 2 AGG stand der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, so das BAG, sofern die Bewerbung nicht erfolgt, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern um den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen.

Geschäftsmodell Entschädigungsprozesse

Das LAG Hamm war von einem rechtsmissbräuchlichen Handeln des Klägers überzeugt und stellte fest, dass der Kläger systematisch und zielgerichtet vorgehe, um sich einen auskömmlichen Gewinn durch Entschädigungsansprüche zu „erarbeiten“, ohne Interesse am Erhalt der von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle zu haben. Einen Anhaltspunkt hierfür sah das Berufungsgericht in der mangelnden Umzugswilligkeit des Klägers und in dem gleichzeitig fehlenden Vorbringen, wie er sich ein tägliches Pendeln von ca. 170 km zwischen seinem Wohnort und der Arbeitsstätte vorstelle. Ein weiterer und entscheidender objektiver Anhaltspunkt für Rechtsmissbrauch lag nach Auffassung des LAG Hamm in der Vielzahl der gezielten Bewerbungen des Klägers auf in unterschiedlichen Bundesländern ausgeschriebene Stellen für eine „Sekretärin“ nebst der im Nachgang geführten Entschädigungsprozesse. Das gegenüber der Beklagten angebrachte Entschädigungsverlangen stelle sich daher als Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens im Rahmen eines „Geschäftsmodells“ dar, bei dem es dem Kläger allein darum gegangen sei, durch die Erlangung von Entschädigungszahlungen – zuletzt neben dem Bezug von Bürgergeld – zusätzliche Einnahmen zu erzielen.

hohe Anforderungen an rechtsmissbräuchliches Verhalten

Die Einordnung des Sachverhalts unter den Rechtsbegriff des Rechtsmissbrauchs durch das LAG Hamm erfolgte nach Auffassung des BAG als im Ergebnis vertretbar und vom Revisionsgericht hinzunehmen. Zwar seien an die Annahme eines durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwands hohe Anforderungen zu stellen. Insbesondere müssten im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigten. Jedoch war die Annahme des LAG Hamm zum Vorliegen eines Geschäftsmodells des Klägers mit einer Vielzahl anderweitiger Bewerbungen und anschließenden Entschädigungsklagen einen auskömmlichen Gewinn zu erwirtschaften nicht zu beanstanden. Mit den deutschlandweit vorgenommenen Bewerbungen auf offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ mit bereits im Bewerbungsschreiben provozierten Absagen und die anschließende Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen könne in der Gesamtbetrachtung ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen angenommen werde, dass den strengen Anforderungen an den Einwand des Rechtsmissbrauchs gerecht werde.

III. Der Praxistipp

keine Chance für AGG-Hopper

Vollkommen zu Recht hat das BAG dem „Geschäftsmodell“ des Klägers eine Absage erteilt. § 15 AGG soll vor Benachteiligungen beim Zugang zur Erwerbstätigkeit und zum beruflichen Aufstieg schützen. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG wie allgemein die Rechtsordnung stellt jedoch keine Erwerbsquelle dar.

diskriminierungsfreie Ausschreibung

Der der Entscheidung des BAG zugrundeliegende Sachverhalt war außergewöhnlich. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs wird nur ausnahmsweise, das betont das BAG in seiner Entscheidung, Erfolg haben können. Auf eine AGG-konforme Formulierung von Stellenanzeigen wird daher auch weiterhin sorgsam zu achten sein.

Peter Hützen, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf, huetzen@michelspmks.de

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