Lässt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit durch eine Detektei überwachen und dokumentiert diese dabei den sichtbaren Gesundheitszustand des Arbeitnehmers, handelt es sich um die Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung.
[Leitsatz der Richter des BAG]
I. Der Fall
Gegenstand des Rechtsstreits
Die Parteien streiten – soweit für die Revision noch von Bedeutung – über einen Anspruch des Klägers auf immateriellen Schadenersatz nach § 82 Abs. 1 DSGVO wegen dessen von der Beklagten veranlassten Überwachung durch Privatdetektive.
Vorgeschichte
Der Kläger war bereits seit 2009 bei der Beklagten in verschiedenen Positionen im Vertriebsaußendienst beschäftigt, wobei er im Übrigen aus dem Homeoffice arbeitete. Das Arbeitsverhältnis war nicht unbelastet: Dem vorliegenden Rechtsstreit gingen bereits zwei Kündigungsschutzverfahren voraus. Die hiergegen durch den Kläger erhobenen Kündigungsschutzklagen hatten aber Erfolg.
erneute Änderungskündigung und Arbeitsunfähigkeit
Daraufhin erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 29.7.2021 eine Änderungskündigung zum 30.11.2021. Sie bot dem Kläger an, das Arbeitsverhältnis ab dem 1.12.2021 auf der Position des Account Managers für die Region Süd fortzusetzen. Als Arbeitsort war das Competence Center Süd in O (Baden- Württemberg) vorgesehen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an. Seine Änderungsschutzklage blieb erfolglos. Nach Arbeitsaufnahme kam es zu Differenzen zwischen den Parteien, ob die Beklagte den Kläger vertragsgemäß beschäftigte. Der Kläger verklagte die Beklagte entsprechend und teilte der Beklagten am Tage der Klageerhebung mit, dass er arbeitsunfähig erkrankt sei. Seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag erstreckte sich auf den Zeitraum vom 4. bis zum 18.2.2022, seine Folgebescheinigung attestierte Arbeitsunfähigkeit bis zum 4.3.2022.
Überwachung durch Detektei
Die Beklagte bezweifelte die durch den Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Sie ließ den Kläger daraufhin in der Zeit vom 25.2. bis zum 4.3.2022 durch eine Detektei u.a. zuhause überwachen. Diese sammelte detaillierte Informationen über die Aktivitäten des Klägers, z.B. wann er das Haus verließ, welche Orte er aufsuchte, wie lange er sich dort aufhielt und welche Personen er traf. Die Beklagte sah ihren Verdacht bestätigt und kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlichen und fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.
Verfahrensgang
Gegen die fristlose Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Mit Klageerweiterung vom 31.8.2022 machte der Kläger die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von jedenfalls 25.000,– EUR geltend. Die Höhe begründete der Kläger damit, dass die Beklagte mit der rechtswidrigen Überwachung eine Kündigung vorbereiten wollte. Der geforderte Schadenersatz belaufe sich nur auf ungefähr ein Zehntel der angestrebten Personalkosteneinsparung. Das Arbeitsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben, dem Kläger aber keinen Anspruch auf ein Schmerzensgeld zugesprochen, da kein anspruchsbegründender Schaden des Klägers erkennbar sei (Arbeitsgericht Krefeld, Urt. v. 17.11.2022 – 4 Ca 566/22). Beide Parteien gingen gegen das Urteil in Berufung. Das LAG Düsseldorf bestätigte die Kündigungsschutzklage und sprach dem Kläger Schadenersatz i.H.v. 1.500,– EUR zu (LAG Düsseldorf, Urt. v. 26.4.2023 – 12 Sa 18/23). Das LAG ließ die Revision für beide Parteien lediglich im Hinblick auf ihr Unterliegen bezogen auf den Schadenersatzanspruch zu. Das BAG wies sowohl die Revision des Klägers, der weiterhin Zahlung von 25.000,– EUR Schadenersatz begehrte, wie auch die Anschlussrevision der Beklagten zurück.
II. Die Entscheidung
Verstoß gegen DSGVO
Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG Düsseldorf, dass der nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorausgesetzte Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung vorliegt. Die Beklagte habe als Verantwortliche im Rahmen der Observation ohne Einwilligung des Klägers dessen Gesundheitsdaten verarbeitet. Dies sei nicht erforderlich gewesen i.S.v. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 3 BDSG.
Datenverarbeitung muss erforderlich sein
Das BAG führt aus: Hegt der Arbeitgeber Zweifel am Vorliegen einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und möchte er den Arbeitnehmer deshalb durch Detektive oder andere Personen beobachten lassen, kann die daraus folgende Verarbeitung von Gesundheitsdaten nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 3, § 22 Abs. 2 BDSG nur zulässig sein, wenn der Beweiswert einer vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist und eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse nach § 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V nicht möglich ist oder objektiv keine Klärung erwarten lässt. Anderenfalls ist die Ermittlung als Datenverarbeitung nicht erforderlich i.S.v. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG.
Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bereits nicht erschüttert
Nach Auffassung des LAG konnte die Beklagte den Beweiswert der beiden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Klägers bereits nicht erschüttern. Diese Beurteilung erfolgte aus Sicht des BAG rechtsfehlerfrei.
außerdem: Erforderlichkeit nicht gegeben
Selbst wenn man von einer Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgehen wollte, wäre die von der Beklagte veranlasste verdeckte Überwachung des Klägers durch ein Detektivbüro nicht erforderlich gewesen. Diese war unverhältnismäßig, weil der Beklagten gleich wirksame, aber weniger stark in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmers eingreifende Aufklärungsmaßnahmen zur Verfügung gestanden hätten. Danach könne es „offenbleiben, ob die Überwachung des Klägers die Aufdeckung einer Straftat i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG bezweckt hat, ob diese Norm den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 88 DSGVO genügt (…) und wie ihr Verhältnis zu § 26 Abs. 3 BDSG ausgestaltet ist. Die Überwachung war aus den genannten Gründen auch nicht erforderlich i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG.“
weiter Ermessenspielraum bei Bemessung des Schadenersatzanspruchs
Der Schadenersatzanspruch nach § 82 DSGVO habe, insbesondere im Fall eines immateriellen Schadens, eine Ausgleichsfunktion. Die auf Art. 82 Abs. 1 DSGVO gestützte Entschädigung in Geld solle es ermöglichen, den konkret aufgrund des Verstoßes gegen die DSGVO erlittenen Schaden vollständig auszugleichen. Sie erfülle insbesondere keine Abschreckungs- oder Straffunktion.
Bemessung erfolgt nach § 287 Abs. 1 ZPO
Eine Regelung zur Bemessung der Höhe kennt die DSGVO nicht. Die Höhe des Schadenersatzanspruchs habe das LAG mit 1.500,– EUR rechtsfehlerfrei nach § 287 Abs. 1 ZPO bemessen.
insbesondere: Höhe des Arbeitsentgelts nicht maßgeblich
Soweit die Revision auf die Höhe des Entgelts des Klägers und die angebliche Absicht der Beklagten zur Einsparung von Personalkosten abstellt, gelte auch in der hier vorliegenden Konstellation der Grundsatz, dass der immaterielle Schaden nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO keinen erkennbaren Bezug zur Höhe eines dem Gläubiger zustehenden Arbeitsentgelts hat.
III. Der Praxistipp
geänderte Rechtsprechung zum Beweiswert ärztlicher Atteste
Die Möglichkeiten zur Erschütterung des Beweiswertes von ärztlichen Attesten sind in aller Munde. Seit der Grundsatzentscheidung des 5. Senats des BAG im Jahr 2021 existiert mittlerweile umfangreiche Rechtsprechung, ob und wie ärztliche Atteste in Zweifel gezogen werden können. Diese Rechtsprechung nimmt der 8. Senat vorliegend in Bezug, kommt aber – im Rahmen seiner revisionsrechtlichen Einzelfallbetrachtung – zu dem Ergebnis, dass der Beweiswert nicht erschüttert werden konnte.
datenschutzrechtliche Prüfung vorrangig
Im Ergebnis kam es hierauf aber wegen des Verstoßes gegen die DSGVO auch gar nicht an.
sorgfältige datenschutzrechtliche Prüfung erforderlich
Der Einsatz von Detektiven zur Überwachung von Arbeitnehmern sollte nur bei konkreten und nachvollziehbaren Verdachtsmomenten in Erwägung gezogen werden. Dabei ist sicherzustellen, dass die Überwachung und die gewählten Methoden im angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen und die Rechte der betroffenen Arbeitnehmer gewahrt werden. Vor jeder Maßnahme müssen die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Überwachung sorgfältig geprüft werden. Anderenfalls läuft der Arbeitgeber Gefahr, sich schadenersatzpflichtig zu machen und einen Kündigungsschutzprozess zu verlieren.